„Wir dürfen das 1,5-Grad-Ziel nicht preisgeben!“
Wie Erdbeerkuchen im April und die Reduktion von CO2 zusammenhängen, wurde beim Unternehmensforum der FernUniversität deutlich.
Mit „Nachhaltigkeit und grüne Geschäftsmodelle – was bedeutet das für regionale Unternehmen?“ war der Austausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft überschrieben. Den Abend moderierte Prof. Dr. Uwe Elsholz, Prorektor für Transfer an der FernUniversität.
Dimensionen von Nachhaltigkeit
Ihre Antwort auf nachhaltiges Wirtschaften gab Stefanie Kamp aus der Geschäftsleitung der Stadtbäckerei Kamp: „Für uns heißt das, dass wir erst im April Erdbeerkuchen anbieten und nicht schon im Januar. Das schont Ressourcen.“ Dieser Ansatz prägt auch das Geschäftsmodell des Unternehmens: Alle 32 Filialen sind innerhalb eines 30-minütigen Radius um das Stammbackhaus an der Schwerter Straße in Hagen zu erreichen. Kamp würde gerne den Transportprozess für ihre Produkte elektrifizieren, aber elektrische Fahrzeuge sind noch nicht für die Bedürfnisse des Transports von Backwaren ausgestattet.
„Nachhaltig bedeutet für uns darüber hinaus auch, dass wir unsere Beschäftigten lange an uns binden“, so Kamp. „Unsere älteste Verkäuferin ist 79. Wir haben viele Mitarbeitende, die jetzt nach 40 Jahren und mehr in den Ruhestand gehen.“ Damit lenkte Stefanie Kamp den Blick auf die Dimensionen von Nachhaltigkeit, zu denen neben Ökologie auch Ökonomie und Soziales gehören.
Probleme globaler Lieferketten
Daran knüpfte Prof. Dr. Karsten Kieckhäfer vom Lehrstuhl für Produktion und Logistik an der FernUniversität an. Seine Forschung konzentriert sich vor allem auf das Management globaler Lieferketten. Während Produktion und Logistik einen erheblichen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens haben, verbrauchen sie auch viele fossile Rohstoffe. „Diese Ressourcen stammen oft aus Ländern mit erheblichen sozialen Problemen wie Kinderarbeit oder der Verletzung der Rechte indigener Gemeinschaften“, sagte Kieckhäfer, der auch stellvertretender Direktor des Forschungsschwerpunkts Energie, Umwelt & Nachhaltigkeit an der FernUni ist. Hier kommt das Lieferkettengesetz ins Spiel, das nachhaltige Standards etablieren soll. „Das erfordert anfänglich zwar hohe Investitionen, bietet aber auch Unternehmen die Möglichkeit, diese Maßnahmen wirtschaftlich sinnvoll umzusetzen.“
Herausforderungen für Unternehmen
Dr. Michael Gerle, Geschäftsführer der Carl Bechem GmbH in Hagen, diskutierte die Herausforderungen, denen Unternehmen gegenüberstehen. Bechem produziert Spezialschmierstoffe für die Automobilindustrie und industrielle Anwendungen und ist weltweit tätig. „Wir werden in Zukunft auf CO2-neutrale Energieversorgung umstellen. Wir haben schnell gelernt, dass eine einzelne Maßnahme nicht ausreicht“, sagte Gerle. „Um nachhaltig zu arbeiten, sind eine Reihe von Aktivitäten erforderlich.“
Das Unternehmensforum
Der Austausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft führt zu wechselseitigen Innovationen. Als größte Bildungsinstitution der Stadt Hagen fördert die FernUniversität regionale Netzwerkbildung, Kooperations- und Entwicklungsprojekte sowie partizipative Austauschformate in Hagen und der Region.
Das Unternehmensforum der FernUniversität findet zwei Mal jährlich statt.
Einfluss politischer Steuerung
Wie wichtig politische Steuerung an der Stelle ist, betonte Jun.-Prof. Dr. Michael Bucksteeg als Leiter des Lehrstuhls für Energiewirtschaft an der FernUniversität: „Wir brauchen einen regulatorischen Rahmen und politische Anreize. Ein höherer CO2-Preis ist ein nützliches Instrument.“ Basierend auf seiner Forschung befürwortet der Ökonom die Dezentralisierung des Energiesystems und die Bildung von „Energiegemeinschaften“. Diese würden die Produktion, Speicherung und Nutzung von Energie über viele kleine Erzeugungseinheiten bündeln. „Die können auch als Dienstleister auftreten und ihren beispielsweise überschüssigen Solarstrom verkaufen. Das wird aktuell durch Umlagen und Abgaben verhindert, was wiederum nicht sinnvoll ist.“
Rolle der Banken
Finanzinstitute spielen eine wichtige Rolle bei der Finanzierung der notwendigen Investitionen, insbesondere von Haushalten. Sie versuchen auch, nachhaltiges Verhalten zu beeinflussen. Artur Merz, Mitglied des Vorstands der Märkischen Bank Hagen, skizzierte die Idee, ein „Ökosystem für Bauen und Wohnen“ zu schaffen. „In Zukunft möchten wir unseren Kunden die Finanzierung für Photovoltaiksysteme oder Ladestationen für Elektroautos anbieten und dabei auch lokale Handwerker in die Umsetzung einbeziehen.“
Appell an alle Ebenen
Trotz aller Bemühungen, den Klimaschutz auf lokaler und regionaler Ebene zu fördern, erinnerte Kieckhäfer daran, dass es gemeinsame Anstrengungen auf globaler Ebene braucht, um die Herausforderungen des Klimawandels zu bewältigen. So endete der Abend mit einem Appell des Wissenschaftlers: „Wir dürfen das Ziel, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen, nicht preisgeben – egal, wie es sich entwickelt. Ich wünsche mir sehr, dass wir daran unbedingt festhalten.“