„Trump 2.0“: Stürmische Zeiten für den internationalen Handel
Seit zehn Jahren analysiert Prof. Hans-Jörg Schmerer die US-amerikanische Außenwirtschaftspolitik – und sieht in Donald Trump neue Herausforderungen für sein Forschungsfeld.

Donald Trump hält die Welt in Atem. Mit seiner aggressiven Zollpolitik hat der US-Präsident internationale Spannungen verschärft und die Märkte erschüttert. China reagierte umgehend mit Gegenzöllen auf US-Produkte. Wie wird sich die Lage weiterentwickeln? Droht eine Eskalation, gar eine Weltwirtschaftskrise?
Zölle und TikTok
„Wir sollten als EU besonnen bleiben und nicht überstürzt handeln“, rät Prof. Hans-Jörg Schmerer zu einem kühlen Kopf. Vergeltungsmaßnahmen würden die Situation nur verschlimmern. „Meines Erachtens hofft die US-Regierung sogar darauf, um eine Eskalationsspirale in Gang zu setzen.“ In deren Windschatten könnte die Inflation galoppieren und könnten die Preise steigen. „Donald Trump setzt Zölle als Instrument ein, um seine Interessen durchzusetzen. Das ist ein ganz anderer Trump, den ich jetzt beobachte, als in seiner ersten Amtszeit. Wir haben es gewissermaßen mit Trump 2.0 zu tun.“

Schmerer verweist auf das Beispiel China und TikTok: „Trump nutzt Zölle, um wirtschaftspolitischen Druck auszuüben. So wurde China gezwungen, den Verkauf der Videoplattform an US-Investoren in Betracht zu ziehen.“ Seiner Meinung nach steckt dahinter eine Strategie: „Im Chaos können Regeln abgeschafft werden, die dem Geschäft schaden, etwa Datenschutzbestimmungen.“ Statt wahllose Zölle zu erheben, wäre eine gezielte Besteuerung der High-Tech-Industrie sinnvoller.
Begrenzter Spielraum
Prof. Hans-Jörg Schmerer ist Volkswirt und beschäftigt sich seit zehn Jahren an der FernUniversität in Hagen mit internationaler Ökonomie; seit April 2015 hat er den Lehrstuhl inne. Für ihn galt es lange als sicher, dass die Globalisierung unaufhaltsam voranschreitet und der Maßstab bleibt. Doch Trumps Protektionismus stellt diese Annahme infrage. Dass Zölle der amerikanischen Wirtschaft schaden, ist eine Erkenntnis, die sich in jedem Lehrbuch der Internationalen Ökonomie findet – „und das ist der US-Regierung mit Sicherheit bekannt. Allerdings gibt es theoretisch einen Sonderfall: die Einführung von Zöllen durch ein großes Land“, erklärt Schmerer. In diesem Fall könnte ein Nachfragerückgang seitens des großen Landes dazu führen, dass der Weltmarktpreis sinkt. Dadurch hätte die Regierung die Möglichkeit, Zolleinnahmen zu generieren, ohne dass die Preise für importierte Güter im Inland stark ansteigen.
Schmerer vermutet, dass Anhänger der Bewegung „Make America Great Again“ sich nicht lange mit dem Szenario der Zolleinführung in einem kleinen Land aufhalten, sondern direkt den Fall der Zolleinführung durch ein großes Land in Betracht ziehen. „Vielleicht ist dieser theoretische Sonderfall auch tatsächlich die akademische Rechtfertigung für die aktuelle Zollpolitik in den USA. Allerdings bezweifle ich, dass die USA groß genug sind, um einen solchen Preiseffekt auf dem Weltmarkt herbeiführen zu können.“
Macht statt Interessenausgleich
Auch Ursula Müller, die am Lehrstuhl promoviert und in den USA lebt, bestätigt Schmerers Annahme im Interview. Sie sieht eine tiefgreifende Transformation: „Mit ‚Make America Great Again‘ hat Trump im Land einen Nerv getroffen. Viele Amerikaner glauben, Europa habe die USA ausgenutzt. Jetzt wollen sie Taten sehen – und Trump liefert.“ Dabei breche er bewusst mit Normen und setze auf Macht statt auf Interessenausgleich. Das schaffe Unsicherheit, betont Müller, die ihre Dissertation kürzlich an der FernUniversität eingereicht hat – am Tag des zehnjährigen Lehrstuhl-Jubiläums am 1. April 2025.

Es war ihr ein Anliegen. Ursula Müller fühlt sich der FernUniversität verbunden. „Die FernUniversität ist meine Alma Mater.“ Von 1985 bis 1992 hat sie an der FernUni Volkswirtschaft studiert, während sie als Diplomatin in Tansania und Australien gearbeitet hat. Als Beigeordnete Generalsekretärin für humanitäre Angelegenheiten im Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) war sie von Januar 2017 bis 2020 die ranghöchste deutsche Mitarbeiterin im UN-System. 2020 kam sie für das Promotionsstudium zurück an die FernUni – und konzentrierte sich darauf. „Als Diplomatin war ich Generalistin, ich wollte mal tiefer bohren und wissenschaftlich arbeiten.“ Die Themen ihrer kumulativen Dissertation sind eng an die Themen des Lehrstuhls geknüpft.
Chancen für Europa
Trotz der Herausforderungen sieht Müller auch Chancen: „Europa sollte aktiv Partnerschaften ausbauen, etwa mit Kanada, und die Bindung zu Großbritannien aufleben lassen.“ Schmerer ergänzt: „Wir können versuchen, wieder ein gesundes Verhältnis zu China aufzubauen.“ Schmerer war wissenschaftlich eng mit dem asiatischen Land verbunden, bevor Russland die Ukraine angegriffen hat. „Die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit China wieder aufleben zu lassen, wäre eine Chance für die FernUni“, meint auch Müller. „China rückt im Moment von Russland ab.“
Vielleicht ist ein theoretischer Sonderfall die akademische Rechtfertigung für die aktuelle Zollpolitik in den USA.
Prof. Hans-Jörg Schmerer
Beide sind sich einig darin: Europa und Deutschland dürfen sich nicht unter Druck setzen lassen. Zölle sind schnell eingeführt, aber die Folgeschäden können Jahrzehnte andauern“, warnt Schmerer.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren langwierige Verhandlungen erforderlich, um das weltweit explodierte Zollniveau wieder auf ein vernünftiges Maß zu senken. Jeder heute eingeführte Zoll wird wahrscheinlich deutlich länger Bestand haben als die derzeit amtierende US-Regierung, die vier Jahre im Amt sind.
„Wir müssen durch Gespräche und Verhandlungen eine Lösung herbeiführen“, setzt die ehemalige Diplomatin stattdessen auf Diplomatie. Ursula Müller hat Erfahrung, sie hat auf fast allen Kontinenten und in vielen Krisengebieten für das Auswärtige Amt gearbeitet. „Lösungen entstehen, wenn sich Vertrauen und Verlässlichkeit aufgebaut haben.“ Sie verweist auf Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der Trump mit einer Mischung aus Haltung und Charme begegnete. „Man muss eigene Stärke zeigen und gleichzeitig die des anderen anerkennen.“ Respekt zollen, darum ginge es. „Nur so überwinden wir Spaltungen.“
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Von 2017 bis 2020 war Ursula Müller Beigeordnete Generalsekretärin und stellvertretende Nothilfe-Koordinatorin der Vereinten Nationen im Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) in Washington.
Den Weg in den diplomatischen Dienst trat sie unmittelbar nach ihrem Abitur 1984 an – und erfüllte sich damit ihren Berufswunsch. Seitdem hat sie auf fast allen Kontinenten in verschiedenen Positionen gearbeitet: in Afrika, Asien, Australien, Europa und Nordamerika, u.a. in Krisenherden wie Afghanistan. Ihr Interesse, für Deutschland im Dienste der internationalen Politik tätig zu sein, hat sie über das Auswärtige Amt, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und die Weltbank bis hin zu den Vereinten Nationen gebracht.
Während ihrer Zeit im Auswärtigen Amt hat Ursula Müller Volkswirtschaft an der FernUniversität in Hagen studiert. Die Flexibilität an der FernUni machte dies möglich. Das Studium reiste mit nach Afrika und Australien, die Studienmaterialien kamen jeweils per Kuriersack. Auf demselben Weg schickte sie damals ihre Einsendeaufgaben zurück. Klausuren schrieb sie unter Aufsicht in der Botschaft.
Für Ursula Müller bestehen Parallelen zwischen ihrer Berufserfahrung und ihrer wissenschaftlichen Forschung. „Ich ziehe viel Energie aus der akademischen Arbeit. Wie in der Diplomatie erfordert auch die Forschung die Bereitschaft, Perspektiven zu wechseln“, sagt sie. Außerdem brauche man für beides einen langen Atem. „Die Dissertation ist ein Marathon, für diplomatische Verhandlungen braucht man Geduld.“
Vernetzung zwischen Wissenschaft und Praxis
Für Ursula Müller und Prof. Hans-Jörg Schmerer steht fest: Ihre wissenschaftliche Zusammenarbeit wird über die Promotion hinaus weiterlaufen – an spannenden Fragen zur Außenwirtschaftstheorie mangelt es nicht. Während Europa seinen Kurs zwischen Protektionismus und Partnerschaft neu ausrichtet, bleibt ungewiss, ob „Trump 2.0“ die globalen Handelsstrukturen langfristig umwälzt.
In rund anderthalb Jahren stehen in den USA die Midterms an, die Zwischenwahlen unter anderem zum Kongress. Sie gelten als Abstimmung über die Politik des Präsidenten.