Psychopathie: Genussvolles Fürchten?
Für Menschen mit psychopathischer Persönlichkeit kann sich Furcht weniger negativ und sogar erfreulich anfühlen. Das zeigt eine psychologische Studie der FernUniversität.
Wir sehen etwas Furchterregendes, fürchten uns. Für die meisten Menschen fühlt sich das unangenehm an – nicht so für Personen mit psychopathischer Persönlichkeit. Sie erleben Furcht auf andere Weise als der Durchschnitt. Genauer untersucht hat das ein psychologisches Forschungsteam der FernUniversität in Hagen. Miriam Hofmann, Prof. Dr. Andreas Mokros und Dr. Sabrina Schneider veröffentlichten jetzt ihre Studie „The joy of being frightened: Fear experience in psychopathy“ in der Fachzeitschrift Journal of Personality. Die Publikation folgte dabei einem neuen Open-Science-Ansatz. „Wir haben das recht junge Modell des Registered Report genutzt. Das heißt, die theoretische und methodische Konzeptualisierung einer Studie wird bereits begutachtet, bevor die konkrete Umsetzung erfolgt“, ordnet Hauptautorin Miriam Hofmann das transparente Verfahren ein. Das zugrundeliegende Forschungsprojekt ist Teil ihrer Dissertation im Lehrgebiet Persönlichkeits-, Rechtspsychologie und Diagnostik von Prof. Mokros.
Affekte im Blick
„Wir haben uns auf die affektive Facette von psychopathischen Persönlichkeiten konzentriert“, erklärt Hofmann. „Ihnen wird in diesem Zusammenhang unter anderem nachgesagt, dass sie weniger Empathie, Schuldgefühle und eine veränderte Empfindungsfähigkeit haben. Insbesondere verfolgt die Forschung bereits seit längerem die Idee, dass die Entwicklung psychopathischer Persönlichkeitsmerkmale mit einem Furchtdefizit in Verbindung stünde.“ Was aber empfinden psychopathische Persönlichkeiten dann in furchtauslösenden Situationen, wenn es keine Furcht ist? An diese Frage knüpft die Studie an. Die Forschenden unterscheiden dabei begrifflich zwischen Angst und Furcht. Während erstere langfristig und unspezifisch schwelen kann, definiert das Team die Furcht als kontextabhängiges Empfinden in einer konkreten Situation. Ältere Studien arbeiteten hier weniger trennscharf. Dabei ist es durchaus sinnvoll, Furcht als reaktiv zu verstehen: „Indem wir Probanden furchtauslösenden Videoausschnitten aussetzten und anschließend die subjektive Wahrnehmung ihrer Reaktion evaluierten, konnten wir das individuelle Furchtempfinden messbar machen“, resümiert Hofmann.
Positives Fürchten
Herausfinden wollten die Forschenden damit vor allem mehr über die Idee des sogenannten Fear Enjoyment: „Sie besagt, dass Personen, die stärker ausgeprägte psychopatische Eigenschaften haben, furchteinflößende Situationen positiver bewerten, was in reduzierten negativen und erhöhten positiven Furchtreaktionen mündet.“ Die Ergebnisse der Tests mit rund 350 Teilnehmenden stützen diese Grundannahme. Wer psychopathische Tendenzen zeigte, erlebte die furchtauslösenden Videos nicht nur als weniger negativ, sondern im Gegenteil oft sogar als aufregender und positiver. „Sie fühlen sich damit vielleicht sogar angezogen von Situationen, die bei anderen Menschen Furcht auslösen.“
Nützliche Eigenschaft?
In der Psychologie wird dieses Merkmal auch mit „Boldness“ assoziiert – ein Terminus, der sich mit „Kühnheit“ übersetzen lässt. Ist die Eigenschaft, Furcht positiv zu empfinden, in gefährlichen Situationen „kühn“ zu handeln, nicht sogar hilfreich? Miriam Hofmann schließt das zumindest nicht aus: „Einige wenige psychopathische Eigenschaften können auch adaptiv funktionieren. Auch in der Forschung wird das Konzept des ‚erfolgreichen’ Psychopathen, der in seinem Umfeld gut funktioniert, diskutiert.“
Komplexes Konstrukt
Wichtig war dem Team, sich auf bestehende theoretische Konstrukte von Psychopathie zu beziehen: „Wir haben Wert auf eine klare Operationalisierung gelegt.“ Die Vielschichtigkeit von Psychopathie im Auge zu behalten, ist auch unerlässlich, um Fehlschlüsse zu vermeiden: So verhält sich ein Fan von Horrorfilmen nicht automatisch psychopathisch, nur weil er das blutige Treiben auf der Leinwand genießt. „Durch das sogenannte Sensation Seeking, also der weit verbreiteten Lust am Nervenkitzel, lässt sich der von uns gefundene Zusammenhang allein nicht erklären. Die Psychopathie-assoziierte Freude am Fürchten geht darüber hinaus“, so Hofmann. „Außerdem umfasst Psychopathie deutlich mehr als nur affektive Besonderheiten – wie eben furchtauslösende Stimuli mehr positiv und weniger negativ zu bewerten.“ Als typisch gelten zum Beispiel auch pathologisches Lügen, Manipulation, ein parasitärer Lebenswandel, Verantwortungslosigkeit oder ein antisoziales Verhalten, das häufig in einer erhöhten Straffälligkeit mündet.
Publikation
Hofmann MJ, Mokros A, Schneider S. The joy of being frightened: Fear experience in psychopathy. J Pers. 2023 Nov 6. doi: 10.1111/jopy.12890. Epub ahead of print. PMID: 37929319. Zur Studie