Wie der Rohstoff, so die Gesellschaft
Stein, Stahl, Streaming-Daten? Ressourcen begleiten den gesellschaftlichen Wandel. Das Lehrgebiet von FernUni-Soziologe Prof. Frank Hillebrandt forscht dazu im Projekt „ReForm“.
Ressourcen und gesellschaftlicher Wandel hängen eng zusammen. Nicht von ungefähr sind ganze Entwicklungsphasen der Menschheit nach essentiellen Rohstoffen benannt – Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit. „Natürlich sind Menschen an sozialen Wandlungsprozessen beteiligt; aber immer in Verbindung mit materiellen Voraussetzungen“, erklärt Prof. Dr. Frank Hillebrandt, Soziologe an der FernUniversität in Hagen. Um diesen Zusammenhang weiter zu erforschen, finanziert die Leibniz-Gemeinschaft für die nächsten vier Jahre einen neuen interdisziplinären WissenschaftsCampus in Bochum: „Resources in Transformation (ReForm)“. Hier treffen sich Forschende verschiedener Wissenschaftsbereiche, um im Verbund zu arbeiten. Vonseiten der FernUniversität beteiligt sich Prof. Hillebrandt mit seinem Lehrgebiet „Allgemeine Soziologie und Soziologische Theorie“. Kooperationspartner sind das Deutsche Bergbau-Museum Bochum – Leibniz-Forschungsmuseum für Georessourcen, die Ruhr-Universität Bochum und die Technische Hochschule Georg Agricola.
Das nächste Etappenziel besteht darin, konkrete Forschungsvorhaben anzustoßen. Keine einfache Aufgabe angesichts der großen Heterogenität – von der Archäologie über die Material- und Wirtschaftswissenschaft bis zur Neueren Geschichtswissenschaft. Doch gerade hierin sieht Frank Hillebrandt die wesentliche Stärke des Projekts. „Verschiedene Disziplinen sprechen sehr unterschiedliche Sprachen. Deswegen ist es nicht ganz leicht, eine gemeinsame Basis zu finden“, räumt er ein. „Gleichzeitig wissen wir aber alle, dass sich viele Dinge nicht mehr nur von einer Disziplin erklären lassen.“ Das gelte auch für das Thema Ressourcen. „Nur aus der Soziologie heraus würde das nicht gehen.“ Hillebrandts Lehrgebiet hat mit seinem finanziellen Kontingent bereits eine Koordinierungsstelle für Theorien eingerichtet, die der Archäologe Dr. Johannes Jungfleisch besetzt.
Stark durch Vielfalt
Der FernUni-Professor hat bewusst einen Archäologen für die Vermittlungsposition ausgesucht. Denn die ersten Brücken zur Hagener Soziologe wurden von der Archäologie im Deutschen Bergbau-Museum Bochum aus geschlagen. „Beide Disziplinen haben eigentlich wenig miteinander zu tun. Das haben wir für unseren WissenschaftsCampus geändert“, so Hillebrandt. „Die Archäologie ist nämlich eine Wissenschaft, die sich sehr stark mit materiellen Voraussetzungen für das Soziale beschäftigt.“ Archäologische Ausgrabungsfunde geben Auskunft über vergangene Gesellschaften. Genauso berücksichtigt die Praxissoziologie Gegenstände („Artefakte“) als Untersuchungsobjekte.
Beispiel Bergbau
Einen ersten Vorgeschmack darauf, wie fruchtbar der Blick über den fachlichen Tellerrand sein kann, gab ein Vortrag zum Projektstart im Deutschen Bergbau-Museum Bochum. Guy Geltner, Archäologie-Professor in Melbourne, sprach über hochmittelalterlichen Bergbau. „Damals gab es schon freie Bergarbeiter. Also Bergarbeiter, die weder Leibeigene noch Sklaven waren“, resümiert Hillebrandt. „Dabei gilt in der Soziologie eigentlich nach Karl Marx: Der freie Arbeitsvertrag kam in der Form erst mit der Industrialisierung. Es gab ihn aber eben schon im 12. Jahrhundert! Das ändert natürlich meine Sicht auf soziologische Fragen. Ohne den interdisziplinären Blick hätte ich das nie erfahren.“
Ohne Kohle nix los?
Wie prägend Bergbau ist, wird auch am Standort des WissenschaftsCampus ersichtlich: dem Ruhrgebiet. Zur Zeit der Industrialisierung bestimmten Steinkohle und Stahl das Leben aller Menschen im „Pott“. Soweit so bekannt, meint Hillebrandt: „Mich interessiert allerdings die Situation, wenn eine Ressource ihren Status wieder verliert. Genau das haben wir ja im Ruhrgebiet erlebt. Ende 2018 gingen in NRW die zwei letzten Bergwerke außer Betrieb. Dazu zählte übrigens auch die Zeche in Ibbenbüren, wo mein Vater gearbeitet hatte. Im nördlichen Münsterland endeten damit 500 Jahre Bergbaugeschichte.“
Der Wandlungsprozess von fossilen hin zu erneuerbaren Energien bedeutet für solche Regionen eine harte Zäsur. „Was geschieht dort? Wie wird das gesellschaftlich verarbeitet?“, möchte Hillebrandt wissen. Auch bezogen auf Orte im Ruhrgebiet, die schon weiter sind und bereits eine Erinnerungskultur für sich etabliert haben: „In Essen zum Beispiel hat die letzte der rund 290 dortigen Zechen (Zollverein) bereits 1986 zugemacht.“ Der WissenschaftsCampus eröffnet die Chance, weiter zurückliegende historische Vergleichspunkte heranzuziehen. „Das ist soziologisch hochinteressant!“
Neue Ressourcen
Gleichermaßen stellt sich die Frage nach der Zukunft: Was ersetzt die bisherigen Ressourcen? „Daten sind ein unglaublich wichtiger Rohstoff für den Wandlungsprozess“, betont Hillebrandt. „Sie sind nicht nur eine negative Ressource, die für Hass und Hetze verantwortlich ist, sondern auch eine Ressource zur Information und Bürgerbeteiligung.“ In diesem Sinne wird auch Wissen als immaterieller Rohstoff zusehends einflussreicher, mit entsprechenden Konsequenzen für den Arbeitsmarkt: „Wissensbasierte Berufe werden sich vervielfältigen.“ Wie die Transformation konkret ablaufen kann, zeigt sich wiederum am Ruhrgebiet mit seiner enormen Hochschuldichte: „Unsere FernUniversität in Hagen ist ein Beispiel dafür, wie sich Menschen bilden und Wissen als neue Ressource etablieren können.“
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