Psychologie: Wie lassen sich falsche Erinnerungen enttarnen?

Manche Erinnerungen sind trügerisch – weil wir gar nicht erlebt haben, was wir zu erinnern glauben. Diese „false memories“ zu erkennen ist schwer, zeigt eine neue Studie.


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Beispiel Kindheit: Ist die eigene Erinnerung wirklich authentisch oder beruht sie nur auf der Erzählung von anderen?

Im Laufe unseres Lebens machen wir viele Erfahrungen. An einige erinnern wir uns gerne, an andere nicht. Unser Gedächtnis funktioniert dabei jedoch nicht als aufgeräumter Speicher, der Erinnerungen verlässlich ablegt. Oft passiert es, dass Menschen sich falsch erinnern – sich auf Ereignisse zurückbesinnen, die so niemals passiert sind. Solche „false memories“ sind normal und zumeist harmlos. Manchmal können sie aber auch weitreichende Folgen haben und Schaden anrichten. Zum Beispiel im forensischen Kontext, wo die Erinnerungen von Zeug:innen ernste strafrechtliche Konsequenzen haben.

Die Psychologinnen Prof. Dr. Aileen Oeberst und Merle Wachendörfer haben an der FernUniversität in Hagen zu falschen Erinnerungen geforscht. In der Fachwelt und Öffentlichkeit sorgten sie mit einer Studie für Aufmerksamkeit, in der es gelang, Proband:innen falsche Erinnerungen mittels suggestiver Methoden einzupflanzen – und diese später wieder gezielt zu revidieren. In einer neu erschienenen Studie ging es den beiden Forscherinnen um eine verwandte Frage. Wie kann man falsche Erinnerungen verlässlich von wahren Erinnerungen unterscheiden? Lassen sie sich entlarven, indem man sich bestimmte Aussagemerkmale oder Selbsteinschätzungen näher anschaut – zum Beispiel wie viele Details Proband:innen in ihren Berichten nennen, oder wie sicher sie sich sind, ein Ereignis erlebt zu haben?

Hierzu experimentierten die Psychologinnen diesmal nicht selbst, sondern werteten die aktuelle Studienlage sorgfältig aus. Dabei ging es um einen systematischen Überblick. „Das klingt erstmal nicht nach viel Arbeit, aber es ist wahnsinnig aufwendig – und der Erkenntnisgewinn ist sehr wichtig“, erklärt Prof. Oeberst. Denn nur wenn die Forschung sich über ihren eigenen Kenntnisstand im Klaren ist, kann sie die praktische psychologische Arbeit legitimieren und voranbringen. Die Ergebnisse wurden nun im Open Access veröffentlicht. Die Studie ist zugleich ein Baustein von Merle Wachendörfers Promotion.

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Aileen Oeberst (li.) und Merle Wachendörfer haben an der FernUniversität intensiv zu falschen Erinnerungen geforscht.

Unbequemes Fazit

Das Fazit des großangelegten Vergleichs von 24 Studien klingt ernüchternd: „Es gibt eigentlich keine Anhaltspunkte dafür, dass man wahre und falsche Erinnerungsberichte anhand von Aussagemerkmalen oder Selbsteinschätzungen gut unterscheiden könnte“, urteilt Merle Wachendörfer. Qualitativ gleichen sich beide Erinnerungsformen einfach zu sehr. Das noch schwerwiegendere Problem sieht die Psychologin allerdings darin, wie unerschlossen das ganze Forschungsfeld in Bezug auf den Vergleich wahrer und falscher Erinnerungen scheint: „Für mich war sehr bemerkenswert, wie unzureichend die Studienlage eigentlich ist.“ Letztlich wiesen zwei Drittel der Studien, die sich das Forschungsteam angeschaut hat, so gravierende methodische Mängel auf, dass sie für die Fragestellung keine Aussagekraft besitzen.

Wackeliges Fundament für Praxis

Ein Befund, der auch vor Augen führt, vor welchen Herausforderungen psychologische Praktiker:innen bei ihrer Arbeit stehen. Bislang konnte nicht nachgewiesen werden, dass sich falsche Erinnerungen anhand von Selbsteinschätzungen und Aussagemerkmalen aufdecken lassen. Hier zerstreut sich eine Hoffnung der Forscherinnen. „Zum Glück wird dieser Ansatz aber auch kaum praktiziert“, relativiert Wachendörfer. Mit Prognosen ist sie vorsichtig: „Selbst wenn die Forschung irgendwann eindeutige Unterschiede zwischen falschen und wahren Erinnerungen feststellen kann, ist dadurch noch nicht gewährleistet, dass diese im Praxiskontext, wo es ja immer um Einzelfälle geht, wirklich weiterhelfen.“

Forschung gezielt vorantreiben

Fest steht jedenfalls, dass das jetzige Wissen aus der Forschung noch nicht ausreicht, um es zweifelsfrei auf die Praxis zu beziehen. Die beiden Psychologinnen möchten die wissenschaftliche Community deshalb ermutigen, zusammenzuarbeiten, die bestehenden Leerstellen rasch zu schließen und gemeinsam taugliche Instrumente zu entwickeln, um wahre von falschen Erinnerungen zu trennen. Ihre Studie gibt dazu einen ersten, wichtigen Anstoß.

 

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Benedikt Reuse | 05.03.2024