„Wir haben viel über die Theorie gelernt“
Eine psychologische Studie forschte in 35 Ländern zur Wahrnehmung von handelnden Personen und Gruppen in der Corona-Pandemie. Besonderes Augenmerk lag auf der Methode.
Politik, Gesundheitssektor, Verwaltung – die Corona-Pandemie setzte auf ihrem Höhepunkt viele Bereiche unter Druck. Wie fiel das gesellschaftliche Urteil über die handelnden Personen und Gruppen aus? Wie hängt die Bewertung mit der Akzeptanz von Corona-Schutzmaßnahmen zusammen? Dazu befragte eine internationale Erhebung Personen auf der ganzen Welt. Einer der Köpfe dahinter ist Dr. Maria-Therese Friehs von der FernUniversität in Hagen. Die Psychologin leitete das Projekt gemeinsam mit Dr. Patrick F. Kotzur von der britischen Durham University. Insgesamt flossen Ergebnisse von 67 Forschenden aus 35 Ländern ein – von Argentinien über China, Deutschland, Ghana, Russland, den USA bis hin zu Usbekistan. Pro Land wurden jeweils mindestens 300 Testpersonen befragt. Die Studie lief in der Hochphase der Pandemie – 2021 und 2022. Dass sie weniger als zwei Jahre gedauert hat, ist der guten Vernetzung der Forschenden untereinander zu verdanken. „Die Studie entstand in ganz enger Kooperation“, betont Friehs.
Ihr Team veröffentlichte die Ergebnisse vor kurzem in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Scientific Reports (s. Infobox). Inhaltlich bestätigen die Daten vorher getroffene Annahmen: So gehen positive Bewertungen von Staatsoberhäuptern etwa nachweisbar mit der Bereitschaft einher, Schutzmaßnahmen einzuhalten. Besonders an der Studie ist ihr methodenkritischer Ansatz, der das verwendete Wärme-Kompetenz-Modell reflektiert und weiterentwickelt – ein wichtiger Aspekt für Friehs, die im Lehrgebiet Psychologische Methodenlehre und Evaluation (Prof. Dr. Oliver Christ) arbeitet.
Wärme und Kompetenz als Indikatoren
„Wir sind beide sehr interessiert an sozialer Wahrnehmung“, erklärt Friehs über ihren Forschungspartner Kotzur und sich, „also an der Frage: Wie bilden wir uns einen Eindruck von anderen Menschen oder Gruppen?“ Hierfür existiert in der Psychologie bereits ein Schema: „Es gibt mehrere Modelle, die sagen, dass dafür zwei Sachen extrem wichtig sind: Meine Einschätzung der Wärme – ist die andere Person oder Gruppe mir freundlich oder feindlich gesinnt? Und die Einschätzung der Kompetenz – sind die anderen in der Lage, ihre Anliegen durchzusetzen?“
Laut Friehs sorgen die beiden Begriffe allerdings auch oft dafür, dass Äpfel mit Birnen verglichen werden: „Das, was wir als Wärme oder Kompetenz verstehen, kann ganz unterschiedlich sein.“ Allein in den Übersetzungen der englischen Begriffe „warmth“ und „competence“ können in allen Sprachen andere Bedeutungen mitschwingen. Aber auch innerhalb eines Sprachraums ändert sich die Auslegung, je nachdem wer oder was gerade bewertet wird. „Wir hatten den Plan, das zu verbessern.“
Vergleichbarkeit national verbessert
Dann kam Corona und damit die Gelegenheit für das internationale Projekt: Auf der ganzen Welt sollten Testpersonen benennen, welche nationalen Akteure sie in der Krisenzeit am relevantesten finden. Ganz oben standen in fast allen Ländern Staatsoberhäupter, der Gesundheitssektor, führende Forschende, Pflegepersonal, aber auch die jeweiligen Protestbewegungen. Im zweiten Teil der Studie sollten die Testpersonen dann Wärme- und Kompetenz-Werte der handelnden Personen und Gruppen bestimmen. Der Kniff: Die beiden großen Indikatoren unterteilten die Forschenden in jeweils sechs kleinere. Sie waren an die jeweiligen kulturellen Gegebenheiten angepasst und so für jedes Land spezifisch gemischt. Das Team bildete Mittelwerte und sorgte mit einem psychometrischen Verfahren für Vergleichbarkeit. „So lassen sich zum Beispiel alle Akteure, die in China bewertet wurden, auch wirklich zusammen auf einer Skala darstellen.“ Vergleichbar mit anderen nationalen Skalen, etwa der deutschen, sind die Werte damit aber nicht mehr.
Analyse über Länder hinweg
„Es handelt sich eben um kein globales Konstrukt“, benennt Friehs klar die Grenzen des verwendeten Wärme-Kompetenz-Modells. Trotzdem fragte die Studie zusätzlich noch drei Akteursgruppen über alle Länder hinweg ab, um internationale Vergleichbarkeit herzustellen: Staatsoberhäupter, medizinisches Personal und Protestbewegungen. Als Kompromiss diesmal allerdings mit einer für alle einheitlichen Skala, die kulturelle Spezifika außer Acht ließ: „Chinesische Ärztinnen und Ärzte werden hier also anders gemessen als im reinen Vergleich innerhalb Chinas. Dafür kann man sie dann aber mit französischen, US-amerikanischen oder schweizerischen Ärztinnen und Ärzte vergleichen.“
Inhaltliche Ergebnisse
Als nächstes wollten die Forschenden wissen, ob es einen Zusammenhang zwischen der Bewertung von Personen und Gruppen und dem berichteten Verhalten der Teilnehmenden gibt. Sie fragten unter anderem nach der Zustimmung zu Corona-Schutzmaßnahmen in den 35 Ländern und dem Impfverhalten – mit recht einheitlichem Ergebnis. Friehs: „Je mehr man den Staatoberhäuptern und dem medizinischen Personal Wärme und Kompetenz zugesprochen hat, desto stärker waren etwa Präventionsverhalten und Impfbereitschaft ausgeprägt – beziehungsweise in Bezug auf die Protestbewegungen umgekehrt.“
Repression als Problem
Angesichts des Themas war die Arbeit an der Studie bisweilen auch heikel: „Es ist das erste Mal, dass ich so international gearbeitet habe und es ist unglaublich schwierig, die Kontexte in den Ländern richtig einschätzen zu können. Es gab viele Länder, in denen die Arbeit an diesem Forschungsprojekt begonnen wurde, die dann aber nicht in den finalen Datensatz aufgenommen wurden, weil die politischen Zwänge die Durchführung der Studie oder die Teilnahmebereitschaft der Befragten zu sehr beeinflusst haben.“ Generell gab es viele landesspezifische Hürden: In Belarus wurde den Kooperationspartnerinnen die Erlaubnis entzogen, Meinungsforschung zu betreiben. In Kuba war das öffentliche Internet zu schlecht und zu teuer. Auch in China war es sehr schwer, eine Kooperation im Land aufzubauen. „Und unsere Kolleginnen aus der Ukraine haben uns tatsächlich Mails aus dem Bunker geschrieben“, berichtet die Psychologin.
Nicht in Stein gemeißelt
Eine wesentliche Errungenschaft ihrer Studie sieht Friehs in der reflektierten methodischen Arbeit. „Wir sind die ersten, die das Wärme-Kompetenz-Modell in einen Zusammenhang mit so handfestem persönlichen Verhalten gesetzt haben. Wir treiben die Forschung außerdem durch unseren methodischen Ansatz voran, bei dem wir auf maximale Vergleichbarkeit geachtet haben.“ Zudem freut sich Friehs über einen großen theoretischen Lerneffekt: „Mit unseren Daten kann man jetzt wiederum zurück in die Theorie gehen und sich das Modell noch einmal kritisch anschauen.“ Zum Beispiel weist vieles darauf hin, dass Wärme und Kompetenz von den Testpersonen gar nicht getrennt voneinander bewertet werden, sondern stark korrelieren. Für die Psychologin ist klar: „Wir müssen die Prämissen, mit denen wir arbeiten, hinterfragen – und ein Modell, falls nötig, auch aktualisieren.“
Die Studie
Friehs, MT., Kotzur, P.F., Kraus, C. et al. Warmth and competence perceptions of key protagonists are associated with containment measures during the COVID-19 pandemic: Evidence from 35 countries. Sci Rep 12, 21277 (2022). https://doi.org/10.1038/s41598-022-25228-9
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