Wie fühlst du dich an diesem Ort?
Eine psychologische Studie begleitete über 30 Migrant:innen durch deutsche Großstädte. Die Befragten erklärten bei Interview-Spaziergängen, welche Orte ihnen wichtig sind.
Wer kennt das nicht? An manchen Orten fühlen wir uns einfach pudelwohl. Andere Orte geben uns hingegen sofort ein schlechtes Gefühl, am liebsten würden wir sie meiden. Um solche Effekte dreht sich die „Psychology of Places“. Dr. Gesa Duden ist Expertin für diesen Forschungsstrang. Derzeit lebt sie in Kanada, wo sie im Rahmen eines Forschungsstipendiums an der Concordia University Montreal arbeitet. Zudem ist die Postdoktorandin und ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin der FernUniversität, derzeit assoziierte Wissenschaftlerin und Lehrbeauftragte im Lehrgebiet Community Psychology von Prof. Dr. Anette Rohmann. Hier leitet sie das Projekt „Belonging in Urbanity – The Migrant City“, das von der Postdoktorandinnenförderung der FernUniversität unterstützt wurde. Jetzt hat das Forschungsteam erste Ergebnisse publiziert (s. Infobox).
Methode der Go-Along-Interviews
Die Psychologie hat schon viel zum Thema „Zugehörigkeit“ geforscht, meistens jedoch mit Blick auf bestimmte soziale Gruppen. „Wir wissen noch sehr wenig darüber, welches Zugehörigkeitsgefühl es zu Orten gibt“, erklärt Duden. Vor allem dazu, wie sich neuartige Umgebungen anfühlen, gibt es bislang kaum Untersuchungen. „Welche Orte geben Menschen, die irgendwo neu ankommen, das Gefühl, zugehörig zu sein? Diese Frage hat uns interessiert.“ In einer ersten qualitativen Studie konzentrierte sich das Team deshalb auf Migrant:innen: „Die Personen, die wir befragt haben, kamen von überall her, aus Frankreich, Portugal, den USA, Ghana, Brasilien und vielen anderen Ländern.“ Die Forschenden führten über 30 Interviews in Berlin, Bremen, Stuttgart und Leipzig. Dabei kam eine besondere Methode zum Einsatz – sogenannte Go-Along-Interviews. „Wir bitten die Personen, sich mit uns an Orten zu treffen, die ihnen wichtig sind. An denen sie sich zugehörig fühlen oder auch nicht“, erklärt Duden. „Wir haben sie begleitet, gehen mit ihnen spazieren, lassen uns von Ihnen die Orte zeigen und stellen ihnen dabei unsere Fragen.“
Zur Publikation
Der erste Artikel zu dem Forschungsprojekt ist in der Zeitschrift „Identity“ erschienen: “Knowing My Way around” – The Role of Urban Spaces for Migrant Identity Content and Sense of Belonging in Germany. Neben Hauptautorin Gesa Duden haben daran die Wissenschaftlerinnen Julia Reiter, Christina Bauer, Constanze Haslinger, Melanie Mroz und Anette Rohmann mitgewirkt. (DOI: https://doi.org/10.1080/15283488.2024.2330909)
Orte, an denen man sich zugehörig fühlt
Ob Bäume oder Beton, bei Sommersonne, Herbstregen oder Schnee – die Interviews führten die Forschenden über ein Jahr hinweg an ganz verschiedene Flecken. „Es waren oft Parks, bestimmte Bänke im Grünen, Brunnen oder Stellen an Flüssen“, berichtet die Psychologin von typisch idyllischen Plätzen. „In der Literatur spricht man hier von Blue-Green-Spaces.“ Manche Menschen wollen hingegen bewusst ins bunte Treiben eintauchen, sich als Teil der Gesellschaft spüren – gerne auch eher passiv, beispielsweise, indem sie an belebten Plätzen ein Buch lesen. Duden nennt die zugehörigen Orte Social-Immersion-Places: „Manche Leute sind gewohnt an städtisches Treiben. Ihre Lieblingsorte sind dann eher Cafés an belebten Straßen oder das Foyer der Bibliothek.“
Orte, an denen man sich fremd fühlt
Umgekehrt gaben die Befragten dem Forschungsteam auch Einblicke, wo sie sich weniger gut fühlen. Duden spricht hier von diskriminierenden Räumen, aber auch von All-White-Spaces, an denen sich nur weiße Menschen befinden. „Solche Orte rufen Gefühle des Nicht-Dazugehörens hervor.“ Häufig genannt wurden zum Beispiel überfüllte Ausländerbehörden mit ihren bürokratischen Hürden, Sprachbarrieren oder abweisendem Personal. „Manche haben die Erfahrung gemacht, dass sie vor dem Gebäude übernachten müssen, um einen Termin zu bekommen. Wenn sie dann nur ein Dokument vergessen haben, müssen sie die ganze Prozedur abermals über sich ergehen lassen.“ Für manche wird es dort besonders unangenehm, wo sie als Vertreter:innen einer Minderheit auffallen: „Ein Bolivianer hat mir zum Beispiel erzählt, wie unwohl er sich bei einem Dynamo-Dresden-Spiel gefühlt hat.“
Kulturelle Aspekte sind wichtig
Gleichermaßen zeigt die Studie, wie sehr kulturelle Gewohnheiten das Empfinden im öffentlichen Raum prägen. So interviewte Duden etwa eine US-Amerikanerin, die sich darüber freute, in Deutschland relativ barrierearm mit ihrer Sehbehinderung leben zu können: „Natürlich ist es ihr mit ihrer Erblindung nicht möglich Auto zu fahren. Die US-amerikanische Gesellschaft ist aber stark auf Autos fokussiert – in Deutschland gibt es hingegen viel öffentlichen Nahverkehr.“ Auch Gender-Aspekte spielen eine große Rolle. „Zum Beispiel haben viele Frauen aus Ländern wie Portugal, Frankreich oder Spanien betont, wie schön es ist, dass sie in Deutschland einfach rausgehen können, ohne sich schick anziehen oder Make-up auflegen zu müssen“, so Duden. „Sie haben das Gefühl, weniger bewertet zu werden – das hat dazu geführt, dass sie sich schnell zugehörig gefühlt haben.“ Im Gegenzug gibt es aber auch Aspekte an der deutschen Kultur, die weniger gut ankommen – oft bleibt es eine Sache der Interpretation: „Deutsche Direktheit kann als Unfreundlichkeit ausgelegt werden, aber auch als Ehrlichkeit.“
Größere Befragung – unkompliziert per App
Die Studie mit ihren wenigen, dafür intensiven Befragungen war der erste Schritt des Projektes. Mit der Absicht, repräsentative Ergebnisse zu erzielen, hat das Team nun eine zweite Studie gestartet, diesmal online und mit mehr Teilnehmenden: „Wir suchen erwachsene Migrant:innen in deutschen Städten, die bereit sind, über einen Zeitraum von einer Woche täglich etwa fünfmal zweiminütige Fragebögen zu beantworten“, erläutert Gesa Duden den tagebuchartigen Aufbau. Mitmachen lässt sich ganz unkompliziert per App. Ziel der kleinteiligen Methode ist, die Erfahrung authentisch, direkt und im Moment zu erfassen. „So können wir direkt fragen: Wo bist du gerade? Und wie fühlst du dich an diesem Ort?“ Wer mitmacht, erhält einen systematischen Überblick zum eigenen Wohlbefinden und möglichen Stressfaktoren. Zudem gibt es eine Aufwandsentschädigung von 25 Euro oder für Studierende wahlweise auch Versuchspersonenstunden.