„Es tut mir weh, wie schlecht über meine Heimatstadt gesprochen wird“

Der 12. Politische Salon hatte es in sich: harte Fakten, intensive Diskussionen und emotionale Wortbeiträge. Der Anlass: Hagens schlechte Platzierung im „Zukunftsatlas 2022".


Foto: FernUniversität
Das Podium: Dr. Olaf Arndt, Katja Heck, Birgit Buchholz, Christoph Gerbersmann, Prof. Hans-Jörg Schmerer, Moderatorin Cordula Aßmann (v.r.n.l.)

Das Ergebnis ist heftig: Platz 360 von 400. Die Stadt Hagen gehört zu den Schlusslichtern unter den 400 Kreisen und kreisfreien Städten, die der „Zukunftsatlas“ 2022 bewertet. „Diese Platzierung ist ein Startpunkt. Und der ist nicht unabänderlich. Deshalb sollen diese Zahlen nicht entmutigen, sondern Anlass zur Diskussion geben“, gibt Dr. Olaf Arndt von der Prognos AG zu Beginn seiner Präsentation zu bedenken. Dieser optimistische Ansatz fällt beim Blick auf seine ersten Folien aber schwer: In der Kategorie „Wohlstand & soziale Lage“ etwa belegt die Stadt Hagen den 395. Platz. Beinahe also die schlechteste Platzierung in ganz Deutschland. Hagen, quo vadis?

„Eine Region mit hohen Risiken“

Wo steht Hagen aktuell? Und wie kann es gelingen, dass sich die Stadt positiv(er) entwickelt? Das war die Ausgangsfrage, unter der die FernUniversität in Zusammenarbeit mit dem Theater Hagen und dem Emil Schumacher Museum zum 12. Politischen Salon eingeladen hatte. Die Frage trifft offenbar ins Schwarze: Noch vor Veranstaltungsbeginn müssen weitere Stühle in das Auditorium des Emil Schumacher Museums gebracht werden, mehr als 120 Interessierte sind gekommen. Anlass des Abends sind die Ergebnisse des „Zukunftsatlas 2022“: Eine Analyse der wirtschaftlichen und demografischen Zukunftsfähigkeit der Kreise und Städte in Deutschland, die die schweizerische Prognos AG alle drei Jahre veröffentlicht.

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Großes Interesse im Publikum: Das Auditorium des Emil Schumacher Museums war bis auf den letzten Platz besetzt.

Emotionale Diskussionen und harte Fakten

Die Auswertungen des „Zukunftsatlas“ scheinen den Eindruck einiger Hagener:innen in Zahlen zu fassen: „Ich empfinde Hagen als verelendete Stadt“, so das harte Fazit einer Frau aus dem Publikum zu Beginn der ersten Diskussionsrunde. „Am Hagener Bahnhof fühle ich mich nicht sicher, und das als groß gewachsener Mann. Meine Tochter bringe ich immer bis zum Gleis und gehe erst, wenn ihr Zug abfährt“, ergänzt ein anderer Hagener. Und es steht ein Elefant im Raum: die hohe Quote zugewanderter und geflüchteter Menschen in Hagen.

„Wir haben in Hagen einen hohen Anteil von Menschen aus dem Ausland, die keinen beruflichen Abschluss haben und die deutsche Sprache nicht oder schlecht sprechen“, erklärt Katja Heck. Die Geschäftsführerin der Agentur für Arbeit in Hagen ist Teil des Podiums und führt die Diskussion in eine sachliche Debatte: „Wir brauchen für diese Menschen Qualifizierungen, damit sie morgen eine Perspektive haben. Und es braucht auch eine Wirtschaft, die diese Menschen aufnimmt und die bereit ist, diese Menschen in eine Beschäftigung zu qualifizieren.

Potenzial gibt es in Hagen genug: Viele Top-Unternehmen sind in und um Hagen angesiedelt. Das gehöre zu den Stärken der Region, betont Dr. Olaf Arndt. Außerdem hat Hagen in der Kategorie „Demografie“ im Zukunftsatlas-Ranking eine Spitzenposition erreicht: Platz 40 von 400 - und damit "eine der höchsten Fertilitätsraten deutschlandweit". Der Elefant trötet.

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„Die FernUniversität gehört zu Hagens größten Stärken”, betonte Prof. Schmerer (rechts) auf dem Podium.

„Die FernUniversität gehört zu Hagens größten Stärken”

„Die schlechte Platzierung insgesamt überrascht mich“, so Prof. Dr. Hans-Jörg Schmerer, Leiter des Lehrstuhls für Internationale Ökonomie an der FernUniversität in Hagen, auf dem Podium. „Platz 360 klingt erstmal katastrophal. Aber: Es hat sich in Hagen in den letzten Jahren auch vieles zum Positiven entwickelt.“ Birgit Buchholz, Geschäftsführerin der AWO Hagen-Märkischer Kreis, neben ihm ergänzt kritisch: „Es fehlen die Mittel, um die soziale Isolation bildungsferner Familien aufzuholen.“

Das Stichwort für Stadtkämmerer Christoph Gerbersmann auf dem Podium. Er erläutert die schwierige finanzielle Lage der Stadt und kritisiert eine fehlende Unterstützung von Bund und Land. Abschließend richtet er einen emotionalen Appell ans Publikum: „Es tut mir weh, wie schlecht heute Abend über meine Heimatstadt geredet wird. Lassen Sie uns auch mal versuchen, Marketing für unsere wirklich schöne Stadt zu machen!“ Im „Zukunftsatlas“ würden Faktoren wie Freizeitmöglichkeiten oder das Kulturleben einer Stadt nicht einbezogen, kritisiert Gerbersmann: „Wir sind in Hagen nach Siegen die Stadt mit dem größten Waldanteil in NRW. Das ist wunderschön! Bitte berücksichtigen Sie zukünftig auch solche Aspekte in Ihrer Studie!“ Darauf folgt Applaus auf allen Stühlen.

„Nicht übereinander, sondern miteinander sprechen“

Die Rektorin der FernUniversität, Prof. Dr. Ada Pellert, setzt einen weiteren, nachhaltigen Punkt aus dem Publikum: „Vor allem junge Menschen müssen das Gefühl bekommen: Diese Stadt bewegt sich! Und diese jungen Menschen erwarten, dass eine Stadt auch Diversität aushält. Wo ist diese Diversität zum Beispiel heute hier im Saal? Wo sind denn die Menschen, über die wir heute so kritisch sprechen?“

Der Politische Salon endet konstruktiv: „Wir müssen Werbung für den Namen Hagen machen. Und dafür ist auch die FernUni eine entscheidende Institution. Sie gehört zu Hagens größten Stärken!“, so Prof. Schmerer zum Abschluss. Denn schließlich habe Hagen die einzige staatliche FernUniversität Deutschlands. Und auch keine andere Stadt hat den Politischen Salon.

Eva Schulze-Gabrechten | 30.10.2023