Spurensuche im Dritten Reich: Der Fall Ilse Koch

FernUni-Wissenschaftlerin Prof. Dr. Alexandra Przyrembel hat eine biografische Studie über die historische Figur Ilse Koch veröffentlicht.


Foto: Dean L. Dennis, National Archives, Washington
Aus dem Archiv: Ilse Koch (mi.) vor dem US-Militärtribunal in Dachau am 8. Juli 1947

Ilse Koch, Ehefrau des Lagerkommandanten Karl Koch, hatte eine einflussreiche Rolle im Konzentrationslager Buchenwald. „Die Nachwelt hat sie zu einer Ikone des Grauens stilisiert,“ fasst Prof. Dr. Alexandra Przyrembel, Leiterin des Lehrgebiets Geschichte der Europäischen Moderne an der FernUniversität in Hagen, zusammen. Die Historikerin hat eine biografische Studie veröffentlicht, in der Przyrembel Phasen deutscher Gesellschaftsgeschichte mit dieser bekannten Symbolfigur des Nationalsozialismus verknüpft: „Im Bann des Bösen. Ilse Koch – ein Kapitel deutscher Gesellschaftsgeschichte 1933 bis 1970.“ Die historische Figur Ilse Koch hatte zu einem frühen Zeitpunkt Przyrembels wissenschaftliches Interesse geweckt, mittlerweile setzt sie sich insbesondere mit Fragen globaler Ungleichheit im 20. Jahrhundert auseinander.

Die Frage nach Kollektivschuld

Bereits vor der nationalsozialistischen Machtübernahme im Jahr 1933 engagierten sich Frauen für die rechtsextreme Partei. So auch Ilse Koch: Sie trat 1932 in die NSDAP ein. Nach Kriegsende wurde Koch zunächst vor einem amerikanischen Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Als sich der amerikanische Senat mit Kochs Revision gegen das Urteil von 1947 beschäftigt, entwickelte sich ein Skandal.

Allem Anschein nach ging es nur vordergründig um Ilse Koch. „Wesentlich ging es um die grundsätzlichen Fragen nach der Verantwortung der Deutschen für den Nationalsozialismus, allerdings wurde im Kontext der amerikanischen Skandalisierung des Falls auch das US-amerikanische Wissen über die Verbrechen des Dritten Reiches beleuchtet.“ Der Name Ilse Koch wurde zum Synonym für einen bestimmten „Tätertyp“, der besonders brutal und exzessiv handelte, und ein Fallbeispiel für die Nachkriegsgeschichte.

Foto: FernUniversität
Historikerin Prof. Alexandra Przyrembel

„Die Nachkriegsprozesse verweisen auf die Komplexität der Erinnerungsgeschichte an den Nationalsozialismus“, schließt Przyrembel auch den Prozess vor dem Augsburger Landgericht 1950/51 ein, in dem das Urteil lebenslange Haft für Ilse Koch bestätigt wurde Diese äußerte sich nicht zu den ihr zur Last gelegten Gewalttaten, an vielen Gerichtstagen war Koch nicht im Gerichtssaal anwesend. Während sich Männer auf den Befehlsnotstand berufen konnten, galt das für die Angeklagte nicht. Von 1951 bis zu ihrem Suizid 1967 saß Koch in einer Einzelzelle im Frauengefängnis. Unterstützung bekam sie durch die „Stille Hilfe“, einer Hilfsorganisation für NS-Verurteilte.

Die Reinheitserzählung

Die Historikerin Alexandra Przyrembel, die unter anderem auf der Grundlage von Zeugenaussagen das Gewalthandeln der SS-Ehefrau rekonstruiert, bezeichnet die skandalisierenden Berichte über die historische Figur Koch als „Reinheitserzählung“. „Die deutsche Öffentlichkeit formte direkt nach Kriegsende Strategien, die eigene Beteiligung am nationalsozialistischen Regime im Rahmen von Bildern oder auch Erzählungen zu bannen und gleichzeitig das eigene Leben während des Nationalsozialismus neu zu ordnen.“

Bilanz

„Die Deutung der Figur Ilse Koch ist umkämpft. Die jeweilige Perspektive der Zeitzeugen ist eng verwoben mit den historischen Zeitläufen und hängt von den unterschiedlichen Interessenlagen der historischen Akteurinnen und Akteure ab“, führt Przyrembel aus. „Das reicht von der amerikanischen Armee, der sich das unvorstellbare Grauen bei der Befreiung Buchenwalds im April 1945 bot, über die Justiz und die Medien bis hin zu den ehemaligen Häftlingen des Konzentrationslagers und zur deutschen Bevölkerung in West und Ost.“ Alexandra Przyrembel bezeichnet ihr Buch deshalb als „Beitrag zur Geschichte der Gewalt im Deutschland des 20. Jahrhunderts und ihrer Aufarbeitung in den beiden deutschen und den Vereinigten Staaten“.

Historischer Salon

Der nächste Historische Salon am 27. April ab 18 Uhr befasst sich mit dem Buch von Prof. Alexandra Przyrembel „Im Bann des Bösen. Ilse Koch – ein Kapitel deutscher Gesellschaftsgeschichte 1933 bis 1970.“, S. Fischer Verlage

Die Historikerin und Leiterin des Lehrgebiets Geschichte der Europäischen Moderne am Historischen Institut der FernUniversität in Hagen, Prof. Dr. Alexandra Przyrembel, skizziert in ihrer biographischen Spurensuche den Lebensweg Ilse Kochs, beschreibt die gegen sie geführten Nachkriegsprozesse, die Zeit ihrer Haft im Frauengefängnis Aichach und die internationale Berichterstattung über ihre Person. Entlang der Biographie von Ilse Koch entwickelt Przyrembel eine deutsche Gesellschaftsgeschichte der Nachkriegszeit und entwirrt die unterschiedlichen Erzählungen über Ilse Koch als das „Böse“. Die Veranstaltung ist über Zoom zugänglich.

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Anja Wetter | 19.04.2023