Familienrechtspsychologie an der FernUni

Das Thema ist ein wichtiger Baustein in der praxisorientierten Forschung und Lehre der FernUniversität. Louisa Arnold gibt Einblicke – als Wissenschaftlerin und Sachverständige.


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Psychologin Louisa Arnold ist Expertin für angewandte Diagnostik.

Scheint das Wohlergehen von Kindern gefährdet, ist schnelles Handeln gefragt: Ein professionelles Gutachten bringt Klarheit, wie die Situation in der Familie aussieht. Aber wie entsteht es eigentlich? „Wir führen viele Gespräche mit den Eltern und wir beobachten die Interaktion mit den Kindern systematisch“, erklärt Dr. Louisa Arnold. „Wir verabreden uns dazu mit den Kindern und Eltern, fordern sie auch mal mit speziellen Aufgaben heraus und diagnostizieren so das Verhalten.“

Arnold ist Sachverständige im Bereich familienrechtspsychologischer Begutachtungen. Außerdem arbeitet sie als Wissenschaftlerin im Lehrgebiet Gesundheitspsychologie (Prof. Dr. Christel Salewski). Vor kurzem veranstaltete sie eine Fachtagung am Campusstandort Leipzig der FernUniversität: Begutachtung und Kinderschutz bei Familien mit Migrationshintergrund. Das Angebot richtete sich an Anwält:innen, Sachverständige, Familienrichter:innen Verfahrensbeistände oder auch Mitarbeitende von Jugendämtern oder Beratungsstellen. „Das sind die Berufe, die bei einem familienrechtlichen Verfahren beteiligt sind“, erklärt die Psychologin. „Alle haben ihre spezifischen Erfahrungen in den Panels eingebracht.“

Andere Sprachen, andere Baustellen

Welche Fallstricke gibt es, wenn Eltern aus anderen kulturellen Kontexten kommen? Als Beispiel nennt Arnold die Sprachbarriere. „Das Feld ist durchaus bürokratisch. Da kommt es manchmal auf sprachliche Feinheiten an.“ Wie lässt sich mit solchen Problemen umgehen? „Die Antwort hängt sehr von den Details und dem kulturellen Hintergrund ab.“ Bei manchen hilft eine simultane Übersetzung, bei anderen kann bereits die Anwesenheit von Dolmetscher:innen einer anderen ethnischen Gruppe als sehr störend empfunden werden.

Generell plädiert die Psychologin für eine gewisse Toleranz. Zum Beispiel ist das Schlagen von Kindern Tabu in Deutschland. Den Erziehungspersonen aus anderen Kulturen ist diese rote Linie aber teils einfach nicht bekannt, da in ihrer Herkunftsgesellschaft völlig andere Normen gelten. Hier muss Raum für Aufklärung bleiben – denn viele Familien sind durchaus bereit, sich an hiesige Maßstäbe anzupassen. „Manchmal ist das ein Prozess, den man den Leuten zugestehen muss“, wirbt Arnold für ein umsichtiges Vorgehen. „Wenn möglich, sollte man den Leuten die Chance geben, zu verstehen und ihr Verhalten daraufhin zu ändern.“

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Die Situation in einer Familie fair zu beurteilen, ist nicht leicht – das Gutachten sollte nach professionellen Standards erstellt werden.

Familienarbeit mit migrantischen Vätern

Als wichtiger Punkt erscheint auch das Geschlecht – vor allem der Umgang mit Männern kann knifflig sein, so Arnold: „Bei Familien mit Migrationshintergrund erleben einige gerade die Zusammenarbeit mit den Vätern als Herausforderung.“ Dabei besteht auch hier Potenzial, die Verhältnisse langfristig zu bessern: „Viele Väter sind in ihrem Denken schon sehr familienorientiert, aber haben dabei häufig keine Ausrichtung auf Care-Arbeit, sondern sehen sich eher als die ‚erziehende‘ Figur.“

Es kann sein, dass die betreffenden Väter unbeabsichtigt in ihre strenge Rolle hineinrutschen. „Oft findet die Retraditionalisierung der patriarchalen Rolle erst nach der Umsiedlung nach Deutschland statt“, so die Psychologin. „Wenn der Vater zum Beispiel arbeitslos wird und er seine Rolle als ‚Ernährer‘ verliert, dann schwächt das seine Rolle in der Familie.“ Diesen Bedeutungsverlust kompensiert er dann „nach innen“. Hier könne es helfen, das Selbstbewusstsein der Väter bewusst zu stärken – etwa durch Hilfe beim erneuten Berufseinstieg.

Skepsis gegenüber Frauen

Ein anderes Problem der Männer kann eine reservierte Haltung gegenüber Frauen sein, die im Bereich der Familienarbeit verstärkt tätig sind. „Die Väter stehen oft vielen Frauen gegenüber, da blockieren sie teilweise.“ Was oft als misogyn wahrgenommen werde, sei bisweilen schlicht Unsicherheit. „Gespräche mit Frauen auf dieser persönlichen Ebene sind für diese Männer vollkommen ungewohnt.“ Oft brauche es nur etwas mehr Zeit, bis anfängliche Vorbehalte überwunden werden.

Forschung zu Qualität von Gutachten

Das Lehrgebiet Gesundheitspsychologie, unter anderem spezialisiert auf angewandte Diagnostik, hat einige Erfahrung mit familienrechtlichen Gutachten. 2015 veröffentlichte Lehrgebietsleiterin Prof. Dr. Christel Salewski gemeinsam mit dem FernUni-Sozialpsychologen Prof. Dr. Stefan Stürmer eine Studie, die offenlegte, wie mangelhaft viele Gutachten sind. „Das war damals sehr aufsehenerregend“, erinnert sich Arnold. „Es wurde viel diskutiert, ob es nicht verbindliche Mindeststandards geben müsse.“ Fachgesellschaften und Berufsverbände einigten sich schließlich auf Vorgaben. „Seitdem hat allerdings noch niemand systematisch überprüft, ob sich die Gutachtenqualität wirklich verbessert hat.“ Das soll sich bald ändern: „Wir bereiten uns gerade darauf vor, die Studie zu wiederholen.“ Dabei wollen die Wissenschaftler:innen auch darauf achten, wie kultursensibel die Gutachten vorgehen. „Werden psychologische Fragebögen eingesetzt, die auch interkulturell anwendbar sind?“

Familienrechtspsychologie im Fernstudium

Die Expertise am Lehrgebiet kommt mittelbar auch den Fernstudierenden zugute: Anfang des Jahres trafen sich über 200 Studierende auf dem Hagener Campus für das Master-Seminar Begutachtung und Kommunikation. „Dort haben die Studierenden mit praktischen Übungen trainiert, wie ein gutachterlicher Prozess funktioniert“, erklärt Arnold. „Dass wir an der FernUni das Thema der familienpsychologischen Begutachtung so vertiefen, ist schon etwas besonders. So ein Angebot haben nicht alle psychologischen Studienprogramme.“ Betreut wurden die Arbeitsgruppen von verschiedenen Profis aus der beruflichen Praxis. „Das gibt unseren Studierenden eine spannende Expertise.“

 

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Benedikt Reuse | 07.02.2025