Wie viel Risiko gehen wir bei Lob ein?

Steigt unsere Risikobereitschaft, wenn wir Bestätigung erhalten? Dr. Hendrik Sonnabend von der FernUni untersuchte die Auswirkungen beim Kunst- und Turmspringen.


Foto: Chris Ryan/Getty Images
Wer beim Wasserspringen gewinnen möchte, muss ein hohes Risiko eingehen.

Wasserspringen ist seit 1904 eine olympische Disziplin. 136 Springer:innen aus aller Welt kämpfen dieses Jahr in Paris in acht Disziplinen um eine Medaille – Sprung vom 3-Meter-Sprungbrett (Einzel und Synchron, Männer und Frauen) und von der 10-Meter-Plattform (Einzel und Synchron, Männer und Frauen). Wer gewinnen möchte, muss ein hohes Risiko eingehen, denn die Jury wertet die Sprünge anhand verschiedener Kriterien wie zum Beispiel der Ästhetik und Komplexität. Geht ein Sprung schief, kann dies für die Athletinnen und Athleten auch durchaus schmerzhaft enden.

Dr. Hendrik Sonnabend (Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insbes. Internationale Ökonomie) untersuchte die Auswirkungen von positivem Feedback beim Kunst- und Turmspringen. Gehen die Sportler:innen mehr Risiko ein, wenn sie Bestätigung erhalten? Gemeinsam mit Mario Lackner (Johannes-Kepler-Universität Linz) wertete er umfangreiche Datensätze aus den Jahren 2004 bis 2021 aus. Die Daten stammen vom offiziellen Sportverband der Kunst- und Turmspringer:innen aus den USA.

Olympia als Labor

„Olympia ist für mich wie andere Spitzensportarten oder Sportveranstaltungen ein Labor. Anhand verschiedener Sportarten kann ich menschliches Verhalten untersuchen, das auch arbeitsmarkökonomische Implikationen hat“, sagt Hendrik Sonnabend, der zu den Themen Arbeits- und Verhaltensökonomik forscht. Die Grundlagen zur Forschung im Wettkampfspringen sind verschiedene Studien aus den 1990er-Jahren. „Es gibt noch wenige Studien zum Thema. Sie legen aber nah, dass es einen Zusammenhang zwischen Risikobereitschaft und positivem Feedback gibt."

Unsere Erfahrungen beeinflussen uns

„Im Arbeitsleben treffen wir ständig Entscheidungen und gehen mit diesen teilweise Risiken ein“, weiß der FernUni-Wissenschaftler. Besonders interessiert waren die Forschenden daher daran, ob die Risikobereitschaft bei Frauen und Männern im Wasserspringen durch positives Feedback steigt und ob frühe Erfolge eine Rolle spielen. Das Ergebnis fiel beim Kunstspringen eindeutig aus: Nach einem ersten Sieg aus niedriger Höhe (vom Ein- oder Dreimeterbrett) steigt in Verbindung mit dem zu erwartenden Lob die Bereitschaft, an Wettbewerben im riskanteren Turmspringen (vom Zehnmeterturm) teilzunehmen, obwohl beide Wettbewerbe gleich gestellt sind und ein Wechsel keinen sportlichen Aufstieg bedeutet.

Mann mit Brille und schwarzen Pullover Foto: Hardy Welsch

Olympia ist für mich wie andere Spitzensportarten oder Sportveranstaltungen ein Labor.

Dr. Hendrik Sonnabend

Die Wissenschaftler konnten feststellen, dass Frauen und Männer eine höhere Neigung zeigten an riskanteren Wettbewerben teilzunehmen. Bei männlichen Springern steigt die Wahrscheinlichkeit, an Wettbewerben im Turmspringen teilzunehmen, durchschnittlich um etwa 25 Prozent – bei den Springerinnen um etwa 10 Prozent. Der Effekt ist gerade bei Springerinnen und Springern gut zu erkennen, die vor ihrem Erfolg keine bis wenig Erfahrung im Turmspringen hatten und vorher auch keinen „Platz auf dem Podest“ erreichen konnten. Somit sind das Teilnehmende, die von ihrem Erfolg eher „überrascht“ wurden – bei ihnen steigt die Risikobereitschaft.

Bei den Männern wirkte sich auch ein später Sieg nach dem 16. Lebensjahr auf die Steigerung der Risikobereitschaft aus, während die Forschenden bei den Frauen diesen Effekt nicht mehr sehen konnten. Bei ihnen steigt die Risikobereitschaft nur in Verbindung mit einem frühen Erfolg. Hendrik Sonnabend erklärt dies so: „Dazu gibt es verschiedene Studien, die zeigen, dass Frauen nicht von Anfang an das Risiko scheuen, sondern sich die Unterschiede erst beim Heranwachsen ausbilden. Gründe können biologisch sein und/oder im sozialen Umfeld liegen. Frühe Erfahrungen in der Bewältigung von Risiken können eine Rolle spielen.“

Früh übt sich

In der Studie konnte die Forschenden feststellen, dass gerade unerfahrene, jüngere Teilnehmende von einem frühen Sieg am meisten profitieren. Stichwort „Erfahrungen“. „Wir kennen dieses Phänomen auch bei uns: Wenn wir bereits wissen, dass eine Situation gut gelaufen ist, stärkt uns das für die Zukunft. Und wenn wir vor Situationen stehen, die schon einmal nicht so gut gelaufen sind, dann bleibt uns das negativ im Kopf“. Sonnabend sieht in diesem Phänomen das Prinzip der wahrgenommen Selbstwirksamkeit aus der Psychologie als Verbindungsglied zwischen positivem Feedback und stärkerer Risikotoleranz: „Positives Feedback stärkt die innere Überzeugung schwierige Situationen oder in dem Fall diesen Sprung zu meistern.“ Die Springerinnen und Springer schätzen ihr Verletzungsrisiko dann möglicherweise weniger wahrscheinlich ein.

Insgesamt zeigt die Forschung von Hendrik Sonnabend, dass frühe Erfolge erheblich dazu beitragen können, mehr Risiko zu wagen, da Erfahrungen dazu führen, dass sich Einstellungen ändern können.

 

Weitere Themen im Olympia-Special