Audiowalk: FernUni macht Kolonialgeschichte Hagens hörbar
FernUni-Forschungsergebnisse gehen in einem Audiowalk auf. Er führt zu verborgenen Orten und Geschichten an sechs Stationen in der Hagener Innenstadt. Ein Smartphone genügt.
„Kolonialismus ist für viele Menschen eine ferne Epoche, die in Afrika und Asien stattgefunden hat und seit hundert Jahren vorbei ist“, sagt Dr. Fabian Fechner von der FernUniversität. „Dass es in Hagen bis weit in das 20. Jahrhundert hinein eine in allen Schichten der Gesellschaft verankerte kolonialistische Szene gab, ist nur wenigen bekannt.“ Fabian Fechner und Barbara Schneider aus dem Lehrgebiet Geschichte Europas in der Welt legen genau solche verborgenen Spuren im Stadtgebiet frei. Was sie dabei finden, sind Treffpunkte kolonialer Vereine, vergessene Straßennamen, opulente Jagd-Trophäensammlungen und Firmen, die ungeniert in Kolonialgebiete exportiert haben. Die umfangreichen FernUni-Forschungsergebnisse sind jetzt in einem interaktiven Stadtrundgang aufgegangen. Dieser führt einen in das Herz der Innenstadt, vorbei an geschichtsträchtigen Orten, die nicht immer gleich als solche erkennbar sind. Schon 2018 begannen die ersten Forschungen an der FernUniversität, die in Sachen Recherche und Vermittlung immer eng verbunden mit zahlreichen Hagener Einrichtungen stattfanden. Dazu gehören vor allem der Hagener Heimatbund, das Allerwelthaus und diverse Bildungseinrichtungen.
Sechs Audio-Stationen
An sechs Audio-Stationen können Interessierte auf kolonialen Pfaden wandeln und etwas über den Kolonialismus in Hagen hören. Der Rundgang dauert etwa 90 Minuten. Benötigt werden nur ein Smartphone oder Tablet und Kopfhörer. Den Weg zeigt die Webseite hagen.colonialtracks.de. Das Besondere: Die Forschenden erzählen selbst als Guides an den spannenden Orten von bisher Verborgenem. „Es sind keine vorformulierten Texte, die wir im Studio eingesprochen haben“, sagt Fabian Fechner über das Making-of. „Wir berichten tatsächlich von vor Ort.“ Immer wieder zwischendurch ertönt die Stimme von Schauspielerin und Sprecherin Davina Donaldson, bekannt aus ARD- und ZDF-Produktionen, die die Zuhörenden an den Audiostationen begleitet und das Gesagte einordnet. Zusätzlich zu den Hörstationen gibt es weitere Silent Stations etwa in Hohenlimburg oder Haspe mit zusätzlichen Informationen in Bild- und Textform. Ein gedruckter Stadtplan zu den „Colonial Tracks“ ist kostenfrei in der Touristinformation (Mittelstraße 12), in der Universitätsbibliothek oder bei der Studienberatung der FernUni in Gebäude 3 erhältlich.
„Wir haben uns Mühe gegeben, ganz unterschiedliche Stationen in unseren Audiowalk aufzunehmen“, sagt Barbara Schneider. „Einige Orte, wie etwa das Allerwelthaus mit seinen beeindruckenden Wandbildern oder die heutige Kneipe Crocodile sind sehr lebendig, andere eher unscheinbar.“ Das in der Hagener Kneipenszene bekannte und beliebte Crocodile ist deshalb bemerkenswert, weil hier eine echte Zeitreise möglich wird. „Der Name erinnert noch an den Vorgänger ‚Krokodil‘, eine Motto-Kneipe aus den 1960er Jahren und Prestigeobjekt des Hagener Biermillionärs Carl Horst Andreas. Dessen Andreas-Pils dürfte vielen Hagenerinnen und Hagenern ein Begriff sein. „Zum Interieur der Vorgängergaststätte gehörte lange ein echtes ausgestopftes Krokodil, das über der Theke hing.“ Was viele nicht wissen: Andreas war auch leidenschaftlicher Jäger und Trophäensammler. Bilder aus seiner privaten Sammlung können ebenfalls auf der Internetseite zum interaktiven Stadtrundgang angesehen werden.
Wer weiter Richtung Dr.-Ferdinand-David-Park zum Allerwelthaus geht, kommt an zahlreichen Denkmälern und Wandbildern vorbei. Eines symbolisiert „Die drei indigenen Gesichter Amerikas“. Das Allerwelthaus selbst steht für globale Gerechtigkeit, engagierte Entwicklungspolitik, fairen Handel und Nachhaltigkeit. Claudia Eckhoff, die hier arbeitet, erzählt im Audio-Feature anschaulich, wie wichtig es ist, die Vergangenheit mit aktuellen Fragen zu Welthandel und Nachhaltigkeit zu verbinden.
Eigenartiger Entdeckergeist
Zu den unauffälligen Orten des Rundgangs gehört ein Gebäude in der Bergstraße. Wer hier landet, steht ganz unvermittelt vor dem Geburtshaus des selbsternannten Entdeckers der südlichsten Nilquelle. An dem Wohnhaus mit der Hausnummer 47 konnte Fabian Fechner eine Biografie rekonstruieren, die vorher nicht bekannt war: „Der Hagener Burkhard Waldecker hatte sich 1935 in den Kopf gesetzt, die ‚wahre‘ Nilquelle zu entdecken“, sagt der Historiker. „In Burundi wurde er dafür 1970 sogar mit einer Briefmarke geehrt. Wie bahnbrechend seine Entdeckung letztlich ist, darüber machen sich die Hörenden am besten selbst ein Bild.“
Von hier aus Richtung Hochstraße geht es zum ehemaligen Gesellschaftshaus Concordia, in dem sich Frauen auf ein Leben in den deutschen Kolonien in Afrika vorbereitet haben. Ein Kapitel, das den weiblichen Kolonialismus im Hagener Bürgertum behandelt. Und angekommen im Volkspark werden vor dem inneren Auge plötzlich wieder Schilder mit kolonialen Straßennamen sichtbar, die es in Hagen zwar seit 1947 nicht mehr gibt, aber eindrucksvoll von Stadtheimatpfleger Michael Eckhoff rekonstruiert werden. Vorbei geht es auch an der ehemaligen Gaststätte Körnereiche in der Mittelstraße, einem beliebten Treffpunkt kolonialer Vereine.
Kolonialismus im Ruhrgebiet
„Heute wirken die Geschichten von Sklaverei, Ausbeutung und Unterdrückung, die von Hagenerinnen und Hagenern mitgetragen wurden, vielleicht befremdlich“, sagt Fabian Fechner. Doch genau deshalb ist es den FernUni-Forschenden wichtig, sie nicht auszublenden. „Wir können zeigen, dass der wirtschaftliche Aufschwung einer Industriestadt wie Hagen eng mit dem Kolonialismus verknüpft ist und seine Spuren bis heute im Stadtbild verankert werden können.“ Die FernUniversität übernimmt dabei eine Scharnierfunktion, denn an dem Projekt haben viele mitgewirkt.
Fördergeld kommt von Engagement Global und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, weitere finanzielle Unterstützung von der Bezirksvertretung Hagen-Mitte und dem Hagener Heimatbund. Das ehrenamtliche Engagement lässt sich naturgemäß kaum beziffern. Maßgeblich für die Umsetzung ist die EXILE Kulturkoordination, die Kolonialgeschichte als Audio-Rundgang bereits in Essen und Duisburg erlebbar gemacht hat.