Mit (Weiter-)Bildung gegen Antisemitismus

Beim Berliner Symposium wurde deutlich, wie wichtig gezielte Bildungsmaßnahmen sind, um Antisemitismus nachhaltig entgegenzuwirken, Vorurteile abzubauen und Empathie zu stärken.


Foto: Thomas Rosenthal

Beim Berliner Symposium wurde deutlich,wie wichtig gezielte Bildungsmaßnahmen sind, um Antisemitismus nachhaltig entgegenzuwirken, Vorurteile abzubauen und Empathie zu stärken.

Der Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023, bei dem über tausend Jüdinnen und Juden ermordet oder entführt wurden, hat eine neue Welle antisemitischer Vorfälle in Deutschland ausgelöst. Das Berliner Symposium „Gegen Antisemitismus: (Weiter-)Bildung als Intervention“ am Berliner Campus der FernUniversität in Hagen thematisiert Antisemitismus als gesellschaftliche Herausforderung und Bildung als Ausgangspunkt notwendiger Eingriffe.

Das Symposium fand in Kooperation mit dem Forschungsverbund CoVio – Kollektive Gewalt und den Evangelischen Akademien in Deutschland statt. Die Veranstaltung vereinte Expert:innen, Forschende und Interessierte, die sich mit der Rolle von Bildung im Kampf gegen Antisemitismus auseinandersetzen: in Vorträgen, Panels und Diskussionsrunden. Es ging um Prävention, die gesellschaftliche Verantwortung von Bildungseinrichtungen und den konkreten Handlungsbedarf für die Politik, um bildungspolitische Maßnahmen zu ergreifen.

Klare Grenzen gegen Hass

In ihrer Begrüßungsrede betonte Prof. Ada Pellert, Rektorin der FernUniversität, die besondere Verantwortung der Hochschulen, klare Grenzen gegen Hass und Diskriminierung zu setzen, während gleichzeitig offene Diskursräume bewahrt werden müssen. „Hochschulen sind eben keine Elfenbeintürme. Sie sind vielmehr Orte der Wissenschaft, der Wissensproduktion und des Wissenstransfers“, sagte die Rektorin. „Als solche tragen sie Verantwortung für die Gesellschaft und bieten Raum für Debatten und Aushandlungsprozesse.“

Die Rektorin stellte die Rolle der FernUniversität vor, die durch Forschung und innovative Bildungsangebote einen Beitrag zur Prävention leisten möchte. Dabei spielt sie auf einen geplanten Weiterbildungs-Master „Gewalt in Kultur und Gesellschaft“ in Kooperation mit der Ruhr-Universität Bochum an (s. Aufklappmenü). Grundsätzlich seien die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und die Einbindung der Politik entscheidend, um wirkungsvolle Bildungsansätze gegen Antisemitismus zu entwickeln.

Subtile Vorurteile und offener Alltagsrassismus

In seiner Keynote „Antisemitismus bekämpfen: Welche Bildung braucht es?“ thematisierte Doron Kiesel vom Zentralrat der Juden in Deutschland die wachsende Bedrohung durch Antisemitismus in Deutschland und die Notwendigkeit spezifischer Bildungsansätze, um dem entgegenzuwirken. Obwohl man 78 Jahre nach der Shoah auf eine positive Entwicklung hoffen könnte, verdeutlicht Kiesel die zunehmenden Risse im deutsch-jüdischen Verhältnis. Mit dem schwindenden Zeitabstand zur NS-Zeit nähmen Verzerrungen und das Leugnen historischer Tatsachen zu. Gleichzeitig zeigten sich antisemitische Vorurteile zunehmend offen und aggressiv, oft verbunden mit israelbezogener Feindseligkeit.

Kiesel reflektierte die Perspektiven und Erfahrungen von Jüdinnen und Juden. Er zitierte Studien dazu, wie sich das Leben vieler jüdischer Menschen ändert, sobald sie ihre Identität offenlegen – oft begegnet ihnen Misstrauen oder Stereotypisierung – und schilderte drastische persönliche Erlebnisse: „Antisemitismus zu erfahren, bedeutet nicht nur, mit Vorurteilen konfrontiert zu sein, sondern auch mit alltäglichen Aggressionen, Herabwürdigungen und Exotisierungen, die nicht nur vom Einzelnen persönlich, sondern auch indirekt über die Familie, öffentliche Diskurse und antisemitische Vorfälle erlebt werden.“

Aufzeichnung der Podiumsdiskussion über „Antisemitismus – Bildungspolitik auf dem Prüfstand”

In der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland ruft die mangelnde Anteilnahme und Empathie seitens vieler Teile der deutschen Öffentlichkeit große Besorgnis hervor. Kiesel fordert gezielte Bildungsmaßnahmen, die nicht nur Wissen über Antisemitismus vermitteln, sondern auch die Empathie stärken und Vorurteile abbauen sollen.

Bildungspolitik im Fokus

Im weiteren Verlauf des Symposiums standen unter anderem Beiträge zur Analyse der „Strukturen und Traditionen“ antisemitischer Muster sowie zur Verbesserung antisemitismuskritischer Weiterbildung im Fokus. Dazu gehört der Masterstudiengang „Gewalt in Kultur und Gesellschaft“, den die FernUniversität in Kooperation mit der Ruhr-Universität Bochum zurzeit entwickelt. Prof. Dr. Jürgen Nagel vom Historischen Institut der FernUniversität und Prof. Dr. Kristin Platt vom Institut für Diaspora- und Genozidforschung der Ruhr-Universität Bochum stellten die Inhalte des geplanten Studiengangs vor. Im Jahr 2025 soll als erster Baustein dieses Angebots das Zertifikat „Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus in Bildung, Beratung und Hochschule“ angeboten werden.

Bei der abschließenden Podiumsdiskussionen erörterten Rektorin Ada Pellert, die Bundestagsabgeordnete Maja Wallstein (SPD), Ulrich Scharlack aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie Florian Beer von der Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit, Beratung bei Rassismus und Antisemitismus (SABRA), vor welche Herausforderungen das aktuelle Erstarken des Antisemitismus die nationale Bildungspolitik, aber auch die Hochschulen stellt. Moderiert wurde die Diskussion vom Hörfunkjournalisten Dr. Sebastian Engelbrecht aus dem Hauptstadtstudio des Deutschlandfunks.

    • angeboten durch CoVio – Forschungsverbund Kollektive Gewalt
      (Prof. Dr. Jürgen Nagel / FernUniversität in Hagen und Prof. Dr. Kristin Platt / Ruhr-Universität Bochum)
    • fächerübergreifendes Studium zur Geschichte und Gegenwart von politischer Gewalt, zu Ursachen und Strukturen von Kriegen, Konflikten und Genozid
    • enge Zusammenführungen von aktuellen Tendenzen der Forschung, gesellschaftlichen Herausforderungen und Kompetenzen für die berufliche Weiterbildung
    • praxisnahe Vertiefungen zu Formen und Konzepten historisch-politischer Bildung, Ethik, Erinnerungsarbeit
    • Zentrale Aufgaben: Stärkung der Forschung, schulische und außerschulische Bildungsarbeit, Sensibilisierung der Öffentlichkeit
    • Zielgruppen:unter anderemSchulen, Erwachsenenbildung, Gedenkstätten, Polizei, Justizvollzug, Verwaltung; thematische Interessierte (im Alltagskontakt mit Gewaltphänomenen) und wissenschaftlich Interessierte (Forschende zu Gewaltphänomenen)
    • Leitideen: Wissensbezogene Perspektive auf Antisemitismus
    • Sozialpsychologische Perspektiven: Auseinandersetzung mit Vorurteilsstrukturen; Integration von Aspekten Hass, Aggression
    • Historische und politikwissenschaftliche Perspektiven:Entstehung des Antisemitismus des 19. Jahrhunderts; Denken der Wende 19. / 20. Politik; Antisemitismus als Politik; Antisemitischer Rassismus; Antisemitismus neurechter Bewegungen
    • Studiengang zurzeit in der Entwicklung, Akkreditierung der Studieninhalte im Oktober 2024
    • ergänzendes Angebot: Zertifikat „Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus in Bildung, Beratung und Hochschule“ (Institut für Weiterbildung der FernUniversität, ab Mitte 2025)
Anja Wetter | 20.11.2024