Audiowalk erklärt Bundeswehrsoldat:innen in Litauen die jüdische Geschichte ihres Standorts
Um die Ostflanke der NATO zu sichern, sind Bundeswehrsoldat:innen im litauischen Rukla stationiert. Ein Audiowalk erklärt ihnen die Geschichte des Holocausts vor Ort.

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine rief Bundeskanzler Olaf Scholz die sicherheitspolitische Zeitenwende aus. Dazu gehört auch der Plan für die dauerhafte Stationierung einer Bundeswehr-Brigade in Litauen. Die litauische Stadt Jonava, in dessen Ortsteil Rukla sich bereits heute ein rotierendes Bataillon der Bundeswehr befindet, hat eine gewaltsame Geschichte: Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Stadt nahezu vollständig zerstört. Nach dem Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion beendeten die deutschen Besatzer in Jonava das jüdische Leben. Das historisch gewachsene Schtetl, bis dahin geprägt von jüdisch-christlicher Koexistenz, ging beim Angriff im Sommer 1941 in Flammen auf, die jüdische Bevölkerung wurde in den folgenden Monaten ermordet.
Prof. Dr. Felix Ackermann von der FernUniversität in Hagen erforschte mit seinem Lehrgebiet Public History die Geschichte der litauischen Stadt. Als ein Ergebnis erschien eine kleine Landeskunde als wissenschaftlicher Aufsatz in der Zeitschrift Osteuropa. Während einer Sommerschule der Studienstiftung des Deutschen Volkes in der litauischen Hauptstadt Vilnius entwickelten Studierende die Idee für einen Audiowalk für Bundeswehrsoldat:innen und andere Besucher:innen. Er soll den in Jonava befindlichen Soldat:innen wichtiges Wissen zur Geschichte des Orts vermitteln.
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- Als Artikel in der Zeitschrift Osteuropa | mehr

Für historischen Kontext sensibilisieren
Felix Ackermann plädiert dafür, die Stationierung der Bundeswehr-Brigade in Litauen auf zweifache Weise einzuordnen. „Einerseits ist es wichtig, der deutschen Gesellschaft zu erklären, warum die Präsenz der Bundeswehr im Baltikum eine hohe symbolische Bedeutung hat“, so der Forscher. „Wir müssen uns mit denjenigen Gesellschaften solidarisch zeigen, die sich heute von Russland bedroht fühlen.“ Andererseits gelte es auch im 21. Jahrhundert, über den Holocaust aufzuklären, der im Schatten der deutsch-sowjetischen Front von der SS mit Unterstützung von Polizei- und Wehrmacht mit Gewehrkugeln durchgeführt wurde. Es sei wichtig neue Erzählformen zu finden, um diese zu vermitteln. „Diese sollten auch die deutsche Verantwortung für die Massenverbrechen gegen die Zivilbevölkerung vor Ort beinhalten“, argumentiert Ackermann und fügt hinzu: „Gleichzeitig muss deutlich werden, warum wir die Republik Litauen in der Gegenwart unterstützen sollten.“
Audiowalk vor Ort und online
Den Audiowalk entwickelt und produziert haben Anika Olbrisch, Tomek Rudel und Benjamin Brown. Sie setzten die gemeinsam entwickelte Idee um und stellen jetzt die Ergebnisse vor. Der Audioguide umfasst sieben Stationen, entlang derer er wichtige Ereignisse der jüdischen Geschichte Jonavas erklärt – etwa die Zerstörung des historischen jüdischen Friedhofs oder des Marktplatzes. Die Führung endet an der Erschießungsstelle am Wald von Girele, wo die deutschen Besatzer im Zuge des Holocausts über 2100 Jüd:innen ermordeten. Nicht nur Angehörige der Bundeswehr und Interessierte vor Ort können den Audiowalk frei nutzen: Die Führung ist auch online komplett abrufbar – gestützt von virtuellem Kartenmaterial.
Die professionelle Fertigstellung wurde von der Studienstiftung des Deutschen Volkes gefördert. Partner waren das Lehrgebiet Public History sowie das Landeskundliche Museum in Jonava. Die ersten Nutzer:innen vor Ort waren Bundeswehrsoldat:innen, die Feedback zum historischen Audiowalk gaben. Ein Colloquium des Historischen Instituts der FernUniversität stellt das Projekt am 1. April vor.