Eine Medizin mit Risiken und Nebenwirkungen
Die Sehnsucht nach dem perfekten Babyglück treibt viele um. Wo es nicht natürlich klappt, können Eingriffe helfen. Eine Tagung am 17. und 18. November thematisiert mögliche Folgen.
Kinder kriegen, Eltern werden. Nicht immer funktioniert das auf natürlichem Weg. Das kann gesundheitliche Gründe haben, am Alter liegen oder auch mit dem persönlichen Lebensentwurf zusammenhängen, etwa bei homosexuellen Paaren. Inzwischen gibt es viele Möglichkeiten, Kinderwünsche dennoch zu erfüllen: Zum Beispiel durch Samenspende, Embryospende, Leihmutterschaft oder das Einfrieren von Eizellen – für viele ist das zunächst eine gute Nachricht. Dass alle Verfahren jedoch auch mit Problemen verbunden sein können, die sich teilweise erst viele Jahre später zeigen, stellt Mikrosoziologin Prof. Dr. Dorett Funcke in ihrer Forschung mit Betroffenen immer wieder fest. „Wir sehen Folgen“, so die Wissenschaftlerin von der FernUniversität in Hagen. „Es lohnt sich, diese unter kritischen Gesichtspunkten näher anzuschauen.“ Dabei geht es ihr keineswegs darum, die Reproduktionsmedizin zu verdammen. Vielmehr möchte die Leiterin des Netzwerks Qualitative Familienforschung konstruktiv und offen über Risiken aufklären.
Um das Thema ganzheitlich zu diskutieren, veranstaltet das Netzwerk am 17. und 18. November 2023 eine interdisziplinäre Tagung an der FernUniversität: „Vom Gewordenen zum Gemachten. Wenn sich die Grenze zwischen Zufall und freier Entscheidung verschiebt – Familienplanung 2.0“. Die Tagung findet auf dem Hagener Campus statt und öffnet sich bewusst einer breiten Zielgruppe: Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis, Betroffenen und generell allen Interessierten, die mehr über das Thema erfahren, sich austauschen und vernetzen wollen. Die Anmeldung ist bis zum 10. November möglich.
Sensibilisieren für soziale Phänomene
„Die Entwicklung in der Reproduktionsmedizin ist als Thema nicht neu und beschäftigt uns seit vielen Jahren“, ordnet Funcke wissenschaftlich ein. Die Palette medizinischer Möglichkeiten wachse stetig; die Debatte um mögliche Nachteile hinkt dem technischen Fortschritt jedoch bisweilen hinterher: „Insbesondere soziale Phänomene sind bisher noch kaum ins öffentliche Bewusstsein gerückt“, so die Mikrosoziologin. „Dafür zu sensibilisieren, ist ein wesentliches Ziel der Tagung.“ Dabei ist die Rechtslage in Deutschland, im Vergleich zu anderen Ländern, relativ strikt: So sind etwa Eizellenspende und Leihmutterschaft verboten, die künstliche Befruchtung zwar erlaubt – allerdings dürfen Samenspenden laut Gesetz seit 2018 nicht mehr anonym erfolgen und werden in einem bundesweiten Register nachgehalten.
Wo komme ich eigentlich her?
Aus Sicht der Soziologin ergibt die Regulierung Sinn, denn: „Ethisch schwierig wird es schon zu einem ganz frühen Punkt.“ Funcke führte viele wissenschaftliche Interviews mit Personen, die aus Samenspenden hervorgegangen sind. Dabei fand sie heraus, dass manchmal sogar scheinbar unkomplizierte Konstellationen zu Identitäts-Problemen führten: „Selbst bei einem heterosexuellen Paar, das sich liebt und auch sonst die besten Voraussetzungen hat, bleibt die Samenspende ein technischer Eingriff.“ Das sorgt für Verunsicherung, wo liegt der eigene Ursprung? „Manche der Befragten klagten: ‚Ich bin ja technisch hergestellt‘“, berichtet die Forscherin.
Unsicherer Blick in den Spiegel
Die Frage nach der biologischen Herkunft kann unter Umständen quälend sein. „Manche gucken in den Spiegel, um sich in eine Abstammungslinie einordnen zu können. Sie subtrahieren alles, was sie zuordnen können und setzen sich aus den Resten phantombildartig einen Vatertypen zusammen, den sie fortan suchen“, teilt Funcke eine Erkenntnis aus ihrer Forschung. Mit Blick auf den Leidensdruck mancher Betroffenen, ist es der Familienforscherin wichtig, sie mit an den Tisch zu holen, ihre Stimmen in der öffentlichen Debatte zu stärken. Unter anderem ist auf der Tagung deshalb auch der Verein Spenderkinder vertreten, in dem sich Betroffene organisieren.
Familienplanung am Reißbrett?
Noch riskanter sind Modelle wie die Leihmutterschaft. Hierbei geben Mütter ihre Neugeborenen gegen Bezahlung ab – besonders heikel wird es, wenn das Kind dabei aus einer künstlichen Befruchtung hervorgegangen ist. „Die Elternschaft wird damit immer weiter zwischen sozialen und biologischen Eltern aufgespalten“, warnt Funcke vor Konfliktpotenzial. Zudem beobachtet sie die fortschreitende Tendenz, Familien zu „ökonomisieren“. „Es gibt mittlerweile die Möglichkeit, Lebensläufe individuell zu planen und zu optimieren, indem Frauen ihre Eizellen einfrieren lassen. Das nennt man ‚Social Freezing‘.“ Das Kalkül: Frauen bestimmten den richtigen Zeitpunkt zum Kinderkriegen selbst; können so zum Beispiel erst ihre Karriere vorantreiben oder auf den richtigen Partner warten.
Wissen als Entscheidungshilfe
Frauen müssen den versprochenen Nutzen mit gesundheitlichen Risiken abwägen. Fest steht: In liberalen Gesellschaften liegt viel Sorgfaltspflicht beim Individuum. „Mehr Verantwortungsdelegation an den Einzelnen“, nennt es die Sozialforscherin. Je größer die Freiheit, desto höher der Druck. „Es ist deshalb wichtig, Menschen in die Lage zu versetzen, ihre Entscheidungen aufgeklärt zu treffen“, untermauert Dorett Funcke ein zentrales Anliegen ihres Forschungsnetzwerks. Gesetze müssen diejenigen schützen, deren Urteils- und Handlungsvermögen eingeschränkt ist, zum Beispiel eben Kinder und Jugendliche. Darüber hinaus ist Wissen Trumpf: „Wir brauchen Forschung, gut begründete Politik und eine informierte Öffentlichkeit.“ Dazu soll die Tagung ihren Teil beitragen.
Die Tagung wird von Ernsting’s family und der Gesellschaft der Freunde der FernUniversität gefördert.
- Tagungsflyer mit Programm | mehr (pdf 209 kB)