Lateinamerika zu Gast in Hagen
Die FernUni pflegt einen engen deutsch-lateinamerikanischen Austausch – mit anhaltendem Erfolg: Gerade forschen Gäste aus Chile, Brasilien, Argentinien und Mexiko auf dem Campus.
Spanisch, Portugiesisch, Englisch, Deutsch – viele Sprachen waren zu hören beim Treffen, das Prof. Thomas Sören Hoffmann mit seinen Forschungsgästen aus Lateinamerika veranstaltete. In seinem Lehrgebiet „Praktische Philosophie: Ethik, Recht, Ökonomie“ arbeiten dank des deutsch-lateinamerikanischen Forschungs- und Promotionsnetzwerks FILORED momentan vier Personen aus Lateinamerika: Cecilia Giudice aus Argentinien, Tales Macêdo aus Brasilien, Fernando Turri aus Chile und Eric Chanocua Esquivel aus Mexiko. Passend zur FernUniversität laufen ihre Promotionen flexibel und weitgehend ortsunabhängig ab. „Die Disputationen finden in der Regel online statt“, erklärt Prof. Hoffmann. „Weil es Doppelpromotionen sind, gibt es auch zwei bei der Disputation und der Notenfindung kooperierende Kommissionen – eine in Hagen und eine an der jeweiligen Partneruniversität.“
Das Verfahren ist modern, klassisch philosophisch indes sind die Themen der Doktorarbeiten: „Ich beschäftige mich mit dem Begriff des Verstandes bei Hegel“, fasst Fernando Turri zusammen. Er möchte nachweisen, dass dieser Teil von Hegels spekulativer Methode ist. Ebenfalls mit Hegel befasst sich Tales Macêdo. Er untersucht die Beziehung der Begriffe „Angst“ und „Verzweiflung“ im Abgleich zwischen Hegel und Kierkegaard. Eric Chanocua interessiert der Wahrheitsbegriff Hegels, auch im Vergleich zu anderen heute diskutierten Wahrheitstheorien. Im Kontrast dazu erforscht Cecilia Giudice ein phänomenologisches Thema – und hat sich Edith Stein (1891-1942) verschrieben. „Als ich von ihr gelesen habe, kam es mir immer vor wie ein Echo meiner eigenen Ideen und Erfahrungen“, sagt die Argentinierin. Mit ihrer Doktorarbeit möchte sie nicht zuletzt zu einer gerechten Würdigung der Philosophin und Starschülerin des Begründers der Phänomenologie Edmund Husserl beitragen.
Essenzielle Förderungen
Alle vier Forschungsgäste sind dankbar für die wissenschaftliche Betreuung im Hagener Lehrgebiet. Die finanziellen Zuwendungen bilden das Fundament ihrer philosophischen Promotionsvorhaben: „Aufgrund der sozioökonomischen Lage sind die staatlichen Förderungen für uns sehr wichtig“, bekräftigt etwa der Mexikaner Eric Chanocua Esquivel. „In unserem Land selbst sind die Chancen auf Stellen und Förderungen gering, um eine Doktorarbeit schreiben zu können.“ Er und seine zwei Kollegen erhalten Mittel aus dem Stipendien- und Betreuungsprogramm (STIBET), finanziert vom Auswärtigen Amt und vergeben vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Cecilia Giudice bekommt durch ein Abschlussstipendium der FernUniversität Aufwind für ihr internationales Promotionsvorhaben. Dabei geht es nicht nur um Finanzierungsfragen, sondern um klare logistische Vorteile, weiß Hoffmann. Als Beispiel nennt er den Zugang zu einschlägigen Bibliotheken: „Bei FILORED machen auch andere deutsche Universitäten mit – etwa die Ruhruniversität Bochum unweit von hier, wo es bis vor kurzem das Hegel-Archiv gab.“
Tragende Säule internationalen Austauschs
Hoffmann hat viel Erfahrung mit lateinamerikanischen Akademikerinnen und Akademikern gesammelt, spricht selbst zahlreiche Sprachen fließend. FILORED hat er maßgeblich mitaufgebaut. „2011 haben die ersten Vorarbeiten begonnen“, resümiert er. Seither gehen zahlreiche Erfolge auf das Konto des Netzwerks: „Den Startschuss unseres öffentlichen Auftretens bildete der erste Deutsch-lateinamerikanische Hegelkongress in Buenos Aires 2014, der unter der Schirmherrschaft der deutschen Botschaft in Argentinien stand“, so der Philosophie-Professor. „In den vergangenen zehn Jahren wurden zehn Doppelpromotionen zwischen Hagen und diversen lateinamerikanischen Universitäten erfolgreich zum Abschluss gebracht, sechs Projekte laufen aktuell.“
Auch internationale Tagungen mehren das Renommee der FernUniversität im Ausland: In der Vergangenheit gab es bereits drei große Hegelkongresse in Buenos Aires, Valparaíso, Lima und Cusco – und der nächste sei bereits in Planung: 2025 in Mexiko-Stadt und Puebla. Hoffmann liegt es am Herzen, gedanklich nicht auf der Stelle zu treten und offen zu bleiben. „Wir haben in Mitteleuropa meist einen anderen Zugang, wenn wir die alten philosophischen Klassiker aufschlagen“, schildert er seine Sicht als Hegel-Experte. „In Lateinamerika bestehen ganz eigene Interessen, die mit der vergleichsweise jungen Rezeptionsgeschichte zusammenhängen, aber natürlich auch mit lokalen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen.“ Gerade die Neugierde auf die jeweiligen philosophischen Eigenarten verbinde die Forscherinnen und Forscher aus den verschiedenen Ländern.
Entscheidende Karrierestationen
Zu den großen Hegelkongressen hinzu kommen sieben Fachtagungen an verschiedenen Standorten, die letzte davon 2024 in Montevideo. „All unsere Kongresse ermöglichen dem wissenschaftlichen Nachwuchs, an die Öffentlichkeit zu gehen“, so Hoffmann. Viele stünden hier zum ersten Mal vor einem größeren Fachpublikum. In der Regel werden Tagungsbeiträge im Nachhinein von FILORED publiziert. Ob online, als E-Books oder im Print: vor allem aus Sicht des wissenschaftlichen Nachwuchses sind solche Veröffentlichungen wichtige Meilensteine, die Wahrnehmung schaffen und die eigene Reputation erhöhen. „Das sind die Einstiegspunkte in eine wissenschaftliche Karriere“, ermutigt der Hagener Professor und lädt alle Interessierten herzlich ein, am Netzwerk zu partizipieren.
Einordnung vom Prorektor
„Das Promotionsnetzwerk FILORED stellt ein sehr großes und aktives Promotions- und Forschungsnetzwerk dar, in das das philosophische Institut der FernUniversität schon lang eingebunden ist. Die Förderung von kurzen Aufenthalten der Promovierenden aus den Partnerländern belebt diese Kooperation und stützt den Austausch zwischen den deutschen und lateinamerikanischen Partnern. Schon viele Promovierende konnten so engen Kontakt mit ihrem Betreuer erhalten und erfolgreich ihren Abschluss an der Fakultät KSW erlangen. Das honoriert auch der DAAD, indem er für die Gastaufenthalte regelmäßig Mittel im Rahmen der Förderlinie STIBET bereitstellt, die von der FernUniversität für Gastaufenthalte ausländischer Promovierender eingesetzt werden dürfen. Voraussetzung für die Förderung durch das DAAD STIBET-Programm ist ein solches kooperatives Promotionsnetzwerk, das binationale Promotionen durchführt.“
Prof. Dr. Stefan Smolnik, Prorektor für Forschung und Digitalisierung