Wie viel brauchen wir – und wie viel ist genug?
Konsum reduzieren und Lebensqualität erhalten – wie kann das gelingen? Antworten hat Dr. Elisabeth Dütschke am 19. April bei der Ringvorlesung „Energie, Umwelt & Nachhaltigkeit“.
Angesichts des fortschreitenden Klimawandels rückt die Frage nach der gerechten Verteilung globaler Ressourcen in den Mittelpunkt. Wie können wir bei gleichbleibender Lebensqualität unseren Konsum reduzieren? Welche Gewohnheiten müssen wir verändern, um unsere Bedürfnisse bei weniger Verbrauch trotzdem zu stillen? Diesen Fragen widmet sich Dr. Elisabeth Dütschke vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI am 19. April. Ihr Vortrag findet auf dem Hagener Campus im Rahmen der Ringvorlesung des Forschungsschwerpunkts „Energie, Umwelt & Nachhaltigkeit“ (E/U/N) statt.
Dütschkes Fokus liegt auf dem Menschen als Akteur im sich verändernden Energiesystem. Sie befasst sich vor allem mit gesellschaftlichen Fragen der Energiewende und leitet das Projekt FULFILL mit Partnerinnen und Partner aus Deutschland, Italien, Frankreich, Dänemark und Lettland. Die Forschenden untersuchen, welche Rolle Lebensstile und Lebensstiländerungen auf dem Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft spielen.
Frau Dütschke, was verstehen Sie unter einem suffizienz-orientierten Lebensstil?
Ein suffizienz-orientierter Lebensstil beschreibt eine Lebensweise, die geprägt ist von Genügsamkeit, aber auch von Wohlbefinden. In unserem aktuellen Forschungsprojekt FULFILL messen wir die Genügsamkeit entlang des CO2-Fußabdrucks einer Person. Wohlbefinden umfasst Gesundheit, aber auch soziale Integration und Lebenszufriedenheit.
Vortrag am 19. April
Über suffizienz-orientierte Lebensstile spricht Dr. Elisabeth Dütschke im Rahmen der Ringvorlesung „Energie, Umwelt & Nachhaltigkeit“ auf dem Hagener Campus am 19. April um 18 Uhr. Interessierte können sich noch bis zum 14. April anmelden.
Zur Anmeldung
Worauf zielen Suffizienzprinzipien ab und wie genau kann deren Umsetzung gelingen?
Die Hoffnung ist, dass wir in den westlichen Industrieländern durch mehr Suffizienzorientierung zu einer Lebensweise finden, die für die Umwelt besser ist, aber auch für die Menschen. Schließlich kämpfen wir nicht nur mit den Folgen von Umweltbelastungen und Klimawandel, sondern auch mit den Auswirkungen von zu viel Konsum wie zum Beispiel Übergewicht oder Stress.
Das ist ein guter Ansatz, aber die Umsetzung ist nicht einfach, oder?
Die Möglichkeiten, dass einzelne Familien oder Haushalte für sich alleine zu einer suffizienz-orientierten Lebensweise finden, sind begrenzt. Manche tun dies, indem sie sich Initiativen anschließen zum Beispiel in Ökodörfern. Aber das kommt nicht für alle in Frage – manche möchten das nicht, für andere passt es nicht mit ihren beruflichen Wegen zusammen. Deshalb müssen sich für eine stärkere gesellschaftliche Suffizienzorientierung viele Strukturen ändern: Unser Verkehrssystem muss sich an suffizientere Mobilität anpassen – etwa aufs Radfahren und zu Fuß gehen. Das ist dann auch gesünder. Dabei dürfen wir aber auch Personen nicht vergessen, die zum Beispiel aufgrund einer Behinderung auf komfortablere Mobilität angewiesen sind, also auf öffentlichen Verkehr oder das Auto. Viele denken jetzt vielleicht, das ist gut und schön – aber dafür habe ich ja gar keine Zeit, um mit dem Fahrrad zu fahren. Das bedeutet, dass wir hier auch über noch weitreichendere Änderungen reden, zum Beispiel, wie viel wir arbeiten, wo wir das tun und welche Strecken wir dafür überwinden.
Inwieweit leben Menschen schon heute suffizient und was unterscheidet sie von anderen?
Wir haben in insgesamt vier Ländern der EU jeweils eine große Anzahl an Personen befragt, in der Regel um die 2.000. Die vier Länder waren Dänemark, Deutschland, Italien und Lettland. Als vollständig suffizient können wir unserer Analyse zufolge jeweils drei bis vier Prozent bezeichnen, weitere acht bis neun Prozent leben zumindest teilweise suffizient. Das zeigt: In einem engen Rahmen ist ein suffizienz-orientierter Lebensstil bereits heute möglich.
Was wir sehen, ist, dass diese Personen häufiger Frauen sind als Männer und oft jünger als der Durchschnitt der Bevölkerung. Damit stellt sich natürlich die spannende Frage, ob wir es hier mit einer Lebensstiländerung über die Generationen zu tun haben oder ob dies eher mit der Lebensphase zu tun hat – und sich die heute Suffizienten später im Leben ‚durchschnittlicher‘ verhalten werden. In Dänemark waren viele Studierende unter den Suffizienten – hier wissen wir nicht, ob sie den Lebensstil im Arbeitsleben beibehalten werden. In Deutschland spielten auch politische Einstellungen und Umweltbewusstsein bei suffizienten Personen eine größere Rolle als bei der Durchschnittsbevölkerung.
Wie geht Ihr Forschungsprojekt nun noch weiter?
Momentan arbeiten wir daran, unseren Ansatz auch auf städtische Bevölkerungen in Indien zu übertragen, mit dem Ziel, von einem Land mit einer ganz anderen Kultur zum Beispiel hinsichtlich der Ernährungsweise zu lernen. Aber auch die Grenzen des Ansatzes besser kennen zu lernen. Darüber hinaus beschäftigen wir uns im Projekt momentan stark mit der Ableitung politischer Empfehlungen und wie sich suffizienz-orientierte Lebensstile so unterstützen lassen, dass es effektiv ist, aber auch die Unterstützung der Bevölkerung findet.
Der Hagener Forschungsschwerpunkt E/U/N versteht sich darauf, in seinen Ringvorlesungen brennende Fragen rund ums Klima aufzugreifen und aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Zuletzt berichtete der Freiburger Forstwissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Bauhus bei einer Waldvorlesung im Hagener Freilichtmuseum eindrucksvoll unter freiem Himmel über den Zustand unserer Wälder. Zum Campusfest 2022 konnte der Forschungsschwerpunkt den ARD-Wetterexperten Karsten Schwanke für einen unterhaltsamen wie schonungslosen Klima-Bericht nach Hagen holen.
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