Lena Merkle
Lernen vom anderen Ende der Welt
„Philosophie im europäischen Kontext“ – so heißt der Masterstudiengang, den Lena Merkle an der FernUniversität in Hagen belegt. Auch wenn sich die 25-Jährige zwischen den Denkerinnen und Denkern Europas wohlfühlt, wollte sie doch für eine Weile über den europäischen Tellerrand hinausblicken. Das Wintersemester 2017/18 verbrachte sie deshalb auf der anderen Seite der Welt: auf der indonesischen Insel Bali. In Jimbaran studierte Lena Merkle an der Universitas Udayana. Die FernUniversität leistete dabei finanzielle Hilfe im Rahmen des „Programms zur Steigerung der Mobilität von Studierenden deutscher Hochschulen“ – kurz PROMOS. Gefördert wird es vom Deutschen Akademischen Austauschdienst aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
„Ich habe neue Perspektiven auf viele Themen kennen gelernt und meine eigenen Ansichten mehr als einmal in Frage gestellt“, sagt Lena Merkle.
Einen wissenschaftlichen Tunnelblick hat die gebürtige Baden-Württembergerin schon immer vermieden. Bereits im Bachelorstudium der Kulturwissenschaften in Koblenz legte sie sich mit Ethnologie und Philosophie gleich zwei inhaltliche Schwerpunkte. „Am Ende des Bachelors stand ich vor der Wahl, entweder in die politische oder in die philosophische Richtung zu gehen.“ Schließlich entschied sie: „Ich mache einfach beides.“ 2014 zog Merkle nach Magdeburg. Dort absolvierte sie den Master „Friedens- und Konfliktforschung“. Mittlerweile ist sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Magdeburger Lehrstuhl für Internationale Beziehungen tätig.
Parallel zum Präsenzstudium immatrikulierte sie sich 2015 an der FernUniversität – zunächst nur im Akademiestudium. Mittlerweile ist sie in Vollzeit ins Fernstudium eingestiegen und steuert ihrem Philosophie-Master entgegen. Natürlich sei die Mehrfachbelastung manchmal stressig, sagt Merkle. Probleme mit dem hohen Pensum habe sie aber nie: „Ich liebe Lernen!“
Große gesellschaftliche Toleranz
Merkles Wissensdurst und Offenheit passten gut zum multikulturellen Leben auf Bali. „Aus Sicht der politischen Philosophie ist Indonesien ein äußerst spannendes Land – allein durch seine besondere Zusammensetzung“, sagt Merkle. In dem Vielvölkerstaat leben über 255 Millionen Menschen, die fünf verschiedenen Religionen und mehr als 350 Ethnien angehören. Auf den über 17.000 Inseln des Landes werden hunderte von Sprachen gesprochen. „Das ist ein Level an Diversität, wie man es nur in sehr wenigen Staaten der Welt findet. Wie offen und tolerant die Menschen in Indonesien damit umgehen, hat mich sehr beeindruckt.“
Davon, dass die europäische Gesellschaft noch vieles von der indonesischen lernen kann, ist die junge Konfliktforscherin überzeugt. Nachhaltig beeindruckt hat sie der positive Charakter der balinesischen Lebensphilosophie, zu deren zentralen Werten Ausgleich, Akzeptanz und Gelassenheit zählen. Diese duldsame Haltung verbindet alle Inselbewohner – von den akademisch Gebildeten an der Universität bis zur einfachen, hart arbeitenden Bevölkerung: „Ein Taxifahrer hat mir eine wichtige Weisheit mit auf den Weg gegeben“, sagt Lena Merkle. „Man muss anderen und auch sich selbst vergeben lernen.“
Mit ihrer unverzagten Einstellung trotzt die Gesellschaft einer teils angespannten sozialen Lage. „Während ich auf Bali war, brach dort der Vulkan Gunung Agung aus“, berichtet Merkle von einem ihrer prägendsten Erlebnisse. Die Folgen der Katastrophe sind noch heute zu spüren. Vor allem für zehntausende Geflüchtete, die aus dem Vulkangebiet evakuiert wurden und seither in Camps leben. „In der ohnehin schon extrem armen Region rund um den Berg sind die meisten Menschen Bauern, deren Reisfelder nun verdorrt sind und deren Vieh entweder entlaufen oder verhungert ist.“
Philosophie zwischen Religion und Lebensweisheit
Fasziniert hat Merkle die Spiritualität, von der die Gesellschaft tief durchdrungen ist. Selbst an der Universität war das spürbar: „Zwischen Philosophie und Religion wird auf Bali kein Unterschied gemacht.“ Die Bevölkerung ist stolz auf ihre hinduistische Tradition und die daraus erwachsene Kultur mit ihren Tänzen, Schattenspielen und Zeremonien. Die landestypische Kunst der Masken-Schnitzerei durfte Lena Merkle sogar selbst ausprobieren: Am Ende ihres Aufenthalts ging sie bei einem echten Schnitzmeister in die Lehre. Eine besondere Ehre für die Studentin, da der Kunsthandwerker in seiner Dorf- und Tempelgemeinschaft die Rolle eines Heiligen innehatte. „Meine letzte Woche auf Bali habe ich damit verbracht, im Schneidersitz einem Mann Ende Vierzig gegenüberzusitzen, der mir beim gemeinsamen Schnitzen das Leben erklärt hat. Das war eine unglaublich skurrile, aber auch bereichernde Situation“, erinnert sich Lena Merkle mit einem Schmunzeln.
Stand: April 2018