„Die richtige Universität zur richtigen Zeit“

Eine Zeit des Aufbrauchs: An die Gründungsphase der FernUni erinnert sich Gründungsrektor Prof. em. Dr. phil. Dr. h.c. mult. Otto Peters (Rektor von 1974 bis 1984).


Foto: Veit Mette

„Zum 1. Dezember 1974 wird eine Fernuniversität als Gesamthochschule mit dem Sitz in Hagen gegründet.“ Mit diesem schnörkellosen ersten Satz des Gesetzes über die Errichtung einer Fernuniversität in Nordrhein-Westfalen – FUEG – vom 26. November 1974 begann offiziell eine Erfolgsgeschichte, die in der deutschen Hochschullandschaft beispiellos ist. Bereits zehn Monate später lief der Studienbetrieb mit 1.330 Studierenden an – der 1. Oktober 1975 wurde damit zum zentralen Datum in der Geschichte der FernUniversität.

An die Gründungsphase erinnert sich ihr Gründungsrektor Prof. em. Dr. phil. Dr. h.c. mult. Otto Peters.

Es hätte kaum einen besseren Zeitpunkt geben können, um eine Fernuniversität in Deutschland zu gründen: ein „Studentenberg“ drohte, neue didaktische Methoden mussten dringend zur Reform des Studiums beitragen, wissenschaftliche Weiterbildungsangebote fehlten. Deutschland brauchte immer mehr hochqualifizierte Beschäftigte. Gleichzeitig tickte vor allem im Ruhrgebiet die Uhr des wirtschaftlichen Strukturwandels mit seinen tiefgreifenden technologischen und gesellschaftlichen Folgen. Insbesondere Studierendenorganisationen verlangten 1967 den Einsatz technischer Medien in der Lehre, stärkere Beteiligung der Studierenden und vor allem die Einführung eines Fernstudiums.

Start der "Geheimoperation Feruniversität"

Aus diesen Gründen wurde seit dem Ende der 1960er Jahre über die Einführung eines Fernstudiums diskutiert. Insbesondere die Studierenden und ihre Organisationen wollten das Hochschulstudium radikal reformieren. Sie verlangten den Einsatz technischer Medien in der Lehre, stärkere Beteiligung der Studierenden und vor allem die Einführung eines Fernstudiums. Dieser Gedanke fand in den 1970er Jahren breitere Unterstützung: Vertreterinnen und Vertreter der Universitäten, der Hochschulverwaltungen der Länder und der Fernsehanstalten versuchten, in gemeinsamen Kommissionen eine Bundes-Fernuniversität zu gründen, bei der eben alle Universitäten und Fernsehanstalten beteiligt sein sollten. Ziel war ein „Fernstudium im Medienverbund“. Otto Peters: „Diese Planungen zogen sich wie bei einer schwierigen Geburt über einen langen Zeitraum hinweg. Schon bald sahen Experten, dass sich diese geplante neue Bundes-Fernuniversität wegen ihrer Größe nur schwer managen und finanzieren lassen würde. Es drohte ein Fehlschlag.“

Auch der nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister Johannes Rau betrachtete diese Planungsarbeiten skeptisch. Ihm war klar, dass die Kommissionen, an denen seine Beamten beteiligt waren, zu langsam arbeiteten und wahrscheinlich ihr ehrgeiziges Ziel nicht erreichen würden. Deshalb fasste er den Entschluss, eine Fernuniversität des Landes Nordrhein-Westfalen zu gründen. Das war der Start der „Geheimoperation Fernuniversität“, denn von dem Vorhaben drang lange nichts nach außen.

Gute zehn Jahre später rekapitulierte Rau seine damaligen Überlegungen: Für einen rohstoffarmen Staat wie die Bundesrepublik Deutschland „ist und bleibt Bildung, Ausbildung und Weiterbildung elementare Grundlage gesellschaftlicher Existenz und der notwendigen Behauptung im internationalen Wettbewerb“. Seine Projektskizze vom 9. Oktober 1973 beschrieb eine landeseigene Fernuniversität, die sich nur durch die Form der Lehrvermittlung von traditionellen Universitäten unterschied.

Für Otto Peters war Raus Entscheidung „eine beachtliche bildungspolitische und hochschuldidaktische Innovation. Sie ist umso höher zu bewerten, als die traditionellen Universitäten zumeist in didaktischer ‚Neuerungsscheu‘ befangen blieben“. Eine „teure, aber geschickte Doppelstrategie“: Als die Länder im Mai 1975 die Bundes-Fernuni aus Kostengründen stoppten, hatte die NRW-Fernuni bereits zehn Professoren berufen.

Ab Mai 1974 entwickelte ein Vorbereitender Gründungsausschuss mit 34 Wissenschaftlern und Hochschullehrern Raus Konzept weiter. Nach Ansicht des Ausschusses sollte die Fernuniversität vor allem eine Weiterbildungsuniversität sein, an der insbesondere Berufstätige im Teilzeitstudium ihr Wissen verbessern und aktualisieren, so Peters. Ihre forschungsbasierten und praxisorientierten Lehrinhalte sollten gedruckte Studienbriefe, Audio- und Videokassetten und im Fernsehen vermitteln. Das Konzept sah weiterhin. studienbegleitende Leistungs- und Lernkontrollen wie computergerechte Tests, fachliche Beratungen und Präsenz-Lehrveranstaltungen in Studienzentren vor.

Wichtig war dem Vorbereitenden Gründungsausschuss die Qualität der Studienleistungen und Abschlüsse. Daher sollten Studienmaterial und Curricula dem entsprechenden Ausbildungskanon der Präsenzhochschulen entsprechen und der Wechsel von Studierenden zwischen der Fernuniversität und anderen Hochschulen möglich sein. In Teilen der wissenschaftlichen Welt galt sie dennoch als „Paradiesvogel“, manchem Politiker als „sozialistisches Bildungsexperiment“.

Initiiert von den Pädagogen im Vorbereitenden Gründungsausschuss, „die wussten, wie sich das Lernen auf das Leben verteilen müsste“ (Otto Peters), wurde das bereits seit 1962 bekannte UNESCO-Schlagwort „Lebenslanges Lernen“ für die Fernuniversität ein zentraler Orientierungspunkt.

Es war eine tolle Zeit des Aufbruchs, alle waren begeistert – und die Arbeit war von Erfolg gekrönt!

Prof. Otto Peters

Schon vor Verabschiedung des Errichtungsgesetzes begannen am 1. Oktober 1974 der Verwaltungsfachmann Rolf von der Heyden und der Wissenschaftsexperte Dr. Bernd Sudeick in einem Büro der Fachhochschule Hagen mit vorbereitenden Arbeiten für den Aufbau der neuen Universität. Erster Kanzler der FernUniversität – die Schreibweise mit großem „U“ wird seit 1981 verwendet – wurde am 1. Dezember 1974 Ralf Bartz. Vier Tage später ernannte Rau den „Vorbereitenden Gründungsausschuss“ zum „Gründungsausschuss“. Prof. Dr. Hans-Jürgen Krupp wurde zum Vorsitzenden gewählt.

Ende 1974 lagen alleine für den Verwaltungsbereich 1.500 Bewerbungen vor. Einsatzbereitschaft und Lust auf Unbekanntes waren förderlich. Feste Arbeitszeiten? Arbeitsfreier Samstag? Niemand achtete darauf. Beschäftigte der ersten Stunde erinnern sich, dass ihr Vorstellungsgespräch am späten Abend mit „Sie können morgen früh anfangen“ endete.

Mission des Gründungsrektors: Vermitteln, was Fernstudium eigentlich ist

1975 wurden Rechenzentrum, Universitätsbibliothek, Zentrales Institut für Fernstudienforschung (ZIFF) und Zentrum für Fernstudien-Entwicklung (ZFE) eingerichtet. Das ZIFF entwickelte Konzepte für den optimalen Aufbau des Lehr- und Lernsystems der FernUniversität. Damit erforschte erstmals eine Universität ihren eigenen Lehrbetrieb. Das ZFE beriet und unterstützte die Fachbereiche bei der Erstellung und Weiterentwicklung der Fernstudienkurse.

Erster Lehrstuhlinhaber (für Wirtschaftsrecht) wurde am 1. April Prof. Dr. Ulrich Eisenhardt.

Am 18. April 1975 ernannte Minister Rau Prof. Dr. Otto Peters, der tags zuvor auf den Lehrstuhl für Methodenlehre des Fernstudiums berufen worden war, zum Gründungsrektor. Er war der einzige ausgewiesene Fernstudienexperte im Gründungsausschuss. Daher traten neben die klassischen Aufgaben eines Gründungsrektors – von der Schaffung der Selbstverwaltung mit der Organisation des Senats über die Planung und Entwicklung neuer Fachbereiche bis zur Mitwirkung in der Westdeutschen Rektorenkonferenz – Tätigkeiten ganz eigener Art. Viele Hochschullehrer mussten in die völlig anderen Anforderungen der Fernlehre eingeführt werden. Peters‘ „interne Mission“ war es, ihnen zu vermitteln, was Fernstudium eigentlich ist: Lehrtexte etwa sollen nicht nur informieren, sondern zugleich auch unterrichten und didaktische Hilfen zum Selbststudium geben.

Am 1. Oktober 1975 begann das universitäre Fernstudium in der Bundesrepublik. Die ersten Studienmaterialien der Fachbereiche Erziehungswissenschaft, Mathematik und Wirtschaftswissenschaft waren am 26. September per Post an die 1.330 Studierenden gegangen. Die Eröffnungsfeier der Fernuniversität – Gesamthochschule Hagen (so ihr damaliger Name) fand am 4. Oktober mit dem NRW-Ministerpräsidenten Heinz Kühn statt. In Ermangelung eines Audimax – das die FernUniversität niemals hatte – im Hagener Stadttheater.

Im Studienjahr 1979/80 hatte sie bereits 22.652 Studierende, die ersten freuten sich in diesem Jahr über ihre Abschlüsse.

Während ihres Aufbaus und viele weitere Jahre lang war die FernUniversität auf zahlreiche Standorte in ganz Hagen verteilt, arbeiteten Lehrgebiete wie Verwaltungsbereiche sogar in angemieteten Wohnungen. Außer dem Büro in der FH Hagen hatte sie zunächst dort nur einen Pavillon. Erstes eigenes Gebäude war seit dem 3. Dezember 1974 die Villa Bechem, in der der Gründungsausschuss und später Rektor und Kanzler residierten. Im August 1975 beschloss das Wissenschaftsministerium, in 26 NRW-Städten Studienzentren einzurichten – die Hälfte nahm schon im Oktober und November die Arbeit auf, als erstes das in Lippstadt.

Da sich auf dem Hochschulgelände lange Zeit nichts rührte, erfreute sich der Slogan „Bagger auf den Campus!“ bald bei vielen großer Beliebtheit. Am 10. September 1976 fand der erste Spatenstich für das 6.000 Quadratmeter große Aufbau- und Verfügungszentrum (AVZ) statt, das am 14. März 1981 von Johannes Rau, nun NRW-Ministerpräsident, eingeweiht wurde.

Nach zehn Jahren endete am 27. August 1984 die Amtszeit von Otto Peters. Die Gründungsphase – „das „ottonische Zeitalter“, wie die damalige Universitätszeitung schrieb – ging damit zu Ende und Prof. Dr. Ulrich Battis übernahm das Amt. Es gab nun sechs Fachbereiche: Wirtschaftswissenschaft, Rechtswissenschaft, Mathematik, Informatik, Elektrotechnik und Erziehungs-, Sozial- und Geisteswissenschaften.

Nach zehn Jahren etabliert

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die FernUniversität in Hagen bereits gut in der deutschen Wissenschaftslandschaft etabliert und die ihr vorgegeben Ziele erreicht. Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit stellte Peters fest, ihre besondere bildungspolitische Bedeutung liege darin, dass nunmehr viel mehr Menschen ein Hochschulstudium oder eine wissenschaftlichen Weiterbildung absolvieren können. Im Hinblick auf die Studienreform konnte die FernUniversität darauf verweisen, neue Lehrformen und -medien entwickelt, erprobt und evaluiert zu haben. Ein neuartiges, Computer-gesteuertes Betriebssystem zur Betreuung der Fernstudierenden war aufgebaut und die Öffnung der FernUniversität für Interessierte vorbereitet, die auch ohne Hochschulzugangsberechtigung zum Studium geeignet waren.

Die Entwicklung, Anwendung und Konsolidierung der neuen fernstudienspezifischen akademischen Lehrformen unter Verwendung von Medien für vollständige Studiengänge war ein für die Bundesrepublik Deutschland einmaliges Reformergebnis. Seine hochschuldidaktischen und bildungspolitischen Auswirkungen waren damals noch gar nicht absehbar.

Peters weiter: „Bildungspolitisch und hochschuldidaktisch waren wir mit der Gründung der FernUniversität ein großes Risiko eingegangen. Ihr im Grunde unfassbarer Erfolg zeigt jedoch, in wie hohem Maße unsere gemeinsame Aufbauarbeit gelungen ist.“