Anderen helfen – warum eigentlich?

In den Jahren 2015 und 2016 solidarisierten sich viele Deutsche mit Geflüchteten und halfen ihnen ehrenamtlich. Gründe für das Engagement legt jetzt eine psychologische Studie dar.


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Verschiedene Schlüsselerlebnisse bringen Menschen dazu, Geflüchteten ehrenamtlich zu helfen.

„Wir schaffen das!“ – dieses Statement von Altkanzlerin Angela Merkel zur sogenannten Flüchtlingskrise 2015 und 2016 ist ikonisch geworden. Damals suchten besonders viele Geflüchtete Sicherheit in Deutschland. Die Gesellschaft reagierte gespalten auf die Entwicklung – mit Ablehnung und Protest, aber auch mit Zustimmung und weitreichendem Engagement für Hilfsbedürftige. „Es gab einen ganz deutlichen Anstieg von Ehrenamtlichen, die sich um die Geflüchteten gekümmert haben“, erinnert Dr. Helen Landmann. Die Sozialpsychologin interessierte: „Was genau motiviert die Leute in solchen Momenten dazu, zu helfen?“

Dieser Frage ging die Wissenschaftlerin gemeinsam mit Kolleginnen von der FernUniversität in Hagen auf den Grund. 2017 starteten Dr. Helen Landmann, Prof. Dr. Birte Siem (inzwischen an der Leuphana, Lüneburg), Birgit Fuchs und Prof. Dr. Anette Rohmann gemeinsam die Studie „Key Experiences of Volunteers in Refugee Aid“. Die Forschungsergebnisse sind nun im Wissenschaftsjournal „Journal of Immigrant and Refugee Studies“ erschienen.

Vielfältige Motive

Kern der Studie war eine offene Fragestellung: „Wir wollten von Ehrenamtlichen, die mit Geflüchteten arbeiten, wissen, ob sie ein bestimmtes Schlüsselerlebnis für ihr Engagement hatten.“ Die Antworten der 220 Teilnehmenden waren überraschend vielfältig; die Forscherinnen stießen auf eine ganze Reihe von Schlüsselerlebnissen, die sie daraufhin in verschiedene Kategorien einteilten: „Grob haben wir zwischen vier Schlüsselerlebnissen unterschieden“, erklärt Landmann die Systematik. Erstens den direkten Kontakt mit Betroffenen. „Das heißt, dass die Befragten selbst Geflüchtete getroffen oder die Nähe zum Beispiel durch Camps in der Nachbarschaft wahrgenommen haben.“

Zweitens den Kontakt mit Nicht-Geflüchteten: „Das waren dann vor allem Erlebnisse mit Ehrenamtlichen, die von ihrem Engagement berichtet haben. Das zeigt, wie wichtig Netzwerke sind.“ Allerdings fallen in diese Kategorie auch Kontakte mit fremdenfeindlichen Mitmenschen. „Negative Aussagen von anderen Deutschen haben die Befragten motiviert, einen Gegenimpuls zu setzen“, so Landmann. „Ein Statement gegen Rechts!“ Diese Reaktion wurde in der psychologischen Forschung zu Ehrenamtlichen bisher kaum thematisiert.

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Helen Landmann

Einfluss von Medien

In die dritte Kategorie von Schlüsselerlebnissen fallen Medienereignisse: „Das heißt, man hat in den Medien die Situation von Geflüchteten gesehen – und das hat Empathie hervorgerufen und motiviert“, erklärt die Psychologin. In diese Kategorie zählen aber auch konkrete Aufrufe zum Helfen, die über die Medien verbreitet wurden. „Hier wurde auch öfter Angela Merkels Aussage ‚Wir schaffen das!‘ zitiert.“

Biografische Erfahrungen

Die vierte Kategorie deckt die eigenen biografischen Erlebnisse der Teilnehmenden ab. „Manche Leute haben zum Beispiel geschildert, dass sie selbst oder ihre Eltern Migrationserfahrungen haben“, berichtet Landmann. Auch einschneidende Veränderungen im Lebenswandel spielen eine Rolle – etwa der Eintritt ins Rentenalter, der viele dazu motiviert, die neu gewonnene Zeit für ein Ehrenamt zu nutzen. „Es gibt dann den Impuls, sich eine sinnvolle Aufgabe zu suchen.“

Empathie über Umwege?

Überraschend war für das Forschungsteam ein Phänomen, das sie als „indirekte Empathie“ bezeichnen. „Manche Leute haben sich vorgestellt, wie sich zum Beispiel ihre Kinder oder Eltern in der Situation von Geflüchteten fühlen würden“, sagt Landmann. „Interessant ist, dass sie sich dabei nicht einfach selbst in die Rolle einer anderen Person versetzen.“ Offenbar fiel einigen dieser direkte Perspektivwechsel schwer – aufgrund ihres Alters oder ihrer bisherigen Lebenserfahrung. Deshalb bezogen sie das Szenario auf nahestehende Menschen. „Dieser kleine Umweg scheint zu helfen.“ Die bisherige Forschung berücksichtigt auch dieses Konzept bislang kaum. Eine Lücke, die Landmann und ihre Kolleginnen nun mit weiteren Studien schließen wollen.

Lehren für aktuelle Krisen

Doch was nützen die Erkenntnisse zur vergangenen Flüchtlingskrise heute? „Ehrenamtliche Arbeit in der Flüchtlingshilfe bleibt relevant“, ist sich Landmann sicher. „Nicht nur mit Blick auf den Ukrainekrieg, sondern in Zukunft auch auf den Klimawandel, der immer wieder Katastrophen und Fluchtbewegungen auslösen wird.“ Helen Landmann hat daher das „Netzwerk Sozialpsychologie zur Flucht und Integration“ ins Leben gerufen, das Forschende und Praktiker:innen an einen Tisch bringt. „Wir sollten uns besser schon jetzt einen guten Plan für kommende Krisen überlegen“, fordert sie.

 

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Benedikt Reuse | 15.08.2023