Mehr Gemeinsamkeiten als gedacht?
Der eigenen sozialen Gruppe fühlen wir uns besonders verbunden. Allerdings gibt es mehr als nur die eine Ingroup. Ein Workshop untersucht multiple Gruppenzugehörigkeiten.
Zu welcher Gruppe fühlen wir uns eigentlich zugehörig? Für die Sozialpsychologie ist das eine der zentralen Fragen. Denn die eigene Gruppe (Ingroup) finden Menschen nachweislich sympathischer, haben mehr Vertrauen zu ihr und kooperieren lieber mit ihr. Doch die klassische Zweiteilung in nur eine In- und eine Outgroup greift häufig zu kurz, findet Prof. Dr. Angela Dorrough von der FernUniversität in Hagen. „Personen gehören ja nicht nur einer sozialen Gruppe an. Ich beispielweise gehöre zur Gruppe der Wissenschaftler:innen. Aber auch zur Gruppe der Deutschen oder der der Frauen.“ Die Psychologieprofessorin nennt diese Überschneidung „multiple Kategorisierung“. „Ich behandele das Thema schon länger mit meiner Kooperationspartnerin Pinar Uğurlar aus Istanbul“, erklärt sie (s. Infobox). In dem Ansatz sieht Dorrough viele Chancen: Mutmaßlich lässt sich der Spalt zwischen einer wahrgenommenen Ingroup und Outgroup verringern, indem man alternative Gruppenzugehörigkeiten hervorhebt, die Menschen teilen. „Damit könnte man Polarisierungen entgegenwirken“, so die Hoffnung. Ein Beispiel: Zwei Personen mit verschiedener nationaler Herkunft könnten sich gegenseitig als fremd wahrnehmen – die geteilte Zugehörigkeit zur Ingroup „Sportverein“ schlägt jedoch eine Brücke zwischen beiden.
Gemeinsame Publikation zum Thema
Uğurlar, P., Dorrough, A. R., Isler, O., & Yilmaz, O. (2023). Shared group memberships mitigate intergroup bias in cooperation. Social Psychological and Personality Science, https://doi.org/10.1177/19485506231209788
Workshop vernetzt zum Thema
Hierzu forschen Dorrough und ihr Team vom Lehrgebiet Behavioral Economics und Interkulturelle Psychologie intensiv. Passend dazu richten sie am 18. und 19. Dezember einen Workshop zum Thema „Multiple Categorization“ auf dem Hamburger Campus der FernUniversität aus. Er wird durch den Internationalisierungsfond der FernUniversität gefördert und richtet sich in erster Linie an Wissenschaftler:innen mit Bezug zum Forschungsthema. Daneben steht die Veranstaltung auch einem breiteren Publikum offen: Am ersten Tag gibt es zahlreiche Vorträge zum Thema, zum Beispiel zu Kooperation und zu Stereotypen: „Dort können gerne Studierende und alle anderen Interessierten dazukommen“, lädt Angela Dorrough ein. Damit möglichst viele mitmachen können, ist der erste Tag hybrid geplant, die unterschiedlichen Vorträge werden online gestreamt. Alle Infos und Anmeldung
Standortvorteil nutzen
Das Team hat bewusst den nördlichsten Campus der FernUni ausgewählt: „Hamburg ist als Veranstaltungsort sehr attraktiv“, so Dorrough. „Auch, weil viele internationale Gäste kommen, die teils noch nie in Deutschland waren.“ Zugänglichkeit soll an erster Stelle stehen: „Mit der Ortswahl machen wir den Workshop so leicht erreichbar wie möglich.“ Denn strategisches Ziel ist es, eine feste Community zu bilden, die sich dem Thema der multiplen Kategorisierung verschreibt: „Beim Workshop wollen wir uns mit den Leuten austauschen, die ähnliche Forschung machen – und dann letztendlich auch ein internationales Verbundprojekt, zum Beispiel über die Förderlinie Horizon Europe anstoßen.“
FernUni-Forschung geht voran
Die eigene Forschung des Lehrgebiets fördert bereits jetzt viele neue Erkenntnisse zutage. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet etwa Bernhard Schubach mit seiner Promotion. Ein Etappenziel der Forschenden: die Merkmale herauszufinden, die für die Wahrnehmung von Gruppenzugehörigkeit in unterschiedlichen Situationen besonders relevant sind. So sind Experimente geplant, bei denen sich die Versuchspersonen in einer Kooperationssituation Infos über andere wahlweise zukaufen können – zu Religion, politischer Orientierung, Geschlecht, und so weiter. An den „Kaufentscheidungen“ können die Forschenden dann ablesen, auf welche Gruppenzugehörigkeiten Menschen besonders achten. Das sorgt für Orientierung im Dschungel aller denkbaren Gruppen. „Auf was sollen wir fokussieren?“, fasst Schubach die Kernfrage zusammen. „Es gibt so viele Zugehörigkeiten. Die sind natürlich nicht alle gleich relevant.“
Einfache Mittel gegen große Probleme
„Gerade sind wir noch sehr deskriptiv unterwegs“, erklärt Schubach die beobachtende Haltung der Forschung. Langfristig möchte das Team auch geeignete Interventionen testen. „Oft erfährt man im globalen Kontext nur den Namen einer Person, mit der man interagiert. Allein damit sind aber schon ganz viele Stereotype verbunden – etwa mit Blick auf die Herkunft“, nennt Dorrough ein mögliches Anwendungsbeispiel. „Dem könnte man in Unternehmen mit kleinen Steckbriefen entgegenwirken, die erklären, wofür sich eine Person interessiert, etwa fürs Thema Klima.“ Solches Kontextwissen könnte schon dabei helfen, gemeinsame Interessen zu identifizieren und Vorurteile zu reduzieren.