Forschung im Land der Hidden Champions
Prof. Thomas Ludwig entwickelt cyber-physische Systeme für Unternehmen und Institutionen. Er leitet ab sofort die Professur für Bildungstechnologie in der digitalen Transformation.
Prof. Dr. Thomas Ludwig betreibt Forschung zum Anfassen: Der 35-jährige Wirtschaftsinformatiker entwickelt Systeme für die Praxis: Industrie 4.0, Assistenzsysteme, Apps mit Augmented Reality. „Wir vernetzen Software und mechanische Komponenten“, sagt er. Zum 1. April 2023 hat Thomas Ludwig die Forschungsprofessur an der FernUniversität in Hagen angetreten. Die Professur ist angedockt an den interdisziplinären Forschungsschwerpunkt Arbeit – Bildung – Digitalisierung (ABD), der sich mit den Auswirkungen und Anforderungen digitaler Arbeitswelten beschäftigt.
Qualifizierung gegen Arbeitskräftemangel
„Unter Bildungstechnologien verstehe ich weiterbildende Technologien, die am Arbeitsplatz eingesetzt werden, etwa Virtual-Reality-Brillen“, konkretisiert er seine Professur im Forschungsschwerpunkt ABD. Diese Technologien sollen helfen, Beschäftigte weiter zu qualifizieren und sie fit zu machen für die Veränderungen durch die Digitalisierung in der Berufswelt. „Wir können damit dem Fachkräftemangel begegnen, der schon eher ein Arbeitskräftemangel ist. Wir müssen es Beschäftigten ermöglichen, sich Kompetenzen für den Umgang mit neuer Technik anzueignen – und zwar im laufenden Betrieb.“ In zahlreichen Drittmittel-Projekten hat Thomas Ludwig das schon umgesetzt.
Regionale Netzwerke und Kooperationen
Der Wirtschaftsinformatiker bedient die Schlüsseltechnologien, die in der Region eine große Rolle spielen wie beispielsweise menschzentrierte Assistenzsysteme oder künstliche Intelligenz. Dabei denkt und arbeitet er in regionalen Netzwerken und Kooperationen: mit Unternehmen und Firmen ebenso wie mit Kommunen, Hochschulen, Arbeitgeber- wie Arbeitnehmerverbänden. Während seines Studiums und seiner Promotion half er bereits beim Aufbau des heutigen Mittelstand Digital Zentrum in Siegen und stieg später ins Zukunftszentrum KI NRW ein. Beide Zentren beraten kleine und mittelständische Unternehmen bei der Umsetzung von Schulungskonzepten für KI und digitale Technologien.
Für ein fahrendes Digitallabor – ein umgebauter Gelenkbus mit Werkstatt und Seminarecke – hat Ludwig Kurse konzipiert: vom Digitaldruck über den Einsatz von VR-Brillen bis hin zu KI-Technologien für verschiedene Abteilungen in Unternehmen, aber auch die Zivilgesellschaft. So funktioniert Digitalisierung im ländlichen Raum im Zusammenspiel zwischen Hochschule, Firmen und Gemeinden.
„Das Regionale ist meine Stärke.“ Seine Biografie bringt diese Nähe mit sich: Thomas Ludwig ist in Südwestfalen aufgewachsen und akademisch sozialisiert – in der Heimat vieler „Hidden Champions“, kleinerer und sehr erfolgreicher Unternehmen in den Bereichen Automotive, Informationstechnologie und Telekommunikation. Daher hat Ludwig Beziehungen zu Firmen und Betrieben aufgebaut, die an Partnerschaften für Forschungsprojekte interessiert sind.
Chatbot für Studienberatung
Ganz aktuell liegt ein genehmigter Antrag auf seinem Schreibtisch, einen Chatbot für die zentralen Studienberatungen an allen NRW-Hochschulen zu entwickeln. „What2Study“ soll die zentralen Studienberatungen von den allgemeinen Fragen zum Studium entlasten. „Dann sind die Studienberaterinnen und -berater wieder frei für persönliche und tiefergehende Beratung.“ Die FernUni hat die Konsortialführung, fünf weitere Hochschulen sind angeschlossen, um ein Modell zu entwickeln und einen Prototypen zu bauen. Die zentralen Studienberatungen werden stark in die Anforderungserhebung einbezogen und testen fortlaufend die spätere Anwendung. „Am Ende sollen die Nutzer:innen die Software bedienen und selbst pflegen können. Wir schaffen die Infrastruktur, wie sie sich die Anwendungen eigenständig aneignen können.“
Von der Vorstudie zum Programmcode
Für Ludwig liegt der Erfolg von Technologie nicht in der eigentlichen Technologieentwicklung als solches, sondern erst in der sinnvollen Technologienutzung durch ihre Nutzer:innen. So entstehen die Ergebnisse seiner Forschung nicht am Reißbrett. Sie entwickeln sich gemeinsam mit den späteren Nutzer:innen nach vorheriger gründlicher Feldanalyse – auch mal um 6 Uhr an einer Produktionsstraße bei einem Automobilzulieferer. „Das sorgt auch für Street Credibility. Ich möchte ja mit den Menschen vor Ort zusammenarbeiten und erfahren, wo der Schuh drückt.“ Aus den empirischen Vorstudien leiten Ludwig und sein Team die so genannten „Design Spaces“, also konkrete Anforderungen für die Sytementwicklung ab. Erst wenn die klar sind, schreiben sie den Programmcode für die steuernde Software. Evaluiert wird natürlich auch. „Wir wollen wissen, welche Auswirkungen die Intervention durch das Tool in der Praxis hat. Nur so können wir es verbessern.“
In die Projekte und die drei Phasen sind die Promovend:innen in Ludwigs Lehrgebiet fest eingebunden. „Die empirische Praxis ist fester Bestandteil der Promotion“, sagt Ludwig. „Bei mir bauen die Promovend:innen auch Dinge. Sie eignen sich nicht nur Theorie an.“
Prof. Thomas Ludwig, der vor seinem Start an der FernUni für viereinhalb Jahre die Juniorprofessur für Cyber-physische Systeme an der Uni Siegen innehatte, ist überzeugt: „Wenn man etwas vorzeigen und anfassen kann, ist das oftmals schon das Ticket-to-talk.“ Sein Türöffner zu Kooperationspartnern für Forschungsprojekte – und sicher ein Grund dafür, dass die Liste seiner Drittmittel-Vorhaben lang ist.