Gaby Lübke
Opfer der NS-Euthanasie „ein Gesicht“ gegeben
„Der Tod meiner Großmutter war sinnlos. Aber wenn mein Vater und ich nicht über ihr Schicksal sprechen würden, wäre auch ihr Leben sinnlos gewesen.“ Gabriele Lübke befasst sich in ihrer Freizeit mit einem Kapitel der deutschen Geschichte, das diese Nation gerne verschweigt: den Massenmord an Menschen mit Behinderungen. Der nationalsozialistischen Euthanasie fielen rund 300.000 Menschen zum Opfer; über 70.000 starben in den Gaskammern von sechs Tötungsanstalten. Eine davon war eine Großmutter von Gaby Lübke. Über sie hat die Enkelin ein Buch geschrieben. Ohne das, was die Autorin im Studium an der FernUniversität in Hagen gelernt hat, wäre es vielleicht nicht entstanden. Seit vielen Jahren ist sie in der Verwaltung der FernUniversität und in Einrichtungen mit engem Bezug zu der Hochschule tätig.
Viele Kompetenzen, die Gaby Lübke für ihre historischen Recherchen benötigte, erwarb sie durch ihr wirtschaftswissenschaftliches FernUni-Studium: „Strukturiertes Arbeiten habe ich gelernt, als ich mich mit mathematischen Teilen der Wirtschaftswissenschaft auseinandergesetzt habe. Dabei muss man logisch und strukturiert denken. Das half mir dann, die Informationen zu meiner Großmutter in die richtige Reihenfolge zu bringen.“
Für ihren Diplomabschluss etwa hatte sie erst einmal Material gesammelt und dann dafür eine verständliche Struktur entwickelt, erinnert sie sich zurück. Die war ihr viele Jahre später bei dem Buch nützlich. Der Unterschied: „Für den Studienabschluss musste ich das machen, für das Buch wollte ich es. Hier wollte ich etwas aufarbeiten und zu einem Ende bringen, was meine eigene Familie betraf und was mein Vater und ich öffentlich machen wollten. Unser Ziel war und ist ja, zu verhindern, dass Rosas Leben in Vergessenheit gerät. Ich will der Euthanasie ein Gesicht geben und damit aufklären über das, was damals geschehen ist.“
SPIEGEL berichtete über Recherchen
Das Buch „‚Ich bin ohne Sinnen gestorben.‘ Leben und Leid der Rosa Schillings“, erschien im Frühjahr 2021 bei Marta-Press. Es ist in seiner anerkannten Qualität das Ergebnis jahrelanger intensiver Recherchen seit 2015, über die DER SPIEGEL bereits 2017 in einem Artikel berichtete. Anhand von familiären Überlieferungen, Schriftstücken, Briefen und ihrer Krankenakte zeichnete Lübke den Lebensweg ihrer Großmutter nach und dokumentierte eindrücklich, wie sie in die Maschinerie des nationalsozialistischen Psychiatriesystems geriet und schließlich ermordet wurde.
Eine große Rolle spielte, dass Rosa – wie Gaby Lübke sie nennt – in der Familie allgegenwärtig war und ihr Schicksal nicht verschwiegen wurde, wie das Angehörige anderer ermordeter Menschen mit Behinderungen häufig taten.
Eine Frau mit innerer Haltung
Für ihr Buch recherchierte sie umfassend, wie kranke Menschen mit geistigen und seelischen Problemen im NS-Staat behandelt wurden. Doch noch wichtiger war es der Autorin, den Menschen Rosa Schillings zu zeigen: eine Frau mit innerer Haltung, die ihre Ermordung vorausahnte und die dennoch mit ihrer Meinung über den „Führer“ nicht hinter dem Berg hielt – „Hitler, der Schweinehund“. Ihre Krankenakte unterschied sich gravierend von denen anderer Patientinnen und Patienten: Darin steht wenig zu Diagnosen und Behandlungen, vor allem sind in ihr Aussagen von Rosa dokumentiert: „Hunden legt man solches Essen nicht vor, ich lasse mich nicht zum Tier erniedrigen.“
Bei einer Vorstellung des Buches mit Lesung in einer öffentlichen Online-Veranstaltung der Hagener Universitätsbibliothek lobte der Dekan der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität, der Historiker Prof. Dr. Jürgen G. Nagel, im November 2021 die „historische Kärrnerarbeit“ der Autorin. Der Historiker Robert Parzer betonte in der Veranstaltung: „Es sind nicht nur Fachwissenschaftler gefragt, um Geschehnisse in Erinnerung zu halten und Menschen, die in Akten nur Nummern sind, ein Gesicht zu geben.“
Kind und Studium vereinbart an der FernUni
Zur FernUni kam Gaby Lübke 1979, weil kurz nach dem Abitur ihre Tochter geboren wurde: „Ich wollte das Kind, aber ich wollte auch sofort studieren.“ Gabriele Lübke lebte im sauerländischen Schmallenberg, eine Universität gab es weit und breit nicht. Doch mit der FernUni konnte sie in der Provinz Wirtschaftswissenschaft an einer Universität studieren und ihr Kind erziehen: „Ich konnte flexibel lernen – morgens, wenn meine Tochter im Kindergarten war, und abends, wenn sie schlief.“
Was ihr fehlte, war der Austausch mit anderen FernUni-Studierenden, aber eine Freundin studierte in Siegen: „Ich hatte so ein begrenztes studentisches Umfeld.“ Zudem fuhr sie zu Mentoriaten ins nicht allzu weit entfernten Arnsberg und nach Lippstadt, wo die FernUniversität Studienzentren als Anlaufstellen für ihre Studierenden in der Region hatte. Nach dem ersten Studienabschluss 1985 als eine der frühen Diplom-Ökonomen („Gendern kannte man damals noch nicht“) an der FernUniversität erwarb sie noch den Abschluss Diplom-Kauffrau.
Eine Stelle bekam sie damit nicht: „Frau mit Kind, FernUni-Absolventin – damit konnten viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber damals nichts anfangen.“ So wurde sie zunächst einmal studentische Hilfskraft im Studienzentrum Arnsberg. Hier arbeitete sie sich zur Leiterin der Geschäftsstelle hoch (1989). Studierenden gab sie „Nachhilfe“ als Mentorin für wirtschaftswissenschaftliche Entscheidungstheorien und bis 2013 für Statistik-Grundlagen.
Neue Aufgaben in der FernUniversität
1995 kam Lübke als Sachbearbeiterin ins Hagener Studierendensekretariat, wechselte 1999 in den UVM. Das Kompetenznetzwerk Universitätsverbund MultiMedia war eine hochschulübergreifende landesweite Einrichtung zur Förderung der Entwicklung neuer Medien in der Hochschullehre. Ebenso wie beim 2004 gegründeten UVM-Nachfolger Centrum für eCompetence wurde sie auch hierhin von der FernUniversität als Referentin für Marketing und Veranstaltungen abgeordnet. Das CeC unterstützte Hochschulen als Multimedia-Beratungsagentur auf ihrem Weg ins Internet. Beide Einrichtungen waren eng mit der Hagener Hochschule verbunden, zu der Lübke 2007 als Marketing-Referentin zurückkehrte.
Hier befasst sie sich heute als Referentin für Transfer und Alumni unter anderem auch mit den Deutschlandstipendien für FernUni-Studierende. Als Leiterin der Geschäftsstelle der Gesellschaft der Freunde der FernUniversität e.V. ist sie zudem Bindeglied der Hochschule zu Freundinnen und Freunden der Hochschule, zu denen viele erfolgreiche Absolventinnen und Absolventen gehören. Alles Tätigkeiten, die unter anderem strukturiertes Vorgehen erfordern.
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