Dirk E. Dietz
Geschichtsstudent und Buchautor
Ein eigenes Buch zu veröffentlichen, bei einem renommierten Verlag. Für viele ist das ein Traum. Dirk Dietz hat ihn sich erfüllt. Geholfen haben ihm Neugierde, Fleiß, familiärer Zuspruch – und sein Studium an der FernUniversität in Hagen. Profi im Recherchieren und Schreiben war Dietz als gelernter Journalist bereits. Für seinen Plan, die Legende des „Todestangos“ zu ergründen, wollte er sich zusätzlich mit geschichtswissenschaftlichen Arbeitsweisen vertraut machen. „Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich darüber noch nicht genügend weiß. Deshalb studiere ich seit dem Wintersemester 20/21 den Masterstudiengang Europäische Moderne.“
Dietz wohnt seit über dreißig Jahren in Frankfurt. Gebürtig stammt er aus Hamburg. Dort und in Bremen studierte er Soziologie und VWL – und stellte die Weichen danach in Richtung Journalismus. Nach einem Volontariat beim Stader Tageblatt, arbeitete er als freier Journalist für verschiedene Publikationen. Zuletzt schrieb er für eine wirtschaftliche Fachzeitschrift. Seit vier Jahren ist Dietz zwar eigentlich in Rente, doch Wissensdurst und ein Gespür für spannende Themen treiben ihn weiterhin an. Dietz tanzt und hört gerne Tango. Dabei wurde er auf ein Tabu aufmerksam, hinter dem eine makabre Erzählung steht: „Das Stück ‚Plegaria‘, komponiert vom argentinischen Orchesterleiter und Geiger Eduardo Bianco, soll die Melodie für den Todestango im Janowska-Lager in Lemberg gewesen sein.“
Zynische Begleitmusik
Der Legende nach musste die Lagerkapelle des nationalsozialistischen Zwangs- und Durchgangslagers Janowska den Todestango aufspielen, während Häftlinge segregiert und hingerichtet wurden. Angeblich hat SS-Untersturmführer Richard Rokita ein Orchester aus Häftlingen geformt und es gezwungen, ein Tangostück zu erarbeiten. Hier wurde Dirk Dietz stutzig: „Es finden sich nie Belege, zum Beispiel Noten, für den Todestango – auch nicht in der Erinnerung Überlebender.“ Gerade diese undurchsichtige Informationslage weckte seine Neugier. Was für ihn als intensive Spurensuche zum geschichtlichen Hintergrund begann, mauserte sich schließlich zu einem ausgewachsenen Forschungsvorhaben – samt angeschlossenem Fernstudium.
Methodisches Rüstzeug
Den Entschluss, sich an der FernUniversität einzuschreiben, fasste Dietz erst während seiner Recherche rund um den Todestango. „Ich dachte, es sei sicher von Vorteil, sich näher mit Methoden der Historiografie zu beschäftigen.“ Zunächst schaute er sich noch im Akademiestudium um, fing aber rasch Feuer. Da er bereits ein Diplom in der Tasche hatte, fühlte er sich trittsicher genug, direkt in einen Masterstudiengang einzusteigen. Dabei wiegt für den 69-Jährigen die persönliche Weiterentwicklung mehr als der Abschluss auf Papier. „Ich will nicht nur Prüfungen machen, sondern tiefer in die Themen eintauchen, mit denen ich mich befasse“, betont Dietz. Deshalb organisiert er sein Studium auch in Teilzeit. So bleibt ihm genug Freiraum eigene Interessenschwerpunkte neben den Pflichtinhalten zu setzen: „Ich belege bewusst nur ein Modul pro Semester, weil ich eher mehr studieren will als weniger.“
Hilfreicher Stupser
„Meine bisherigen Semester an der FernUni waren sehr, sehr hilfreich“, betont Dietz mit Blick auf sein Projekt. Die Lehrenden im Historischen Institut halfen ihm dabei, es richtig zu justieren. „Anfänglich wollte ich vor allem nachweisen, dass der Todestango eine propagandistische Fiktion der Sowjets ist“, erinnert sich der Masterstudent. „Mir wurde aber klargemacht, dass das Thema in dieser Form höchstens für einen Aufsatz reicht.“ Die konstruktive Kritik motivierte Dietz, seinem Projekt eine neue Richtung zu geben. Mit frischem Wissen aus dem Fernstudium verlieh er seiner Arbeit mehr Tiefe: „Ich verdanke der FernUni den entscheidenden Impuls, mein Projekt als Gedächtnisgeschichte anzulegen. Manchmal erweist sich eine rechtzeitige Frustration als lehrreich“, bekennt er mit einem Schmunzeln.
Wirklich ein Tango?
Das Thema aus wissenschaftlicher Sicht richtig anzupacken, war dem Studenten auch deshalb so wichtig, weil ihn bisherige Texte zu seinem Forschungsgegenstand nicht zufriedenstellen konnten: „Alles, was man in der Literatur zum Todestango findet, ist nicht mit Quellen belegt. Ich wollte damit endlich Schluss machen“, erklärt er seinen Selbstanspruch. Gab es den Todestango in Wirklichkeit nie? Zumindest hat Dietz nach wie vor keine stichhaltigen Belege für ihn gefunden. Einzig ein altes Foto der Lagerkapelle soll Zeugnis vom Todestango geben. Allerdings finden sich auch hier keine Indizien, die eindeutig auf das musikalische Genre hinweisen. „Es ist nicht einmal verbürgt, dass das Foto wirklich im Janowska-Lager entstanden ist.“ Musik kam in NS-Lagern oft zum Einsatz, so viel ist gewiss – vor allem von Märschen ist in den Quellen viel die Rede. Dass bei Exekutionen jener spezifische Tango gespielt wurde, bleibt jedoch unerwiesen.
Formbare Erinnerungen
Sogar Erwähnungen von Überlebenden der Lagerhaft in Janowska und andernorts sind diesbezüglich ungenau und scheinen in ihrer Formulierung auffallend redundant; die Melodie von ‚Plegaria‘ ist erst recht nirgends verbürgt. Der polnische Sänger Aleksander Tytus Kulisiewicz, der von 1939 bis 1945 im KZ Sachsenhausen inhaftiert war, nahm 1979 ein Lied mit dem Titel „Todestango“ auf, das angeblich auf der Plegaria-Melodie basierte. Dietz prüfte dessen Quellen – doch er fand auch hier nichts Belastbares. All das veranlasste ihn, die Sonderstellung des einen Tangostücks als Fiktion zu werten. Unwichtig macht dieser Befund den Todestango freilich nicht. Längst ist er im kulturellen Gedächtnis verankert. Damit wird die wirkmächtige Legendenbildung selbst zum Forschungsgegenstand. „Ich versuche in meinem Buch zu rekonstruieren, wie die Legende entstand, wie sie in die Erinnerung ehemaliger Häftlinge eindrang, sich dort einlagerte, verbreitete und schließlich zu einer ‚unumstrittenen Tatsache‘ werden konnte.“
Nicht das letzte Projekt
Der FernUni-Student blickt zufrieden auf die Früchte seiner geschichtswissenschaftlichen Arbeit: Rund 260 Seiten umfasst sein Buch „Der Todestango. Ursprung und Entstehung einer Legende“, das vor kurzem im Transcript-Verlag erschienen ist. Der anstehenden Masterarbeit sieht der Autor trotz seines Erfolgs mit Respekt entgegen. „Ich denke jetzt nicht: ‚Das mache ich mit links!‘“ Dass sich ihm ausreichend andere Forschungsfelder auftun, daran hat er indes keinen Zweifel: „Es gibt so viele Themen in der Geschichtswissenschaft, dass ich auf jeden Fall etwas Neues finde.“ Auf seine zweite Halbzeit in Hagen freut er sich schon.