„Leitmedium war der gedruckte Studienbrief“
Die FernUniversität im WDR-Fernsehen oder der Ansturm von Studierenden nach der Wiedervereinigung: Prof. em. Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis (Rektor 1984 bis 1993) blickt zurück.
„Schon damals war unser Hauptproblem, dass die FernUniversität eine Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen ist“, sagt Altrektor Prof. Ulrich Battis in seinem Berliner Büro der Anwaltskanzlei Gleiss Lutz, wo er seit 2009 beratend tätig ist. Von der deutschen Hauptstadt aus hat der 70-jährige Rechtswissenschaftler die Entwicklung der FernUniversität in Hagen im Blick: „Im Prinzip haben sich die Rahmenbedingungen kaum geändert. Das Ringen um eine solide Grundfinanzierung durch Bund und Länder war früher wie heute eine ständige Sorge.“
Die finanziellen Spielräume des Bundes und der Länder in der Bildungspolitik waren spürbar eingeschränkt, als Ulrich Battis vor gut 30 Jahren das Rektoramt von Prof. Dr. Otto Peters übernahm. Von 1984 bis 1993 gestaltete er den Ausbau der FernUniversität Hagen – Gesamthochschule (so ihr damaliger Name). Trotz der Sparpolitik im Hochschulbereich gelang es der FernUniversität, ihren Platz im Bildungssystem zu festigen.
Studieren ohne Abitur
Die FernUniversität, die Mitte der 1980er Jahre etwa 25.000 Studierende hatte, schärfte ihr Profil als Hochschule für Berufstätige. Mitte der 1990er Jahre waren bereits 56.000 Studierende immatrikuliert. „Wir haben die Stärken der FernUniversität als Hochschule für Berufstätige herausgestellt“, betont Ulrich Battis.
„Studium an der FernUniversität jetzt ohne Abitur möglich“: Mit dieser und ähnlichen Schlagzeilen kommentierten im Herbst 1990 die Medien den Beschluss der Hochschule, erstmals eine Einstufungsprüfung anzubieten. Diese Variante ermöglichte berufserfahrenen Interessierten ohne Hochschulreife den Zugang zu einem Studium mit dem Abschluss Diplom oder Magister Artium. Hier nahm die FernUniversität mit Abstand den Spitzenplatz unter den Universitäten in NRW ein.
Deutsche Einheit: Studierendenzahlen stiegen sprunghaft
Neben der Öffnung für Berufstätige sorgte die deutsche Einheit Anfang der 90er Jahre für einen sprunghaften Anstieg der Studierendenzahlen. „Die Mauer war gerade gefallen, die Wiedervereinigung noch ein Tabu. Da kamen die ersten Kollegen mit dem Wartburg nach Hagen“, erinnert sich Ulrich Battis. „Die Hochschulen in der DDR hatten eine fest verankerte Fernlehrtradition.“ Daran knüpfte die FernUniversität an und eröffnete im Juni 1990 die ersten Studienzentren in den neuen Bundesländern (Halle, Rostock, Erfurt und Berlin-Ost).
Auch in den alten Bundesländern wie in Bayern und Baden-Württemberg wurde die wohnortnahe Betreuung der Studierenden ausgebaut, die sich bislang vor allem auf NRW konzentriert hatte. Zur Internationalisierung trug 1987 die Vereinigung europäischer FernUniversitäten zur EADTU (European Association of Distance Teaching Universities) bei. „In harter Lobbyarbeit ist es uns gelungen, dass die Förderung der Fernlehre in den Vertrag von Maastricht, also in die damalige Verfassung von Europa, aufgenommen wurde“, stellt Ulrich Battis heraus. Die internationalen Kontakte über die EADTU zahlten sich bei Kooperationen und der Gründung von Studienzentren im Ausland aus, etwa in Ungarn und der Schweiz. Als Prof. Dr. Günter Fandel im Sommer 1993 dritter Rektor der FernUniversität wurde, gab es 66 Studienzentren in Deutschland und im benachbarten Ausland.
Raumprobleme in Hagen
Die steigenden Studierendenzahlen führten zu Raumproblemen in Hagen. Wegen der Aussetzung der Hochschulbau-Mitfinanzierung des Bundes 1982 wurde Mitte der 80er Jahre nur der Erweiterungsbau AVZ II (heute Eugen-Schmalenbach-Gebäude) errichtet. Angesichts der mehr als 20 Standorte in Hagen und Iserlohn war der Wunsch groß, alle Einrichtungen der FernUniversität zentral auf dem Campus zu haben. Ein Meilenstein zur Lösung der Unterbringungsprobleme war 1993 mit der Einweihung des neuen Logistikzentrums im Hagener Industriegebiet Unteres Lennetal erreicht. Durchschnittlich 8.000 Sendungen mit Studienmaterial wurden Anfang der 1990er Jahre an jedem Versandtag verschickt.
Auf die große Nachfrage reagierte die FernUniversität mit dem Ausbau ihrer Fächer und Fachbereiche. Die Magister-Studiengänge in den Geisteswissenschaften gingen an den Start. Neue Institute schossen aus dem Boden, die den Praxisbezug der Fachdisziplinen sichern sollten.
Die Sonderrolle der FernUniversität verhinderte in der Sparpolitik des Landes NRW einen Abbau des Ausbaustandes. „Im Zuge der Konsolidierung mussten alle Universitäten Stellen abgeben. Damals gab es den Beschluss, die Fachhochschule in Hagen zu schließen. Gott sei Dank kam es dazu nicht. Dennoch haben wir als Kompensationsmaßnahme für den Raum Hagen 45 neue Stellen bekommen“, erinnert sich Ulrich Battis. Diese erhielt die FernUniversität im Haushaltsgesetz vom 19.12.1988 für die Informatik, die Elektrotechnik und den Forschungstransfer. „Das war ein Signal des Aufbruchs“, sagt Ulrich Battis. 1991 wurde aus der Fachrichtung Informatik ein eigenständiger Fachbereich.
EDV und Computer hielten Mitte der 80er Jahre Einzug an der FernUniversität. Das Zentrale Institut für Fernstudienforschung (ZIFF) und das Zentrum für Fernstudien-Entwicklung (ZFE) testeten moderne Technologien wie Bildschirmtext, Telefax und Teletex.
Der gedruckte Studienbrief als Leitmedium
Allerdings war die wissenschaftliche Lehre nach wie vor durch das in den 70er Jahren entwickelte Zusammenspiel von Printmedien und Präsenzveranstaltungen gekennzeichnet. „Unser Leitmedium war der gedruckte Studienbrief“, erzählt Ulrich Battis. „Zu Recht hat unser Kanzler Ralf Bartz gesagt: Nicht die Uni Mainz, sondern wir müssten Gutenberg-Universität heißen, weil wir das meiste Papier produzieren.“
Ergänzende Funktion kam in den 80er Jahren dem Fernsehen als Medium in der Lehre zu. Über viele Jahre verfolgte eine wissenschaftlich interessierte Fangemeinde die FernUni-eigenen Sendungen im WDR-Fernsehen. „Das war ein guter Werbefaktor“, sagt Ulrich Battis. „Ich habe damals zum Beispiel mit Ulrike Schultz eine Reihe „Frauen im Recht“ gegründet, die mit prominenten Frauen wie Rita Süßmuth, Liselotte Funcke oder Jutta Limbach aufgezeichnet wurde.“
Ein Meilenstein beim Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien war die Leitentscheidung zur Entwicklung des Lernraums Virtuelle Universität. Dafür ebnete die FernUniversität 1994 den Weg mit der Inbetriebnahme ihres eigenen Web-Servers.
Auch durch die Qualität ihrer Forschung widerlegte die FernUniversität noch vorhandene Skepsis. „Unsere Lehrenden genossen ein hohes Ansehen“, stellt Ulrich Battis heraus. Bestes Beispiel war Volkswirt Prof. Dr. Rüdiger Pohl, der 1986 in den Sachverständigenrat für die Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung berufen wurde. „Das war ein Prestige-Gewinn“, betont Battis.
Das Ansehen der FernUniversität zu stärken, verstand Ulrich Battis als zentrale Herausforderung. So hat er die Kritik des Landesrechnungshofs als Tiefpunkt seiner Amtszeit in Erinnerung. „Dieser warf der FernUniversität 1987 mangelnde Absolventenzahlen vor und forderte ihre Schließung“, blickt Battis zurück. „Wir haben das über den damaligen NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau und eine Anhörung im Landtag bereinigt.“
Von seinen Kontakten aus der Zeit in Hagen profitiert Ulrich Battis heute noch. 1993 folgte der Jurist dem Ruf an die Humboldt-Universität zu Berlin. „Ich habe an der FernUniversität viel gelernt. Gestalten, aufbauen, schaffen – das hat mich gereizt“, sagt Battis. „Die Zeit als Rektor war sehr erfüllt.“
Zur Person: Prof. em. Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis
Der Rechtswissenschaftler Ulrich Battis (*1944) war von 1984 bis 1993 Rektor der FernUniversität in Hagen. Er studierte Rechts- und Verwaltungswissenschaften in Münster, Berlin, Tübingen und Speyer. Ulrich Battis habilitierte 1974, unterrichtete als Professor ab 1976 an der Universität Hamburg und ab 1979 an der FernUniversität in Hagen. Seit 1993 lehrt er an der Humboldt-Universität zu Berlin. Als Of Counsel ist er seit 2009 bei der profilierten international tätigen Wirtschaftskanzlei Gleiss Lutz in Berlin tätig.
Ulrich Battis ist Experte für europäische Raumentwicklung sowie Bau-, Planungs- und Umweltrecht. Zu seinen Schwerpunkten gehören außerdem das Wissenschaftsrecht, das Öffentliche Dienstrecht und Fragen zu Verwaltungsreformen, insbesondere Organisation und Personal.