Geschichtswissenschaft als „Debattenfach“

Aufnahme läuft! Eine Podcast-Reihe vom Lehrgebiet Europäische Moderne zeigt Geschichtswissenschaft so, wie sie sein sollte: als lebendige Disziplin voll spannender Diskussionen.


Foto: FernUniversität
Bereit für die nächste Aufnahme: Professorin Alexandra Przyrembel und Kevin Wahlbrinck.

Geschichte selbst können wir nicht mehr ändern. Die Geschichtswissenschaft hingegen ist alles andere als starr: Das Fach lebt vom angeregten Austausch, dem Streit zwischen verschiedenen Sichtweisen auf die Vergangenheit. „Erst über die Diskussion wird Forschung überhaupt möglich“, bekräftigt Prof. Dr. Alexandra Przyrembel. Sie leitet das Lehrgebiet Geschichte der Europäischen Moderne an der FernUniversität in Hagen. Gemeinsam mit Kevin Wahlbrinck und anderen Mitarbeitenden hat sie ein Format entwickelt, das die Diskussionskultur in den Vordergrund stellt. In der Podcast-Reihe „Transnationale Geschichte auf die Ohren“ kommen namhaften Expertinnen und Experten zu Wort. Prof. Przyrembel moderiert die Folgen wechselweise mit Forschenden aus ihrem Lehrgebiet. Immer mit dabei: Kevin Wahlbrinck, der die Produktion auch außerhalb des Tonstudios koordiniert. Bei der technischen Umsetzung hilft das Zentrum für Lernen und Innovation der FernUniversität (ZLI). Die Folgen gibt es bei Spotify, Youtube und im Web der FernUni.

„Das Format erreicht ein breites Publikum und rückt Größen der transnationalen Geschichtsschreibung ins Licht“, erklärt Prof. Przyrembel. „Außerdem können wir unser Fach mit dem Podcast als Gesprächs- und Debattenfach herausarbeiten.“

Interessierte abholen, wo sie stehen

Die Reihe ist dabei bewusst so angelegt, dass sie auch für Neulinge gut verdaulich ist. Wer noch nie mit dem Fach zu tun hatte, wird sorgsam in die geschichtswissenschaftliche Methodik einführt: „Wir wollen mit unserem Podcast auch frische Studierende und Quereinsteiger aus anderen Fächern ansprechen, die zum Beispiel den Quellenbegriff ganz anders benutzen als wir“, erläutert Kevin Wahlbrinck das Konzept. Aus diesem Grund sind den inhaltlichen Folgen zu transnationaler Geschichte drei vorbereitende Einführungen vorangestellt. Hierin geht es um die richtige Fragestellung, Quellenarbeit und Textproduktion. „Die drei propädeutischen Podcasts müssen nicht gehört werden, aber ich glaube, sie vertiefen das Verständnis“, ordnet Wahlbrinck ein. Grundsätzlich bemüht sich der Podcast um eine Meta-Perspektive, in der die Geschichtswissenschaft als Fach diskutiert und in Beziehung zur aktuellen Forschung gesetzt wird.

Neunte Folge „Die Geschichte der Deindustrialisierung & Erinnerungskultur”

Format für die Fernlehre

Dieser didaktische Aufbau hat auch damit zu tun, dass der Podcast die Lehre des Historischen Instituts bereichern soll. Przyrembel: „Unser Ziel ist, die Podcasts am Ende zu einem Kurs zusammenzuführen, in dem es um die Geschichte der Geschichtswissenschaft geht.“ Hierfür werden einzelne Ausschnitte im Rahmen eines auditiven Moodle-Kurses neu arrangiert. „Es gibt sogar Teile, die wir exklusiv für die Lernplattform Moodle aufgenommen haben“, ergänzt Wahlbrinck. „Der Kurs soll von den Studierenden selbstständig genutzt werden können.“ Das Team möchte dabei verschiedenen Lerntypen gerecht werden und erstellt zum Beispiel auch Transkripte zu allen Hörinhalten.

Schon jetzt bekommen die Forschenden immer wieder positives Feedback von Studierenden, die den Podcast verfolgen, so Wahlbrinck: „Das Format kommt eigentlich durchweg positiv an.“ Auch über Zuhörer:innen abseits der Uni freut sich das Team: „Wir haben zum Beispiel schon öfter von Lehrer:innen gehört, die sagen, dass sie den Podcast in ihren Oberstufen-Klassen nutzen.“ Trotzdem betont Wahlbrinck: „Der Podcast lebt davon, dass er keine Vorlesung ist.“ Entsprechend gibt es hier weder Frontalunterricht noch langatmige Monologe; stattdessen vertiefende Gespräche über neue methodische Konzepte und Themenfelder der transnationalen Geschichte.

Transnationale Geschichte, international unterwegs

Um sie aufzunehmen, drückt das Team den Record-Button nicht nur im Tonstudio auf dem Hagener Campus. „Wir haben Aufnahmen in Kiel gemacht, in Tübingen und in Berlin“, resümiert Wahlbrinck. „Unsere weiteste Reise bis jetzt ging nach Tel Aviv.“ Dort lud der israelische Historiker Prof. Dr. Moshe Zimmermann zur Aufzeichnung ins eigene Wohnzimmer ein, um über seine Forschungen zur Geschichte des Antisemitismus zu sprechen – eine Ehre für Alexandra Przyrembel und Kevin Wahlbrinck. Teilweise verschicken die Forschenden auch einen Koffer mit allem nötigen Equipment, um eine Online-Schalte in guter Tonqualität möglich zu machen. Die Technik-Profis vom Zentrum für Lernen und Innovation stehen ihnen hierbei mit Rat und Tat zur Seite.

Viel Energie für weiteren Content

Nach seinem Auftakt mit acht Folgen weihte das Team den Podcast im Mai bei einer digitalen Eröffnungslounge feierlich ein. Als Talkgäste mit dabei waren die renommierten Historiker Prof. Dr. Jürgen Kocka und Prof. Dr. Dieter Langewiesche, die auch schon für einzelne Folgen vorm Mikrofon saßen. Für Przyrembel und Wahlbrinck ist klar: „Wir wollen weitermachen!“ Neue Themen haben sie bereits einige auf ihrer Liste – und auch ein Etappenziel für kommende Folgen: „Zukünftig werden wir versuchen, noch internationaler, jünger und interdisziplinärer zu werden“, verspricht Przyrembel. „Geschichtswissenschaft gibt Einblicke in die Gegenwart.“

 

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Benedikt Reuse | 19.06.2024