Quantentheorie – neue Vorherrschaft durch Technik?

Prof. Dr. Wolfgang Spitzer forscht hauptsächlich zum Thema Verschränkungsentropie. Welche Bedeutung hat sie für Quantencomputer und was hat sie mit Albert Einstein zu tun?


„Ich habe hundertmal so viel über Quantenprobleme nachgedacht wie über die Allgemeine Relativitätstheorie“, sagte einmal Albert Einstein. Seit über einem Jahrhundert zerbricht sich die Wissenschaft über die Quantentheorie immer noch den Kopf. 2022 erhielten Forschende für die experimentelle Herstellung und die Manipulation von verschränkten (quantenmechanischen) Teilchen den Nobelpreis für Physik. Prof. Dr. Wolfgang Spitzer von der FernUniversität in Hagen ist Mathematiker (Lehrgebiet Stochastik und Mathematische Physik) und forschte in den letzten Jahren ebenfalls hauptsächlich zum Thema Verschränkungsentropie von quantenmechanischen Teilchen.

Foto: Wong Yu Liang/Getty Images
Die Quantentheorie kann zukünftig wichtig für Quantencomputer werden.

Entropie ist ein Begriff aus der Thermodynamik. Je größer die Ordnung eines Systems oder die Kenntnis über ein System, desto geringer ist die Entropie und umgekehrt. „Wir stellen uns als Beispiel die Erde, Sonne und den Mond vor. Weiß man alles über das Gesamtsystem wie die Geschwindigkeiten, Positionen und die Massen der drei Körper, so weiß man ‚selbstverständlich‘ alles über die Teilsysteme wie das der Erde. Quantenmechanisch muss das paradoxer Weise nicht mehr stimmen und ein Teilsystem hat dann eine größere Entropie als das Gesamtsystem“, erklärt Prof. Wolfgang Spitzer.

Erdrotation neu vermessen

Ein verschränkter Zustand entsteht, wenn Teilsysteme als Kollektiv auftreten und gemeinsam versuchen, einen Zustand niedriger Gesamtenergie zu bilden. Auch FernUni-Wissenschaftler Wolfgang Spitzer, der sich mit der Grundlagenforschung zum Thema beschäftigt, gibt an: „Das ist auch aus mathematischer Sicht nicht einfach zu erklären und verlangt viel Vorwissen.“ Dabei geben Experimente mit verschränkten Teilchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Physik neue Möglichkeiten: In einem Experiment mit zwei verschränkten Teilchen konnten Forschende zum Beispiel die Erdrotation neu vermessen. „Sie war um das tausendfache präziser als in früheren Messungen. Das ist wichtig für die Satelliten und für zukünftige Experimente. So wie in der Klimaforschung, denn das Abschmelzen des Polareises verlangsamt die Erdrotation.“

Quantencomputer = Ein Problemlöser?

Für Quantencomputer können verschränkte Teilchen ebenfalls wichtig werden. Doch was sind eigentlich Quantencomputer? Diese nutzen spezielle Technologien, um komplexe Probleme zu lösen, die Computer oder Supercomputer nicht oder noch nicht schnell genug lösen können. Sie sollen potenziell eine viel höhere Rechenleistung erbringen und in der Praxis zukünftig neue Materialien entwickeln wie zum Beispiel bessere Batterien oder Medikamente. In Deutschland sollen bald mehrere Standorte für die neue Technologie entstehen – im Forschungszentrum Jülich oder in Ehingen möchte der US-Computerkonzern IBM das erste Quanten-Rechenzentrum in Europa eröffnen. „Es gibt Experimente, die zeigen, dass es möglich ist, Berechnungen mit verschränkten Teilchen durchzuführen. Forschende, die damit arbeiten können, können ganz vorne in der Entwicklung dabei sein. Das ist ein heikles Thema, denn ein Quantencomputer könnte beispielsweise einer Nation einen erheblichen Technologie-Vorteil oder gar die Vorherrschaft über die Technologie bringen.“ Ein weiterer Vorteil von Quantencomputern ist, dass sie vor Hacker-Angriffen besser geschützt sind, weil jeder Eingriff den Quantenzustand verändert und so bemerkt werden würde.

Mann mit Brille Foto: FernUniversität

Ich bin der FernUni dankbar, dass ich die Möglichkeit habe, meine Forschung und die FernUni zu repräsentieren.

Prof. Dr. Wolfgang Spitzer

Vorträge in den USA

Von seinen Forschungsergebnissen wollte auch die wissenschaftliche Community mehr erfahren. Der Mathematiker wurde zur „126th Statistical Mechanics Conference“ (19. bis 21. Mai 2024) in New Jersey (USA) eingeladen. Diese traditionelle Konferenz fand am Campus der Rutgers University statt. Dort hielt er einen Vortrag zum Thema „Verschränkungsentropie im Fermigas“. „Es war eine Ehre für mich, meine Forschung einem breiteren Publikum vorzustellen. Dort waren hochangesehene Mathematiker und Physiker anwesend, unter anderem aus den Universitäten Harvard und Princeton.“ Wolfgang Spitzer forscht seit Jahren mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Ländern zusammen. An der Stony Brook University in New York gab er einen weiteren Vortrag vor Fachkollegen und Studierenden in den USA. „Ich bin der FernUni dankbar, dass ich die Möglichkeit habe, meine Forschung und die FernUni zu repräsentieren“, sagt der Professor. Er nutzte die Zeit in den USA intensiv, um sich mit anderen Forschenden auszutauschen und auch Inhalte für die Studierenden in Hagen mitzunehmen. „Bei dieser Konferenz konnte ich mich mit Menschen austauschen, die ich sonst nicht treffen würde. Wir haben viel über meine Forschung gesprochen und auch über Fragen wie: Wohin geht die Reise? Woran forschen die Physiker? Wie sehen sie aktuelle Themen?“

Spitzer beschäftigt sich mit den mathematischen Aspekten von Verschränkungsentropie. „Ich beschäftigte mich mit der Analysis dieser Verschränkung und entwickle gemeinsam mit anderen Forschenden neue Methoden und Formeln, um diese Entropie zu berechnen.“ Über die Quantentheorie erklärt Spitzer Folgendes: „Es ist die erfolgreichste Theorie der Physik in der Menschheit. Es gibt kein Experiment, das ihr widerspricht.“ Zwar gibt es auch kein Experiment, das Einsteins Relativitätstheorie widerspricht, doch eine Verbindung beider Theorien existiert bislang nicht. Das beschäftigte auch schon Physik-Genie Albert Einstein intensiv. An der FernUni forscht Wolfgang Spitzer weiter. Die Quantentheorie – eben eine Wissenschaft für sich.

 

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