Wie finden unterschiedliche Menschen zusammen?

Der Kontakt zwischen verschiedenen sozialen Gruppen gilt als wichtiger Ansatz, um Zusammenhalt zu stärken. Eine Tagung half nun dabei, offene Forschungsfragen gezielter anzugehen.


Gruppe von diversen Personen Foto: ljubaphoto/E+/Getty Images
Fortschritt im Kleinen: Auch niederschwellige Begegnungen im Alltag sind ein Faktor, um Menschen zusammenzubringen – zum Beispiel beim Vereinssport.

Unsere Welt wird immer globaler, schneller und digitaler – und damit auch vielfältiger. Gesellschaften vereinen eine zunehmende Vielzahl unterschiedlicher sozialer Gruppen, die sich in vielen Punkten voneinander unterscheiden, sei es der kulturelle und religiöse Hintergrund, die politische Einstellung oder ganz allgemein die Meinung zu wichtigen gesellschaftlichen Herausforderungen wie dem Klimawandel oder Migration. Damit verbunden sind große Fragen: Wie gelingt es vor diesem Hintergrund, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken? Reduziert der Kontakt zwischen Mitgliedern unterschiedlicher sozialer Gruppen tatsächlich Konflikte? Oder hat er möglicherweise auch unerwünschte Nebeneffekte? Wie können Interventionsmaßnahmen, die Mitglieder unterschiedlicher Gruppen zusammenbringen, möglichst viele Menschen auf einmal erreichen? Antworten sucht die sozialpsychologische Forschung zu Intergruppenkontakten. „Viele der offenen Forschungsfragen in diesem Bereich sind so groß, dass man sie nur gemeinsam, also im Rahmen großer, internationaler Kooperationen, bewältigen kann“, erklärt Dr. Maria-Therese Friehs von der FernUniversität in Hagen die derzeitige Forschungslage.

Portrait Foto: Christian Schaeffer
Enthusiasmus und Hoffnung: Maria-Therese Friehs spricht über die Ideen in ihrer Forschungscommunity.

Gemeinsam mit Prof. Dr. Oliver Christ (Psychologische Methodenlehre und Evaluation) und Prof. Dr. Mathias Kauff (Medical School Hamburg) richtete die wissenschaftliche Mitarbeiterin deshalb ein von der European Association of Social Psychology gefördertes und mit weiteren Mitteln der FernUniversität und der Medical School Hamburg unterstütztes „Small Group Meeting“ in Hamburg aus, zu dem Forschende aus der ganzen Welt zusammenkamen. Im Mittelpunkt stand dabei vor allem, internationale Forschungskooperationen zu zentralen Forschungsfragen anzustoßen, erklärt Maria-Therese Friehs: „Wir verstehen Wissenschaft nicht als kompetitiven, sondern kollaborativen Prozess.“ Statt im Wettbewerb nebeneinander her zu forschen, koordinierten sie hier ihre Herangehensweise. „Wir haben über Landes-, Alters- und Statusgruppen hinweg an einem Strang gezogen.“ Die Hands-on-Mentalität passt zur pragmatischen und praxisnahen Forschungscommunity, die mit ihren Erkenntnissen einiges bewegen will in den nächsten Jahren.

Wir haben mit der Konferenz einen Stein ins Wasser geworfen, und ich hoffe, dass sich die Wellen nun weiter ausbreiten.

Dr. Maria-Therese Friehs

Was verhindert Austausch und Kontakt?

Die rund 50 Forschenden arbeiteten in Gruppen zusammen, um gemeinsam die nächsten Schritte zur Umsetzung ihrer Forschungspläne zu erarbeiten. Ein wichtiges Thema war etwa „Segregation“, also die Abspaltung sozialer Gruppen, die im schlechtesten Fall mit deren struktureller Benachteiligung einhergehen kann. „Wir wissen von Kontexten, wo Segregation hochproblematisch ist. Mit dabei waren zum Beispiel Wissenschaftler:innen, die in Südafrika zur Post-Apartheit geforscht haben oder zu den Folgen von Segregation in Belfast in Nordirland.“ Es muss nicht immer um Konflikte mit gewaltsamer Geschichte gehen. „Es gibt beispielsweise auch Segregation auf dem Wohnungsmarkt, wo nicht alle sozialen Gruppen dieselbe Wohnraumqualität erhalten, oder Gruppen, die sich absichtlich nur zu sich selbst bewegen, anstatt sich mit anderen zu vermischen.“ Häufig stehen im Hintergrund Merkmale wie die ethnische Herkunft, der finanzielle Status, die Bildung oder auch das Alter.

Drängendes Thema

Auch in Deutschland zeigt sich, welche gesellschaftlichen Probleme entstehen können, wenn Menschen sich zu weit voneinander entfernen – egal, ob in Kommentarspalten im Internet oder auf der Straße: „Demokratie lebt davon, dass man sich über politische Grenzen hinweg austauscht und streitet. Das passiert oft einfach nicht mehr“, warnt Friehs. „Die Auswahl an Konfliktsettings ist momentan leider sehr groß“, bedauert die Psychologin. Aber selbst in harmonischen Kontexten gelte: „Es ist auch mit einer weltoffenen Einstellung gar nicht so leicht, das eigene Umfeld zu diversifizieren und seine Bubble zu verlassen.“

Gruppenfoto Foto: Yusuf-Bala
Gemeinsam beim „Small Group Meeting“ in Hamburg

Neue Brücken bauen

Die Problembefunde führen umgekehrt zur Frage nach geeigneten „Kontaktinterventionen“ in der Praxis. Wie lässt sich die Annäherung zwischen verschiedenen Gruppen fördern? So groß manche Kluft auch erscheinen mag, die Lösung liegt oft im Kleinen, im Alltag der Menschen: „Im israelisch-palästinensischen Kontext versucht man traditionell in Schulen Kontaktmöglichkeiten herzustellen“, gibt Friehs ein Beispiel. Es könnte aber noch niedrigschwelliger klappen: „Eine Idee der Konferenz war, eine App zu entwickeln, die spielerisch Kontakte mit anderen Gruppen fördern soll – dank regelmäßiger Challenges.“ Einen vielversprechenden Ansatz, wie man über soziale Normen Verhaltensänderungen erwirken könnte, erforschen Oliver Christ und sein Team derzeit mit einem großen internationalen Projekt an der FernUniversität.

Bunte Chancen

Statt vom Problem her zu denken, geht es aber auch andersherum: Eine aktuelle Strömung untersucht positive Folgen von Intergruppenkontakten, die über den Abbau von Konflikten hinausgehen. „Es gibt erste Befunde dazu, dass Menschen, die mehr Kontakt zu anderen Gruppen haben, kreativer sind und Probleme leichter lösen können“, berichtet Friehs. Hier lohnt es, den bisherigen Blick zu erweitern. „An welchen Stellen, die wir noch nicht sehen, kann Kontakt förderlich wirken?“ Hoffnung setzt Maria-Therese Friehs auch darauf, dass es gelingt, das Timing für sozialen Austausch zu verbessern – und Chancen für Interventionen gezielter zu nutzen: „Wir vermuten, dass es bestimmte Phasen im Leben gibt, in denen es eher wahrscheinlich ist, dass man sein soziales Netzwerk durchmischt: Umzüge, der Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf, der Renteneintritt oder Mutterschaft.“ Der Gedanke dahinter leuchtet ein: Wer ohnehin neu in einer Situation ist, hat auch weniger Hemmungen, Neues kennenzulernen. „Noch fehlen uns aber die Daten.“ Doch gerade diese Lücken sind es, die die Forschenden weiter antreiben. Friehs ist optimistisch: „Wir haben mit der Konferenz einen Stein ins Wasser geworfen, und ich hoffe, dass sich die Wellen nun weiter ausbreiten.“

 

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Benedikt Reuse | 23.09.2024