Verkehrswende: Es geht um mehr als Klimaschutz
Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein – dazu muss vor allem der Verkehrssektor beitragen. Wie das gelingt, war Thema bei einer Diskussion der FernUni im Hagener Ratssaal.
Um eins vorweg zu nehmen: Es geht nicht um Fahrrad versus Auto. Es geht auch nicht um Verbote. Umdenken und umsteuern müssen wir als Gesellschaft trotzdem. Das wurde sehr deutlich bei der Diskussionsveranstaltung, zu der der Forschungsschwerpunkt Energie, Umwelt & Nachhaltigkeit (FSP E/U/N) der FernUni eingeladen hatte. Sie fand an dem Ort statt, an dem in der Stadt Hagen die Entscheidungen im Verkehrsbereich gefällt werden: im Hagener Ratssaal. Menschen aus Hagen und dem Umfeld der FernUni saßen im Publikum, Menschen aus aller Welt waren virtuell und live zugeschaltet.
Verkehrssektor spart zu wenig CO2 ein
Um Fakten kommen wir allerdings nicht umhin: „Der Verkehrssektor spart deutlich zu wenig CO2 ein. Das ist aber notwendig, um die Klimaschutzziele zu erreichen”, mahnte Prof. Sophia Becker von der TU Berlin in ihrem Hauptvortrag. „Das individuelle Mobilitätsverhalten spielt eine wichtige Rolle für die Verkehrswende.” Die Soziologin und Psychologin forscht zu nachhaltiger Mobilität und Transformationsprozessen. Sie hat das Berliner Mobilitätsgesetz (2018) vor der Haustür beobachtet und den Einfluss erlebt, den die Berliner:innen auf die Politik gehabt haben. „Die Städte haben eigenen Handlungsspielraum für die Verkehrswende, vor allem für den Umgang mit öffentlichem Raum.“
Wie sich der nutzen lässt, wenn die Autos mal für zwei Tage ausgesperrt werden, lässt sich einmal im Jahr im Hagener Stadtteil Wehringhausen erleben: beim „Parking Day“, der auf die Initiative des Vereins Hatopia zurückgeht. Es tut sich ein gemeinsamer Raum für Kultur, Grün und Gespräche auf. Der Lärm wird reduziert, die Luft bleibt sauberer.
Push- und Pull-Faktoren zugleich
Immerhin hat die Stadt damit begonnen, Autos den Raum zu nehmen und ihn für Radverkehr freizugeben. Das ist ein lehrbuchmäßiger erster Schritt. Denn die Mobilitätsfachfrau Becker führte aus, dass es genau dieses Nebeneinander von Push (Raum für Autos zurückdrängen) und Pull (Raum für Fahrräder ausweiten) brauche.
Zuvor hatte Henning Keune, der Technische Beigeordnete der Stadt Hagen und Kooperationspartner des FSP E/U/N für die Veranstaltung, von den topografischen Einschränkungen Hagens mit seiner hügeligen Lage gesprochen. Hinzu käme die enge Haushaltslage der Stadt. Nichtsdestotrotz flammte in der anschließenden Diskussion mit dem Publikum der Gedanke an das alte Straßenbahnnetz in Hagen wieder auf. Den befeuerte Stadtentwickler Prof. Joachim Scheiner von der TU Dortmund: „Städte mit einer Größe ab 100.000 Einwohnern können darüber nachdenken. Ab der Größe lohnt es sich. Der öffentliche Personennahverkehr braucht Menschen pro Quadratmeter.“
Dazu passte ebenfalls, dass Dr. Katharina Ebner von der FernUniversität, die als Wirtschaftsinformatikerin die Forschungsgruppe „smart cities“ leitet, ergänzte: „Der Nutzen für ein Verkehrsmittel muss sichtbar werden. Dabei kann uns KI helfen.“ Für die Wahl eines Verkehrsmittels spielen Zeit, Kosten und Bequemlichkeit eine Rolle. Zeit sei am Ende wichtiger als Geld.
Stimmen vom Podium
„Der Nutzen für die Wahl eines Verkehrsmittels muss sichtbar werden. Methoden der KI können helfen, um die Motivation zu lenken: Sie können anleiten und loben.”
Dr. Katharina Ebner, Leiterin Forschungscluster smart cities, Betriebliche Anwendungssysteme/FernUniversität
„Der Parking Day macht deutlich, wie schön wir den öffentlichen Raum statt mit parkenden Autos mit Begegnungen, Gesprächen und Kultur füllen könnten. Wir lassen die Menschen eine Vision erleben. Es zeigt: Eine Verkehrswende darf Spaß machen.”
Jessica Bönn, Verein Nachhaltigkeitszentrum Hagen/Hatopia
„Jahrzehntelang haben wir Städte ums Auto herum geplant. Warum jetzt nicht mal für die nächsten Jahrzehnte ein anderes Verkehrsmittel in den Vordergrund rücken?! Das ist eine Frage der Gerechtigkeit.”
Prof. Dr. Joachim Scheiner, Fachgebiet Stadtentwicklung/TU Dortmund
„Aus der Zivilgesellschaft kommen oft wertvolle Impulse für eine klimaschonende und sozial-verträgliche Mobilität, die von der Politik konstruktiv aufgenommen werden sollten.”
Prof. Sophia Becker, Fachgebiet Nachhaltige Mobilität und transdisziplinäre Forschungsmethoden/TU Berlin
„Wir haben in Hagen großen Nachholbedarf beim Radverkehr, auch wenn die Stadt eine schwierige topografische Lage hat.”
Henning Keune, Technischer Beigeordneter der Stadt Hagen
Die Veranstaltung im Hagener Ratssaal ist ein Baustein mehr in der Kooperation zwischen der Stadt und der FernUniversität – und füllt das Kooperationspapier mit Leben. „Es ist uns ernst mit der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Stadtgesellschaft“, betonte auch FernUni-Rektorin Prof. Ada Pellert zu Beginn des Abends. Für sie zahlt die Verbindung auch darauf ein, komplexe Probleme wie die Verkehrswende und den Klimaschutz nur interdisziplinär und gemeinsam mit der Zivilgesellschaft lösen zu können.
Wechsel der wissenschaftlichen Leitung
Für den Forschungsschwerpunkt E/U/N markierte die Ringvorlesung zur Verkehrswende Veränderungen im Inneren: Der langjährige Leiter Prof. Alfred Endres, der den FSP aufgebaut und geprägt hat, übergibt die Leitung an Prof. Karsten Kieckhäfer (Lehrstuhl für Produktion und Logistik). „E/U/N ist ein echtes Erfolgsmodell für die FernUni”, würdigte Kieckhäfer damit auch seinen Vorgänger.
Die Ringvorlesung Energie, Umwelt & Nachhaltigkeit gilt als Schaufenster in die Region Hagen und als Forum der Kommunikation zu hochaktuellen Themen aus den drei Themenbereichen. Die Veranstaltung zur Verkehrswende wurde aufgezeichnet. Der Videostream ist abrufbar.