Begegnungen in einer anderen Welt

Um soziale Interaktionen zu untersuchen, etabliert FernUni-Wissenschaftlerin Dr. Sarina Schäfer eine neue Methode. Mit ihrem Team programmierte sie ein experimentelles Videospiel.


Foto: Volker Wiciok
Sarina Schäfer

Ein heller Teppichflur, Zimmerpflanzen, Deckenbeleuchtung. Manche Türen sind verschlossen, andere lassen sich öffnen. Dahinter große Büros mit Aktenschränken und Schreibtischen. Doch die Angestellten, die hier arbeiten, sind keine Menschen, sondern reptilienartige Aliens. Was wie ein sonderbarer Traum klingt, ist das Setting eines experimentellen Videospiels. Dr. Sarina Schäfer hat die Anwendung gemeinsam mit ihrem psychologischen Forschungsteam programmiert, um soziale Interaktionen zu untersuchen: Proband:innen können sich, je nach Version, mit Maus,Tastatur oder Gamepad und VR-Brille durch das Game bewegen und dabei mit verschiedenen Figuren reden. Dieser freie spielerische Ansatz erzeugt „Immersion“, wie es im Gaming-Jargon heißt – er verstärkt also das Gefühl, mittendrin zu sein, eine Situation tatsächlich zu erleben. Aus Sicht der Wissenschaftlerin ist das ein entscheidender Punkt. Denn je authentischer sich Testpersonen in einem Laborversuch verhalten, desto aussagekräftiger sind die Ergebnisse am Ende für die Forschung.

Sarina Schäfer arbeitet im Lehrgebiet Psychologische Methodenlehre und Evaluation (Prof. Dr. Oliver Christ) der FernUniversität. Die Fakultät für Psychologie förderte sie von 2022 bis 2024 als „endowed Post Doc“ mit 75.000 Euro aus Mitteln der Hochschule. Damit sicherte sich die Forscherin die personelle Unterstützung und nötige Technik, um ihr wissenschaftliches Videospielprojekt fit für umfangreiche Drittmittelanträge zu machen. Das interne Förderkonzept ging auf: Tatsächlich überzeugte Schäfer die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) davon, ihr innovatives Forschungsvorhaben für drei Jahre mit rund 365.000 Euro zu finanzieren.

Fein justierbare Forschungsdesigns

Bislang ist das Videospiel noch vergleichsweise klein und dreht sich um eine Mission: Spieler:innen reisen versehentlich in die Zukunft, wo sie erfahren, dass die Rückkehr nur mit bestimmten Kristallen möglich ist. Um diese zu erlangen, ist es notwendig, alle Räume des virtuellen Büros abzusuchen. Die Interaktion mit den dort angestellten Aliens läuft allerdings – je nach Fragestellung – mal gut und mal schlecht. „Wir können sehr spezifisch steuern, wie viele positive oder negative Erfahrungen die Personen machen“, so Schäfer. Die Interaktionen können dabei zu allen möglichen Faktoren in Beziehung gesetzt werden. Bislang blickte das Team etwa auf die individuelle Erwartungshaltung und die Reihenfolge der Begegnungen.

Es zeigt sich deutlich, dass Videospiele tolle Möglichkeiten bieten, um psychologische Studien zu gestalten.

Dr. Sarina Schäfer

Der größte Pluspunkt des Gamification-Ansatzes ist jedoch, dass er in alle Richtungen angepasst und ausgebaut werden kann. Somit denkt Schäfer schon weit über ein Schema aus wahlweise netten oder grummeligen Videospielfiguren hinaus. „Für die Zukunft planen wir zum Beispiel ein Videospiel, in das sich die Spieler:innen einmal am Tag einloggen müssen. Es gibt eine kleine Stadt, in der es kleine Aufgaben zu erfüllen gibt – zum Beispiel zum Bäcker zu gehen.“ Hier machen die Proband:innen über einen viel längeren Zeitraum Erfahrungen mit den anderen Spielfiguren. Ihr Verhalten und auch die Umgebung lassen sich dem sozialpsychologischen Interesse entsprechend modulieren.

Foto: FernUniversität
Screenshot aus dem Spiel mit Alien am Schreibtisch. Wie wird das fremde Wesen im Dialog reagieren?

Keine Berührungsängste mit Technik

Um das Projekt technisch zu stemmen, mussten sich Schäfer und ihr Team zunächst in Richtung Game-Development
fortbilden. Wie baut man ein 3D-Level mit der Game-Engine Unity? Wie implementiert man eine Steuerung mit VR-Brille? Wie setzt man einen eigenen Server auf? Der Versuchsablauf wurde in verschiedenen Konstellationen erprobt: „Wir haben die Leute ins Labor geholt und sie dort spielen lassen. Das hatte den großen Vorteil, dass wir danach ein Gespräch mit den Spieler:innen führen konnten.“ Das direkte Feedback vor Ort war gerade am Anfang sehr nützlich für das Team, um die virtuelle Testumgebung zu verbessern. Später spielten 65 Teilnehmende das Game zugleich online, verbunden in einem ZOOM-Meeting. Die Forschenden loteten so die Kapazität ihrer neuen Methode aus. „Inzwischen wissen wir, wie es läuft, und können die Leute auch zu verschiedenen Zeitpunkten spielen lassen“, sagt Schäfer. Diese asynchrone Vorgehensweise erleichtert große Befragungen. Zum Beispiel soll die inhaltliche Studie mit über 300 Proband:innen durchgeführt werden, was live nicht einfach zu koordinieren wäre.

Großer Fortschritt in zwei Jahren


Schon jetzt hat das Projekt valide Ergebnisse abgeworfen: „Wir haben einen wissenschaftlichen Artikel mit mehreren Studien publiziert, in denen wir unser Paradigma mit den Aliens im Videospiel darstellen. Das ist eine wichtige Vorausetzung dafür, dass wir inhaltlich weiterarbeiten können“, erklärt Schäfer. „Es zeigt sich deutlich, dass Videospiele tolle Möglichkeiten bieten, um psychologische Studien zu gestalten.“ Zudem führte ihr Team mehrere inhaltliche Studien durch, etwa zur Erwartungshaltung der Proband:innen. „Zuletzt haben wir noch die Implementierung in Virtual Reality getestet.“ Während der verschiedenen Durchläufe blieb das Feld der Teilnehmenden erfreulich divers, nicht alle von ihnen waren erfahre Gamer. Auch die exotischere Spielvariante mit VR-Steuerung zog noch eine gemischte Zielgruppe an: „Manche Leute hatten sogar noch nie Computer gespielt und waren einfach neugierig“, verrät die Forscherin. Das große Interesse freut sie. Schließlich beeinflusst die Teilnahmebereitschaft auch die Ergebnisqualität. Damit kommt Sarina Schäfer zum offensichtlichsten Vorteil der Methode: „Das Videospiel macht einfach mehr Spaß als ein klassischer Fragebogen.“


Fernglas-2024-cover

Beitrag aus dem Wissenschaftsmagazin fernglas 2024/2025.
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