Philosophin im Exil
Olga Shparaga musste 2020 aus Belarus fliehen. Ihre Erfahrungen aus den Protesten und ihrer Haft bringt sie in ihre Forschung als Gastwissenschaftlerin an der FernUniversität ein.
„Ich bin Philosophin im Exil“, sagt Dr. Olga Shparaga über sich selbst. Seit Ende 2020 lebt die belarussische Wissenschaftlerin nicht mehr in ihrem Heimatland. Sie musste es verlassen, da sie als politische Aktivistin an den Massenprotesten teilgenommen hatte. Für 15 Tage wurde sie damals inhaftiert. „Als eine erneute Inhaftierung drohte, bin ich geflohen, weil ich Angst hatte, nicht mehr aus dem Gefängnis entlassen zu werden.“ Ihre Flucht führte sie über Litauen nach Deutschland und Österreich. Seit Anfang des Jahres forscht sie als Gastwissenschaftlerin am Lehrgebiet Philosophie III, Praktische Philosophie: Technik, Geschichte, Gesellschaft von Prof. Dr. Thomas Bedorf.

Stipendium für nachweislich gefährdete Forschende
Dass Olgas Shparagas Weg sie ausgerechnet an die FernUniversität führte, ist kein Zufall. Denn die Belarussin kennt gleich zwei Hagener Professoren schon seit sehr langer Zeit: Mit Thomas Bedorf hat sie in den 90er-Jahren in Bochum studiert und war gemeinsam in einem Doktorandenkolloquium. „Außerdem kenne ich Felix Ackermann schon seit über 20 Jahren. Wir waren Kollegen an der European Humanities University in Vilnius.“ Der Philosoph Bedorf und der Historiker Ackermann haben sich für ein Stipendium der Philipp Schwartz Initiative der Humboldt-Stiftung des Auswärtigen Amtes eingesetzt. Es ist ein spezielles Brückenstipendium für nachweislich gefährdete Forschende. „Ich bin sehr dankbar für das Engagement von Thomas und Felix. Es gibt sehr viele Menschen im Exil, die genau solche Partnerschaften brauchen.“
Von Haus aus ist Olga Shparaga politische Philosophin. 2014 war sie eine der Mitbegründer:innen des European College of Liberal Arts (ECLAB) in Belarus, an dem sie einen Lehrstuhl für Gegenwartsgesellschaft, Ethik und Politik hatte. Einer der Schwerpunkte ihrer Forschung waren schon immer feministische Theorien. „Es geht mir darum, mich gegen eine Diskriminierung von Frauen im akademischen und öffentlichen Bereich einzusetzen.“
„So lange Lukaschenko an der Macht ist, werde ich nicht wieder nach Belarus zurück können.“
Dr. Olga Shparaga
Mitglied des Koordinierungsrates um Swetlana Tichanowskaja
Aufgrund ihrer Expertise und ihrer Haltung wurde sie während der Proteste in Belarus Mitbegründerin der feministischen Gruppe des Koordinierungsrates, des politischen Organs der Protestbewegung rund um die Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja. Dies war auch der Hauptgrund, warum sie 2020 festgenommen und inhaftiert wurde. „So lange Lukaschenko an der Macht ist, werde ich nicht wieder nach Belarus zurück können.“
Über die Protestbewegung und ihre Erfahrungen im Gefängnis hat die Belarussin ein Buch geschrieben, das in Deutschland im Suhrkamp Verlag veröffentlicht wurde. „Die Revolution hat ein weibliches Gesicht“ lautet der Titel. Shparaga stellt darin Ereignisse in den Kontext europäischer und globaler Emanzipationsbewegungen, analysiert die Rolle der Frauen bei der Demokratiebewegung und die Bedeutung von Solidarität.
Forschung und Lehre in Hagen
An diese Inhalte möchte sie mit ihrer Forschung in Hagen anknüpfen. „Ich möchte erarbeiten, wie fürsorgliche Praktiken die demokratische Teilnahme verstärken können. Fürsorgliche Praktiken waren während der Proteste sehr stark. Die Frauen hatten sie aus dem häuslichen Bereich in die Öffentlichkeit gebracht.“ Geplant ist dabei auch eine Kooperation mit dem Lehrgebiet Public History von Felix Ackermann.
Außerdem werden auch die Studierenden von Olga Shparagas Aufenthalt in Hagen profitieren. Zum Wintersemester möchte sie gemeinsam mit Thomas Bedorf ein Seminar zur feministischen Perspektive auf das soziale Band anbieten. Solidarität wird dabei als wichtiges Beispiel behandelt.
Der 51-Jährigen ist es aber auch wichtig, ihre Forschungsergebnisse außerhalb des universitären Kontextes bekannt zu machen. Sie selbst sieht sich am liebsten an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. „Es ist wichtig Erkenntnisse in die Öffentlichkeit zu tragen und für Rechte zu kämpfen, wenn diese bedroht werden. Auch in Deutschland.“