Tagung zu Reziprozität: „Wir können nicht anders!“

Wechselseitige Beziehungen machen den Menschen aus – und überhaupt erst zum sozialen Wesen. Eine interdisziplinäre Tagung beleuchtet den Begriff der Reziprozität nun näher.


Zwei Frauen in japanischer Tracht verbeugen sich voreinander. Foto: davidf/E+/Getty Images
Sprache, Blicke, Gesten: Menschliche Kultur auf der ganzen Welt zeichnet sich durch soziale Regeln aus, die auf Wechselseitigkeit beruhen.

Wer viel gibt, wird viel erhalten. Tue Gutes und dir wird Gutes widerfahren. Wie du mir, so ich dir. Man erntet, was man sät – der Volksmund kennt viele Sprichwörter, in denen es um eine Art von Gegenseitigkeit geht. Das Prinzip der Wechselwirkung – akademisch auch „Reziprozität“ – beschäftigt die Menschen seit jeher. Kein Wunder: immerhin ist kaum eine soziale Handlung denkbar, bei der es nicht um irgendeine Form von gegenseitigem Austausch geht. Die dritte Tagung der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität in Hagen nimmt das Phänomen nun näher unter die Lupe. Am 23. und 24. Januar sind alle Interessierten zur Veranstaltung mit dem Titel „Reziprozität. Annäherungen an einen Begriff aus disziplinübergreifender Perspektive” auf den Hagener Campus eingeladen.

Veranstaltung auf einen Blick

Die Tagung „Reziprozität. Annäherungen an einen Begriff aus disziplinübergreifender Perspektive” findet statt

am 23. und 24. Januar 2025,
Universitätsstraße 33
(
Gebäude 2, Raum 4 + 5),
58097 Hagen.

Anmeldung bitte bis zum 22. Januar 2025 an: sekretariat.mikrosoziologie@fernuni hagen.de

Die Veranstaltung ist kostenfrei und richtet sich an alle Interessierten. Die Organisation und Konzeption liegt bei Prof. Dr. Dorett Funcke und Dr. Julian Möhring (Ernsting‘s family-Stiftungsprofessur für Mikrosoziologie)
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Quid pro quo

Der Begriff Reziprozität beschreibt zunächst eine Form von Gegenseitigkeit oder Wechselwirkung. „Es wird etwas gegeben, und es kommt wieder etwas zurück“, erklärt Prof. Dr. Dorett Funcke. Dieses Konzept kommt häufig und in den verschiedensten Disziplinen zur Sprache – nicht nur in der Geisteswissenschaft, sondern zum Beispiel auch im juristischen Bereich. „Aber was genau ist Reziprozität? Darunter verstehen alle Disziplinen etwas anderes. Es gibt nicht die Definition“, so die Soziologin und Organisatorin der Tagung. „Deshalb lohnt es sich, wenn wir uns dazu über Fächergrenzen hinweg austauschen.“ Auf dem Programm stehen Vorträge aus der Philosophie, Soziologie, Rechts-, Geschichts-, Bildungs-, Literatur- und Medienwissenschaft.

Reziprok ist menschlich

Funcke selbst findet als Soziologin, dass der Begriff ein grundlegendes menschliches Prinzip widerspiegelt. „Reziprozität macht die menschliche Gattung überhaupt aus.“ Erst die Wechselbeziehung, der regelbasierte Austausch definiere menschliches Zusammenleben. „Wir können ja gar nicht anders als Menschen, wenn wir uns begegnen.“ Selbst eine bewusste Nichtreaktion, ist eigentlich eine Reaktion. Oder wie es der Philosoph Paul Watzlawick auf den Punkt brachte: Man kann nicht nicht kommunizieren. „Tiere haben Instinkte, die ihr Verhalten bestimmen, wie Naturgesetze. Menschen haben jedoch Optionen. Sie handeln nach bestimmten Regeln – und erst da, wo es welche gibt, besteht Kultur.“ Durch die Reziprozität vergewissern wir uns zudem unserer Individualität. „Es geht immer um Anerkennung“, hebt Funcke hervor. „Wir erkennen unser Gegenüber in seiner Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit an.“

Foto: FernUniversität
Prof. Dorett Funcke wird auch selbst einen Vortrag halten – zur Autobiografie von Albert Camus.

Wechselwirkung am Telefon

Für diese wechselseitigen Beziehungen zwischen Menschen liefert die Tagung viele Beispiele: So befasst sich etwa der Philosoph Prof. Dr. Hubertus Busche damit, was passiert, wenn zwischenmenschliche Erwartungen unterlaufen werden – beispielsweise, wenn jemand, den wir eigentlich kennen, uns bei einer Begegnung nicht grüßt. Dr. Jessika Güsken bespricht aus medienwissenschaftlicher Sicht, welche Rolle das Telefon spielt; immerhin erscheint der Fernsprech-Apparat als „reziprokes Medium par excellence“. Welche Machtdynamiken oder Freiheiten bringt der telefonische Kontakt mit sich? Weitere Vorträge befassen sich etwa mit der Reziprozität von Blicken im digitalen Raum, literarischen Metaphern oder philosophischen Texten – die Bandbreite ist groß.

Reziprozität vor Gericht?

Auch aus einer gesellschaftlichen Perspektive heraus wird Reziprozität verhandelt. Der Soziologe Dr. Julian Möhring beleuchtet sie zum Beispiel im Kontext von familienrechtlichen Prozessen. Dr. Arndt Neuman analysiert als Geschichtswissenschaftler die Rolle des Hagener Kunstmäzenen Karl Ernst Osthaus (1874-1921). Und der Jurist Dr. Juan J. Garcia Blesa blickt auf das Prinzip der Reziprozität im internationalen Rechtsdiskurs. „Ich bin sehr gespannt auf die unterschiedlichen Beiträge“, freut sich Dorett Funcke, „und lade alle Interessierten herzlich ein, zu kommen! Natürlich auch von außerhalb der Fakultät.“

 

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Benedikt Reuse | 08.01.2025