Mehr Freiheit – mit jeder Etappe

Frank Hillebrandt ist Soziologe an der FernUniversität. Zum 25-jährigen Dienstjubiläum teilt er Erinnerungen an seinen Bildungsweg vom Bergarbeitersohn zum Universitätsprofessor.


Foto: FernUniversität
Prof. Michael Stoiber (re.) gratulierte Prof. Frank Hillebrandt – als Dekan und langjähriger Wegbegleiter.

Fester Händedruck, ehrliches Lächeln, so begrüßt Prof. Dr. Frank Hillebrandt seine Gäste. Zur direkten Art des FernUni-Soziologen passt auch seine Forschung: geradeaus mit einem starken Praxisbezug. Ob es ums Tauschen geht, Popmusik oder Rohstoffe – sein wissenschaftliches Interesse bewegte sich mit der Zeit immer näher hin zum Menschen. Zum 25-jährigen Dienstjubiläum, das der Leiter des Lehrgebiets Allgemeine Soziologie und Soziologische Theorie jetzt feierte, kann er auf viele Erfolge zurückblicken. Erst letztes Jahr ist sein jüngstes Buch erschienen: „Ereignistheorie für eine Soziologie der Praxis. Das Love and Peace Festival auf Fehmarn und die Formation der Popmusik.“ Das Fallbeispiel des Festivals von 1970, bei dem Jimi Hendrix seinen letzten Gig spielte, veranschaulicht, was dem FernUni-Soziologen wichtig ist: Besondere Ereignisse, in denen sich gesellschaftliche Umbrüche auf wenige intensive Augenblicke verdichten.

Machen statt reden

Besonders, das war Frank Hillebrandts Lebensweg zunächst nicht – er wuchs so auf wie viele in NRW: als eines von drei Kindern einer Arbeiterfamilie. Sein Vater schuftete unter Tage, in der Zeche Ibbenbüren. Niemand hätte vom jungen Bergarbeitersohn erwartet, dass er einmal Universitätsprofessor werden würden. Seine Aufstiegsgeschichte zu romantisieren, davon ist er weit entfernt: „Papa hat Schichtdienst gearbeitet, wir mussten leise sein. Wir haben keine Bücher gehabt, wir haben nichts gehabt, was dieses akademische Feld fordert!“

Sich in ein neues Milieu einzufinden, war nicht immer leicht. „Es werden hier an der Uni ganz andere Fähigkeiten abgerufen, als man im Kindesalter gelernt hat.“ Hillebrandt schaufelte sich frei, das Verhältnis zu seiner Verwandtschaft blieb indes liebevoll. Stolz besuchte der Vater seinen Sohn zur Antrittsrede auf dem Hagener Campus. „Ich habe mich nie vom Arbeitermilieu abgegrenzt“, blickt der Soziologe zurück. Man merkt es: Manchmal, wenn die akademische Diskussion zu verkopft wird, wechselt Hillebrandt zurück in pragmatischen Malocher-Slang. „Mein Vater hätte gesagt: ‚Komm, das muss jetzt einer machen!‘ Im Bergwerk kannste nicht diskutieren. Da musste anpacken.“

Foto: FernUniversität
Frank Hillebrandt 2013 mit einem wichtigen soziologischen Artefakt: einer Schallplatte von Woodstock.

Verwurzelt in Münster

1987 stieg er ins Studium der Erziehungswissenschaften ein. „Irgendwann eine Arbeit zu machen, bei der man nicht schmutzig wird, das war schon eine tolle Aussicht“, lacht Hillebrandt. Früh begeisterten ihn vor allem die soziologischen Anteile im Studium. Während eines Pflichtpraktikums kam er in Kontakt mit Straffälligen, was seine Neugierde auf Michel Foucaults Werk „Überwachen und Strafen“ weckte. „Diesen soziologischen Blick, den fand ich ziemlich gut.“ Selbst ein wenig verdutzt darüber, sofort Zugang zu solch schwerer Einstiegslektüre zu finden, schoss sich Hillebrandt auf die Soziologie ein.

Hinzu kam, dass er zur rechten Zeit auf Rolf Eickelpasch traf. Als eine Art Mentor ermutigte der renommierte Soziologe den Studenten zusätzlich, tiefer ins Fach einzutauchen. 1992 schrieb sich Hillebrandt ins Soziologiestudium ein und gab fortan Vollgas. Auch mithilfe eines Stipendiums von der Friedrich-Ebert-Stiftung gelang ihm 1998 die Promotion – mit Eickelpasch als Doktorvater. Für die Förderung ist Hillebrandt noch heute dankbar: „Ohne das hätte es nicht geklappt mit der Wissenschaft, ganz klar! Dann wäre ich nach dem Studium Sozialarbeiter geworden.“

Neues Leben in Hamburg

Trotz Doktorabschluss mit „summa cum laude“ in der Tasche, öffneten sich Hillebrandt nicht automatisch alle Türen. Im Gegenteil: „Erstmal wollte mich keiner haben“, gesteht er. „Ein Jahr habe ich erstmal rumgesessen. Das war auch nicht leicht.“ 1999 hieß es dann Aufatmen: Auf Empfehlung von Kollegen ging es weiter in den Norden, wo Hillebrandt bis 2005 an der Technischen Universität Hamburg-Harburg anheuerte. Der frische Wind in der Hansestadt gefiel ihm. „Nach Münster war das eine große Befreiung für mich. Ich habe die Großstadt richtig genossen.“ Sein damaliger Prof, Thomas Malsch, dockte als innovativer Grenzgänger an neue Wissenschaftsbereiche an, machte „absolute Avantgarde-Forschung“. So kam es zum Beispiel, dass Hillebrandt sich schon um die Jahrtausendwende intensiv mit dem Thema Künstliche Intelligenz befasste. „Ich habe hier das Gefühl gehabt, wirklich zu forschen – nicht nur irgendwelche abstrakten Bücher zu schreiben.“

Prägende Ereignisse

Es folgte ein Stipendium der Deutschen Forschungsgesellschaft, in dessen Zuge Hillebrandt die Habilitation anging. Dabei besann er sich bewusst auf ein bodenständiges Thema: Praktiken des Tauschens. „Das Buch, das daraus entstanden ist, gefällt mir noch immer.“ Beruflich kehrte Hillebrandt an die Universität in Münster zurück, war dort Mitglied im Exzellenzcluster. Es folgten verschiedene Zwischenstationen – besonders prägend: 2009 übernahm er die Vertretungsprofessur von Thomas Luckmann in Konstanz. „Einer der größten Soziologen aller Zeiten, und auf einmal saß ich in seinem Büro“, fühlt sich Hillebrandt geehrt. „Das war eine tolle Erfahrung, die mir erst das Selbstbewusstsein gegeben hat, mich auf Professuren zu bewerben.“ Den letzten Stups gab ihm schließlich der Frankfurter Soziologie-Kongress 2010, auf dem sein Buch übers Tauschen auf großer Bühne gewürdigt wurde. „Das hat mich ‚professorabel‘ gemacht.“

Angekommen in Hagen

2012 gelang Frank Hillebrandt dann der große Sprung: Er folgte dem Ruf an die FernUniversität in Hagen, wo er seither das Lehrgebiet Allgemeine Soziologie und Soziologische Theorie leitet. „Das war natürlich wieder die nächste Befreiung“, erinnert sich der Professor. „Das muss man ganz klar sagen: Was ich an der FernUni alles umsetzen konnte, war unglaublich viel.“ Unter den zahlreichen Forschungsprojekten sticht etwa die wissenschaftliche Begleitung einer großen Ausstellung zur Neuen Deutschen Welle in Hagen heraus. Auch in der Lehre bewegte Hillebrandt einiges, baute zum Beispiel ein neues soziologisches Masterstudium mit auf. „Ich fühle mich hier wahnsinnig wohl“, sagt Hillebrandt über Hagen. Nicht zuletzt identifiziert er sich mit den Idealen der FernUniversität wie sozialer Durchlässigkeit, lebenslangem Lernen und Bildung für alle.

Immer wieder betont er, wie dankbar er seinem bunt zusammengesetzten Team ist. Oft habe es ihn inspiriert und das soziologische Arbeiten damit erst ermöglicht. In den 1960ern hatte der Münsteraner Soziologe Helmut Schelsky seiner Disziplin freies Denken in absoluter Abgeschiedenheit verordnet. Frank Hillebrandt sieht das in seiner offenen Art genau anders: „So ein Blödsinn. In Einsamkeit und Freiheit? Da kommt überhaupt nix bei raus!“

 

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Benedikt Reuse | 03.12.2024