Filmwissenschaft: Was passiert da im Fahrstuhl?

Eine Tagung untersucht, welche Rolle Aufzüge in der Filmgeschichte spielen. Veranstalter Dr. Nils Jablonski hält passend dazu einen öffentlichen Vortrag samt Filmsichtung im Kino.


Pärchen küsst sich im Fahrstuhl Foto: Westend61/Getty Images
Fahrstuhl im Film: Action, Komik, Horror oder Leidenschaft – all das kann sich hinter den Schiebetüren des Aufzugs abspielen.

Eine Szene aus einem alten Stummfilm: Buster Keaton ist auf der Flucht, rettet sich in einen Fahrstuhlschacht, plumpst theatralisch ins Erdgeschoss, rappelt sich auf. Sein Verfolger poltert die Treppe hinab, Keaton stellt ihm ein Bein und stürmt die Stufen wieder hoch. Filme und Fahrstühle. Von Anfang an kommen sie im Kino zusammen – lehren das Publikum das Fürchten, kitzeln die Nerven oder reizen die Lachmuskeln. „Beide Technologien sind prägend für Moderne und Gegenwart“, ordnet Medienwissenschaftler Dr. Nils Jablonski von der FernUniversität in Hagen ein. „Der Film, der zum modernen Leitmedium schlechthin avanciert ist. Und gleichzeitig auch der elektrische Aufzug als neuartiges Fortbewegungsmittel.“ Ohne die schnellen Fahrstühle wären die Skylines der industrialisierten Großstädte undenkbar: „Die Skyscraper in den USA hießen ursprünglich sogar Elevator-Buildings – weil es für Menschen unmöglich wurde, ohne Lift überhaupt in die oberen Stockwerke zu gelangen.“

Vortrag und Filmsichtung im Kino Babylon

Aufzugszenen im Film – fast jedem Menschen dürfte sofort eine einfallen. Das Thema brachte Jablonski auf eine besondere Veranstaltungsidee: Eine Filmsichtung samt Vortrag am 1. Dezember von 17 bis 19 Uhr unter dem Titel „Technik und Körperkomik: Der Aufzug im Slapstick-Film.“ „Ich möchte Uni und Stadtgesellschaft im Kinosaal zusammenbringen“, erklärt der Forscher seine Idee. „Filme mögen doch eigentlich alle – und anschließend gemeinsam über das Gesehene zu reden, darin liegt doch der besondere Reiz des Kinos.“ Veranstaltungsort ist deshalb kein Seminarraum, sondern das Kino Babylon im Hagener Kulturzentrum „Die Pelmke“. Alle Interessierten sind herzlich willkommen. Der Eintritt ist frei. Als cineastische Beispiele dienen die Stummfilmklassiker His Wife’s Mistakes (USA 1916, R: Roscoe Arbuckle), Naughty Boy (USA 1927, R: Charles Lamont) und The Goat (USA 1921, R: Buster Keaton/Malcolm St. Clair).

Portrait Foto: FernUniversität
Nils Jablonski forscht als Literatur- und Medienwissenschaftler vor allem zu Komik und Humor.

Faszinierende Architektur

„Der Slapstick-Film schlägt schon früh komisches Kapital aus Fahrstühlen, weil Technik eben auch immer mal gerne nicht so funktioniert wie sie soll“, skizziert Jablonski. Danach macht der Aufzug schnell Karriere: „Sobald man sich Filme anschaut, die im 20. Jahrhundert spielen und urbanes Leben zeigen, kommen Aufzüge darin vor.“ Sie gehören einfach zum modernen Dekor – wie Kaffeemaschinen oder Autos. „Allerdings kann man mit Fahrstühlen in besonderer Weise spielen.“ Schließen sich die Türen, sind die Menschen auf einmal unter sich, von der Umwelt abgetrennt: „Aufzugszenen werden dann plötzlich zum Kammerspiel. Doch der Film kann mehr: Er zeigt uns Kabel, Schächte, Notausgänge und damit all das, was sonst im Innern verschlossen und nicht sichtbar ist.“

Offen für jedes Genre

Noch dazu funktioniert der Lift in jedem Genre – vom Agententhriller über Horror bis zur Sci-Fi: Zum Beispiel zeigt der Actionstreifen Stirb langsam (USA 1988, R: John McTiernan) mit Bruce Willis eine klaustrophobische Seite von Aufzügen. Hier drücken sich todbringende Feuerwalzen durch den engen Aufzugschacht. Aber auch das Gegenteil ist möglich, etwa beim intimen „Elevator Kiss“: Ein romantischer Moment, der enden muss, sobald sich die elektrischen Türen wieder öffnen. Zu sehen etwa in der Krankenhaus-Soap Grey’s Anatomie (seit 2005) oder der Romanverfilmung Fifty Shades of Grey (USA 2015, R: Sam Taylor-Johnson). Besonders vielschichtig inszenierte Drive (2011, R: Nicolas Winding Refn) mit Carey Mulligan und Ryan Gosling den Moment. Auf den gefühlvollen Kuss folgt hier eine brutale Hinrichtung. „Die Idee einer geschlossenen Kammer lässt sich in vielfacher Weise bespielen. Zufällige Begegnungen, geheimer schneller Sex oder ein Mord – im Fahrstuhl kann alles passieren.“

Spiel mit dem Raum

Der Fahrstuhl ermöglicht zudem eine starke und klare Symbolsprache. Die Türen öffnen und schließen sich wie ein Theatervorhang. Er befördert die Menschen in schwindelerregende Höhen und genauso schnell wieder hinab. Dabei erscheint er selbst als Ort, in dem Zeit und Raum für kurze Zeit aufgehoben sind. „Im Aufzug sind soziale Hierarchien ausgesetzt, denn alle müssen ihn benutzen“, erinnert Jablonski. „Außerdem erzwingt er einen Moment der Ruhe.“ In hektischen Actionfilmen bietet sich hier etwa die Möglichkeit zu Dialog und Introspektion.

Behind the Scenes

Interessant ist der Lift aber auch aus technischer Sicht, als Drehort. „Das schönste Beispiel ist das Sci-Fi-Franchise Star Trek“, so der Forscher. „In den ganzen Raumschiffen ist der Fahrstuhl als Fortbewegungsmittel für die Besatzung präsent, weil die Schiffe eben so riesig sein sollen.“ Eine wichtige Illusion, die jedoch hinter der Kamera simpel funktioniert: „Man weiß, die Turbolift-Kulisse ist in Wahrheit ein kleines Kämmerchen. Drinnen wird hinter einem Milchglasfenster das Licht an- und ausgeschaltet, damit es so wirkt, als würde der Aufzug mehrere Etagen passieren.“

Tagung als wissenschaftlicher Rahmen

Der Vortrag im Kino Babylon ist Teil der wissenschaftlichen Tagung „Aufzüge im Film“, die vom 30. November bis 2. Dezember an der FernUniversität in Hagen stattfindet und von Dr. Nils Jablonski veranstaltet wird. Forschende aus dem In- und Ausland nehmen hier ganz verschiedene Facetten des Fahrstuhl-Motivs in den Blick – vom frühen Stummfilm bis zum modernen Streaming-TV, vom Pater Noster bis zur Höllenfahrt. Weitere Infos

 

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Benedikt Reuse | 15.11.2023