Austeilen und nicht einstecken
Christian Blötner hat ein Persönlichkeitsmerkmal der sogenannten „Dunklen Triade“ erforscht: Machiavellismus. Damit erlangt der Psychologe an der FernUniversität seinen Doktor.
Wir kennen sie aus Filmen und Serien: Menschen, die über Leichen gehen, denen jedes Mittel recht ist, um ihre eigene Macht zu mehren und zu erhalten – zum Beispiel Walter White (Breaking Bad, 2008–2013), Hannibal Lecter (Hannibal, 2013–2015) oder Frank Underwood (House of Cards, 2013–2018). Mit dem zugrundeliegenden Persönlichkeitsmerkmal kennt sich Dr. Christian Blötner von der FernUniversität in Hagen aus: Er hat zum Thema „Machiavellismus“ promoviert.
Der Wissenschaftler verfeinerte das psychologische Werkzeug, mit dem sich machiavellistische Züge im Allgemeinen feststellen lassen. Seine Dissertation vereint drei große Teilstudien unter dem Titel: „Machiavellismus: Bedeutung für Rezeption und Produktion von Fehlinformationen sowie für Bullying und Cyberbullying“. Nach drei Jahren Forschungsarbeit ist Christian Blötner zufrieden: „Machiavellismus lässt sich mit dem neu entwickelten Messinstrument nun besser erfassen.“ Dass er mit bekannten Phänomenen wie Bullshitting und Bullying zusammenhängt, belegt seine psychologische Relevanz: „Machiavellismus zeigt Konsequenzen in der realen Welt.“
Der Zweck heiligt die Mittel
Doch wer war der namensgebende Niccolò Machiavelli eigentlich? Der Philosoph lebte von 1469 bis 1527 in der italienischen Republik Florenz. Er verfasste unter anderem den politischen Ratgeber Il Principe (Der Fürst). Ein Klassiker der Renaissance, dessen radikal zweckorientiertes Mindset bis heute berüchtigt ist. „Es geht dabei letztlich immer um die amoralische Haltung: Solange es mir günstig erscheint, ist mir jedes Mittel recht“, spitzt Blötner Machiavellis politischen Rat zu. „Diese Wesensart lässt sich sehr gut auf ein psychologisches Konzept übertragen.“
Für seine Forschung differenzierte er den Machiavellismus. Dabei stellte er zwei Hauptstränge heraus: „Es gibt einerseits die Motivation, möglichst viel abzugreifen, für sich selbst möglichst viele Ressourcen zu akquirieren“, zählt Blötner auf. „Andererseits die Motivation, Schäden zu vermeiden.“ Der Machiavellist sammelt also auf skrupellose Weise Macht und Prestige – immer auf der Hut vor anderen Menschen, denen er grundsätzlich die gleiche Rücksichtslosigkeit unterstellt.
Unheilvolles Dreierpack
Machiavellismus ist Teil der sogenannten „Dunklen Triade“, ein Dreiklang aus sozial unangepassten Persönlichkeitsmerkmalen, zu dem noch nichtklinische Ausprägungen von Narzissmus und Psychopathie zählen. Teilweise überschneiden sich die Merkmale. „Wir forschen dazu an unserem Lehrgebiet“, ordnet Blötner ein. „Für den Narzissten sind die anderen nur dazu da, um ihn zu bewundern. Für den Machiavellisten nutze ich gerne das Bild des Puppenspielers“, grenzt der Forscher zum dritten Typus des Psychopathen ab. Während dieser nämlich eher impulsiv, gleichgültig und aggressiv handelt, geht der Machiavellist äußerst kalkuliert vor. „Er nutzt alle Menschen als seine Schachfiguren.“
Bullshit und Bullying
Dafür stehen dem Machiavellisten viele Instrumente zur Verfügung. Blötner hat sich in seiner Dissertation auf zwei Verhaltensweisen konzentriert. Machiavellisten erniedrigen ihre Feinde durch Bullying – sie mobben und intrigieren auf beziehungsschädigende Weise. Außerdem erhöhen sie sich, indem sie gezielt Fehlinformationen verbreiten. Ihr „Bullshit“ wirkt zwar auf viele plausibel, ist in Wahrheit jedoch nicht fundiert. Als Beispiel nennt der Psychologe Donald Trump. Indem Trump log und Fakten verdrehte, kam er bei seiner Zielgruppe an – und wurde schließlich sogar US-Präsident. Die Verbindungslinien von Machiavellismus zu solchen Phänomenen waren bis dato weitestgehend unerforscht. „Bullshitting wurde noch nie in Abhängigkeit von Persönlichkeitsmerkmalen untersucht“, erklärt Blötner eine Errungenschaft seiner Arbeit.
Machiavellismus im Alltag
In erster Linie geht es Blötner jedoch nicht um extreme Menschen wie Trump oder gar Horror-Gestalten wie Hannibal Lecter. Seine empirischen Studien untersuchten die Akzeptanz von Machiavellismus in der Breite. „In der ersten und zweiten Studie habe ich Studierende befragt, in der dritten Schülerinnen und Schüler der 8. bis 10. Klasse verschiedener Schulformen – vom Gymnasium bis zur Hauptschule.“ So zeigte der Psychologe, dass machiavellistische Methoden nicht nur von Erwachsenen und Höhergebildeten als probates Mittel angesehen werden, um Ziele zu erreichen.
Die Ergebnisse zu Minderjährigen sind für Blötner nicht überraschend: „Gerade in der Adoleszenz sind Statuskonflikte besonders vorherrschend und es zeigt sich viel Mobbing.“ Zudem sei nachweisbar, dass sich weniger intelligente Menschen aggressiver verhalten. Voreilige Schlüsse sollten jedoch nicht gezogen werden – egal, ob es nun um Jugendliche oder Erwachsene geht: „Labels werden der Sache nicht gerecht“, betont Blötner. „Es gibt keinen Schwellwert, ab dem wir offiziell böse sind. Wir bewegen uns vielmehr auf einem Kontinuum.“
Zur Person
Schon in der Schule entdeckte Christian Blötner seine Liebe zur Psychologie. Doch weil ihn der Numerus Clausus der meisten Hochschulen abschreckte, entschloss er sich nach dem Abitur zunächst für eine Ausbildung in der Stahlbranche. Seine Ausbildung zum Werkstoffprüfer beendete er und wendete sich anschließend erneut der Psychologie zu. 2014 nahm er ein Bachelorstudium an der FernUniversität in Hagen auf. Seinen Master absolvierte er 2020 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Anschließend war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Dortmund tätig. Aufgrund der inhaltlichen Nähe zum Promotionsthema wechselte er 2022 schließlich nach Hagen zu Prof. Dr. Andreas Mokros, ins Lehrgebiet Persönlichkeits-, Rechtspsychologie und Diagnostik.