Erst Krankenpflegerin, jetzt Professorin
Prof. Dr. Karin Reiber hat sich wissenschaftlich der Berufsbildungsforschung in der Pflege verschrieben. Jetzt erhielt sie die Venia Legendi.
Während der Corona-Pandemie wurden sie beklatscht – geändert hat das nichts am Fachkräftemangel und den teils prekären Arbeitsbedingungen in der Pflege. Rund 200.000 Pflegekräfte fehlen nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln derzeit in Deutschland. Prof. Karin Reiber erforscht, welche Anforderungen an die berufliche Bildung und Ausbildung in der Pflege notwendig sind, um dem Fachkräftemangel zu begegnen und die Professionalisierung dieser Domäne voran zu treiben. Von der FernUniversität in Hagen ist ihr dafür jetzt die Venia Legendi im Fach Bildungswissenschaft verliehen worden.
Ein vielseitiger Werdegang
Prof. Dr. Karin Reibers Forschungsinteresse ergibt sich auch aus persönlicher Motivation: „Ich selbst habe eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert und bin der Meinung: Es gibt keinen spannenderen Beruf. Er erfordert analytische und empathische Fähigkeiten, behandelt soziale und medizinische Fragen – diese Vielseitigkeit hat mich immer fasziniert. Auch deshalb widme ich mich wissenschaftlich der Professionalisierung und Bildung im Berufsbild Pflege.“ Ihre akademische Karriere hatte sie jedoch nicht von vornherein geplant. Nach der Ausbildung zur Krankenschwester wollte Karin Reiber zunächst als Lehrerin an einer Pflegeschule tätig werden. Doch dann verfestigte sich ihr Wunsch, auch zu studieren. An der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen erlangte sie ihren Diplom-Abschluss in Erziehungswissenschaft, im Beifach studierte sie Soziologie und Psychologie.
Professionalisierung = Akademisierung?
Für ihre Habilitation hat Karin Reiber einen Schlüsselbegriff gesucht, um ihre bisherigen Arbeiten theoretisch-konzeptionell zu verbinden und 13 ihrer wissenschaftlichen Texte in einem neuen Gesamtzusammenhang zu diskutieren. Sie entschied sich für das Leitmotiv „Professionalisierung“. „Berufliche Bildung in der Domäne Pflege im Kontext von Professionalisierung“, so der Titel ihrer Habilitationsschrift. Karin Reiber betont: „Die Professionalisierung in der Pflegeausbildung wird häufig mit Akademisierung gleichgesetzt. Das ist aber verkürzt.“ So diskutiert sie in ihrer Habilitation etwa die gesellschaftliche Relevanz des Berufs als einen weiteren Aspekt. Auch die Fachkräftesicherung müsse in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, so Reiber.
Fachkräftemangel gefährdet Ausbildungsqualität in der Pflege
„Der Fachkräftemangel ist eine Gefahr für die Professionalisierung in der Pflege. Wegen des drastischen Ausmaßes ist es häufig in der Praxis nicht möglich, Auszubildende beispielsweise in komplexe pflegerische Handlungen einzuweisen.“ Maßnahmen zur Fachkräftesicherung seien daher unbedingt notwendig, um die Professionalisierung des Berufsstandes voran zu treiben. Kann die Akademisierung in der Pflegeausbildung – also ein Fachstudium anstelle einer Berufsausbildung - da Abhilfe schaffen? Nicht allein, erklärt Karin Reiber: „Die Akademisierung der Pflegeausbildung war nötig und überfällig. Sie ist ein wichtiger Schritt, um weitere Zielgruppen für den Pflegeberuf zu erschließen. Aber: Der Fachkräftemangel ist so groß, dass es unbedingt auch weiterhin die berufsschulische Ausbildung braucht, und die muss sich weiterentwickeln. Die friedliche Koexistenz beider Ausbildungswege ist das Ziel.“
„Es braucht mehr Fachlichkeit in der Lehre“
Karin Reiber befasst sich unter dem Aspekt der Professionalisierung nicht nur mit den Anforderungen an Ausbildungsinhalte und Fachkräftesicherung, sondern auch mit der Lehrerinnen- und Lehrerbildung der Fachrichtung Pflege. Reiber kritisiert, dass es an einem einheitlichen Ausbildungsweg für Lehrkräfte in der pflegerischen Ausbildung fehle: „Es gibt aktuell diverse Sonderwege in der Ausbildung zur Lehrkraft. Da braucht es dringend einheitliche Vorgaben. Der jetzige Zustand wirkt absolut deprofessionalisierend.“ Sie ergänzt: „Insbesondere müssen Lehrende auch das Fach studiert haben, das sie unterrichten. Also die Pflege- und Gesundheitswissenschaften. Viele haben hingegen ein Masterstudium in der Erwachsenenausbildung.“ Obwohl Reiber selbst auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung promoviert hat, befürchtet sie, dass die Bezüge etwa zur Berufspädagogik oder zur Schule hier nicht ausreichen.
FernUniversität in Hagen als Glücksfall
Die Wissenschaftlerin ist kein klassisches „FernUni-Gewächs“. Nach ihrem Studium in Tübingen promovierte Karin Reiber auch dort, seit 2008 lehrt sie als Professorin für Erziehungswissenschaft an der Hochschule Esslingen. Trotzdem hat sie sich für ihre Habilitation ganz bewusst für die FernUniversität in Hagen entschieden: „Die FernUniversität steht für das Konzept des zweiten Bildungsweges, und da bin ich selbst ja der Prototyp. Als ich zum ersten Mal auf dem Campus war, dachte ich gleich: Das ist mein Ort. Außerdem hat die FernUni eine starke und ausdifferenzierte Bildungswissenschaft mit namhaften Kolleg:innen. Das hat mich überzeugt.“ Aktuell arbeitet Karin Reiber parallel an fünf Forschungsprojekten. Ihr Ziel ist es, die Bildungsforschung in der Domäne Pflege und somit auch die Berufsbildungspraxis weiter voran zu treiben. Und sie hat noch einen Traum: „Die Krönung meiner Vita wäre es, einen Master in Berufspädagogik für Gesundheits- und Pflegeberufe aufzubauen.“ Ausbildung oder Studium in der Pflege? Prof. Dr. Karin Reiber hat beides gewählt. Und damit offenbar den Königsweg gefunden.
- Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften | mehr
- Habilitationen an der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften | mehr