Die Gefahr von Markenskandalen
Unternehmen, die Produkte kopieren, gehen ein hohes Risiko ein. Jede Eskapade des Markenführers könnte ihren eigenen Ruf schädigen. Eine FernUni-Studie plädiert für mehr Abstand.
Nachahmungen von Markenprodukten sind ein weit verbreitetes Phänomen. Plagiate und Kopien begegnen uns überall: In der Kunst, in der Mode, aber auch bei Medikamenten, in der Unterhaltungselektronik und selbst Lebensmittel sind nicht vor Nachahmung sicher. Im Gegensatz zu exakten Fälschungen vom Schwarzmarkt, imitieren nachgemachte Produkte nur einige, aber nicht alle Merkmale des Originals und sind ganz legal unter ihrem eigenen Markennamen im Verkauf. Die Unternehmen dahinter werden auch als Copycat – Englisch für Nachahmer oder Trittbrettfahrer – bezeichnet.
„Nehmen wir zum Beispiel die vielen Cola-Getränke in den Supermarktregalen“, sagt Hendrik Sonnabend von der FernUniversität in Hagen. „Afri-Cola, Sinalco-Cola oder River-Cola – sie alle sind Kopien der ‚echten‘ Coca-Cola. Die Aldi-Eigenmarke wird in diesem Jahr beachtliche 50 Jahre alt. Das zeigt, wie lange sich Copycats bei entsprechender Unternehmensstrategie erfolgreich am Markt behaupten können.“ Und eben diese Strategie sollte laut dem Volkswirtschaftler zwar nah am Originalprodukt sein, „aber auch nicht zu nah“.
Neue Märkte erschließen
Für Unternehmen ist es durchaus vorteilhaft, ein bereits vorhandenes Produkt zu imitieren, anstatt ein neues Produkt auf den Markt zu bringen. „Die Entwicklungskosten sind niedriger oder fallen ganz weg“, sagt Hendrik Sonnabend. „Außerdem ist das Originalprodukt bereits am Markt etabliert. Die sogenannten Kinderkrankheiten sind auskuriert und die Copycats wissen daher sehr genau, wie ein Produkt dieser Art bei den Konsumentinnen und Konsumenten ankommt.“ Doch nicht nur einzelne Produkte, auch ganze Geschäftsmodelle sind beliebte Nachahmungsobjekte. So gilt zum Beispiel der Online-Versandhandel Zalando als Kopie des US-amerikanischen Zappo. „In dem Fall wurde mit einem gut funktionierenden Format ein ganz neuer Markt erschlossen – nur unter einem anderen Namen.“
Hintergrund
Die Studie „Close But Not Too Close? Optimal Copycat Strategies in the Light of Negative Publicity by the Original Product“ ist die letzte Studie, die der am 31. Juli 2022 verstorbene FernUni-Professor Joachim Grosser begonnen hat. Dr. Hendrik Sonnabend hat sie zusammen mit Dr. Bastian Westbrock fortgeführt und veröffentlicht. Für Sonnabend ist es eine Herzensangelegenheit: „Es bedeutet mir sehr viel, Professor Grossers akademisches Andenken zu bewahren.“
Allerdings birgt das Kopieren von Produkten und Ideen nicht nur Vorteile, sondern auch eine Reihe an unvorhersehbaren Risiken. „Ein Markenskandal ist ein solcher Vorfall. Manchmal kann es sich auch um eine ganze Serie von Ereignissen handeln, die das öffentliche Image und den Ruf einer Marke erheblich beschädigen“, ordnet Sonnabend ein. Solche Skandale können verschiedene Ursachen haben und in verschiedenen Formen auftreten. „Wenn Produkte aufgrund von Sicherheitsmängeln oder Verunreinigungen zurückgerufen werden müssen. Oder wenn Unternehmen in betrügerische Aktivitäten verwickelt sind, wie die Manipulation von Testergebnissen, da fällt mir zum Beispiel der Abgasskandal bei Volkswagen ein.“ Aber auch wenn Führungskräfte oder prominente Vertreter eines Unternehmens in Skandale verwickelt sind, könne die Marke Schaden davontragen – etwa bei sexueller Belästigung, Diskriminierung oder illegalen Aktivitäten.
Sicherer Abstand als Lösung
Ein Markenskandal kann weitreichende Folgen haben, vor denen auch die Copycats nicht sicher sind. „Die können genauso Einbußen haben oder Vertrauensverlust erfahren“, sagt Sonnabend. Je nach Größenordnung kann das Vertrauen in die Marke oder das Geschäftsmodell sogar erheblich beschädigt werden. „Wir erinnern uns an die Berichte zu miesen Arbeitsbedingungen bei Amazon, was den gesamten Online-Handel in Frage gestellt hat. Ein solcher Skandal kann zu sinkenden Umsätzen, fallenden Aktienkursen und hohen Kosten für Krisenmanagement und rechtliche Angelegenheiten führen.“
Kommt es zu einem Markenskandal, muss sich das kopierende Unternehmen entscheiden, ob es weiterhin die Nähe zum Markenführer oder die Abkopplung mit eigenständiger Produktentwicklung wählt. Hendrik Sonnabend ist an einer Studie beteiligt, die zeigt, dass es für die Nachahmer von vornherein optimal sein kann, eine Strategie des sicheren Abstands zu verfolgen. Denn diese gewährleistet einen gewissen Schutz vor den negativen Auswirkungen eines Markenskandals. Die Entscheidung für oder gegen Nachahmung hängt also von einem Kompromiss zwischen hohen Entwicklungskosten und der Möglichkeit negativer Effekte ab, wie sie durch Markenskandale hervorgerufen werden.
Qualität gewinnt
„Unsere theoretische Analyse legt nahe, dass Nachahmer, die die Wahl zwischen Nachahmung und eigenständiger Produktentwicklung haben, sich aufgrund hoher Entwicklungskosten lieber für eine höhere Qualität bei dem nachgemachten Produkt entscheiden als für eine neue Produktentwicklungsstrategie“, fasst Sonnabend zusammen. Die Kundinnen und Kunden des Nachahmers profitieren letztendlich von der höheren Produktqualität und die Kunden des Markenführers von einem intensiveren Preiswettbewerb zwischen dem Marktführer und den Copycats.
Die Studie macht ein bislang in der Literatur unbeachtetes Problem anschaulich: Ist ein Skandal hinreichend wahrscheinlich, dann entscheidet sich der Nachahmer für ein eigenes Produkt, auch wenn Copycatting in Bezug auf individuelle Präferenzen, Nutzenmaximierung und soziale Wohlfahrtsziele, gesellschaftlich optimaler wäre. Sonnabend sieht hierin einen Auftrag für Wettbewerbsbehörden. „Eine Wettbewerbsbehörde könnte Qualitätsstandards zum Schutz vor Markenskandalen einführen, was wiederum das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in die Produkte stärken würde.“