Prof. Dr. Otto Peters: der Weg-Weiser

Biographisches

  • Geboren 1926 in Berlin
  • Nach Kriegsende Lehrer in Berlin, parallel Studium – Anglistik und Geschichte – an der Humboldt-Universität (Immatri­kulation ohne Abitur), Beendigung des Studiums an der Freien Universität, zwischenzeitlich Abitur am Abend­gymnasium
  • 1969 Deutsches Institut für Fernstudien­forschung, Tübingen
  • 1974 Professor für Allgemeine Didaktik an der Pädago­gischen Hochschule Berlin, zeitgleich Berufung in den Gründung­sausschuss der FernUniversität
  • 1975–1991 Professor für Methoden­lehre des Fernstudiums an der FernUniversität
  • 1975–1984 Grün­dungsrektor
  • Mitglied und Vize­präsident des Inter­national Council for Open and Distance Education
  • Vier Ehren­doktortitel

Verändertes Ziel

Beweggrund von Johannes Rau, eine Fernuniversität des Landes NRW zu gründen, war in erster Linie der (immer größer werdende) „Studentenberg“. Aufgrund des von ihm initiierten Fernuni-Gesetzes wurde ein Gründungsausschuss mit Hochschullehrern und weiteren Experten berufen. Nach ihrer Meinung jedoch musste die eigentliche Aufgabe einer Fernuniversität die Weiterbildung berufstätiger Erwachsener sein. Otto Peters: „Wir haben das Ziel verändert, ohne das, was Rau im Auge hatte, zu vernachlässigen. Aber die Hauptrichtung musste sein: die Erwachsenenbildung.“

Anerkennung

Ein Teil der berufenen Professoren sah das anders, sie legten großen Wert auf das grundständige Studium. Erst nach einigen Jahren wurden auch für die Praxis entwickelte Weiterbildungen als Aufgabe der FernUniversität betrachtet.

Wichtig war für deren Anerkennung weiterhin, dass sie sich als lehrende und forschende Universität profilierte, etwa indem sie das gleiche Auswahlprinzip bei ihren Berufungen anwendete wie alle anderen: „Wir achteten darauf, dass Forschung und Lehre integriert sind.“ Daher gab es auch keinen Zugang ohne Hochschulzugangsberechtigung.

Das ist eine Fernuniversität!

Die Aufgabe des Rektors in den ersten zehn Jahren war es, Professoren, ihren Mitarbeitern und der Verwaltung klar zu machen, was das ist: eine Fernuniversität. Das gedruckte Material, das die FernUniversität einsetzte, muss die Fernstudierenden dazu bringen, selbstständig zu arbeiten. Und es muss sie motivieren, informieren, sie dazu bringen, sich selbst zu prüfen.

Diese Didaktisierung stieß zuerst auf Widerstand. Aber dass jeder Professor auch ein Fernstudiendidaktiker werden musste, wurde von Jahr zu Jahr mehr angenommen.

Orte der Begegnung

Auch wenn die Studienbriefe eindeutig die Hauptmedien der FernUniversität waren: „Wir waren damals der Meinung: ‚Da ist ein innerer Wert in der Begegnung von Lehrenden und Lernenden!‘“ Daher wurden Studienzentren verteilt über ganz NRW eingerichtet. Die 28 Städte, die in den ersten zehn Jahren ihre Standorte wurden, waren stolz darauf und kämpften um ihre „FernUni vor Ort“, als sich der politische Wind in NRW drehte.

 

Das Interview als Text

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Also das Fernuniversitätserrichtungsgesetz, das war natürlich ein ungeheurer Knall. Eine Bombe, die dort platzte.

Und da muss man sagen, dass Johannes Rau eigentlich getrieben wurde von der Tatsache, dass eine, das viel mehr Studenten in die Universität wollten, als konnten. Anhand des Gesetztes, aufgrund des Gesetzes konnte eine vorläufige Planungskommission eingerichtet werden, und dazu wurden eine Reihe von Hochschullehrern eingestellt oder berufen. Und die trafen sich regelmäßig. Und später wurde diese vorläufige Planungskommission in eine reguläre Planungseinheit umgewandelt. Da wurde ich eingeladen, mitzuwirken.

Weiterbildung als Hauptaufgabe

Wir haben dann in diesem Ausschuss erörtert, dass die eigentliche Aufgabe einer Fernuniversität die Weiterbildung sein muss für berufstätige Erwachsene. Also nicht die abgewiesenen oder die, die nicht in die Universität kommen, sondern berufstätige Erwachsene, die sich qualifizieren wollten. Auch akademisch qualifizieren wollten.

Da haben wir dann sozusagen das Ziel der zu gründenden Fernuniversität verändert, ohne dass, was Johannes Rau im Auge hatte, etwa zu vernachlässigen. Das konnte mit erledigt werden. Aber die Hauptrichtung musste sein: Erwachsenenbildung.

Ich hatte noch eine tiefere Motivation, weil ich ja sozusagen ein Produkt des zweiten Bildungsweges war. Mit anderen Worten, ich hatte ungefähr 10 Jahre lang gearbeitet und nebenbei studiert. Und ich wusste und habe erfahren, dass es außerordentlich schwer war und ist, neben einer Berufstätigkeit an einer Präsenzuniversität zu studieren.

Insofern hatte ich dieses innere Bedürfnis, daran mitzuwirken, dass berufstätige Erwachsene leichter studieren.

Vorsitzender des Gründungsausschusses

Und ich wurde dann gebeten, den Vorsitz der Gruppe zu übernehmen. Vor allen Dingen aufgrund der Tatsache, dass ich wusste, was Fernstudium war, dass ich Erfahrung hatte beim Funkkolleg Erziehungswissenschaft, das ich Erfahrung hatte von dem Fernstudieninstitut in Tübingen und vor allen Dingen auch Erfahrung hatte im Umgang mit Experten in aller Welt.

Ich war der einzige, der von den Mitgliedern des Gründungsausschusses eine Vorstellung davon, was Fernstudium ist und wie Fernstudium organisiert werden kann und wie es aktiviert werden kann, optimiert werden kann. Das lag daran, dass ich seit den 50er Jahren schon mich mit dem Fernstudium befasste.

Insofern war ich so vorbereitet auf diese Aufgabe wie kein anderer, denn alle anderen waren ja eigentlich im Hinblick auf das Fernstudium Laien.

Forschung und Lehre auf Augenhöhe

Es ging dann darum, ein System zu entwickeln, dass Berufungen möglich waren. Also Bewerbung für die FernUniversität und die Auswahl aus den Bewerbungen. Es ging nämlich darum, dass wir dasselbe Auswahlprinzip haben wie alle anderen Universitäten. Mit anderen Worten, die Qualität der Hochschullehrer ist aufgrund dieses Berufsverfahrens, das genauso abläuft wie an allen anderen Universitäten, gleich. Ich muss sagen, dass ich das, dieses Argument bei meinen Begegnungen mit Vertretern anderer Fernuniversitäten oder Open Universities immer für die FernUniversität ins Feld führen konnte. Denn im Ausland sind Fernuniversitäten ganz oft, Lehruniversitäten und keine Forschungsuniversitäten. Und wir und die Open University in England, wir achten darauf, dass Forschung und Lehre integriert sind.

Was ist eine Fernuniversität?

Da muss ich sagen, dass die Aufgabe des Rektors in den ersten 10 Jahren die gewesen ist, den Professoren, die da waren, und ihren Mitarbeitern und auch der Verwaltung erst einmal klar zu machen, was eine Fernuniversität ist. Und was sie nicht kann, nicht sein darf. Das ist leicht gesagt, aber es ist eigentlich schwer gewesen, das beliebt zu machen.

Die Grundsatzfrage, die Fremde sehr oft stellen: „Wie ist es denn überhaupt möglich, wenn der Professor nicht vorlesen kann, wenn der Professor keine Seminare abhält. Wie kann dann so ein Studium stattfinden?“

Die Open University ist da, hat dort Pionierarbeit geleistet, indem sie das Kursentwicklungsteam geschaffen hat. Das gedruckte Material hat eine ganz andere Struktur. Es muss den Fernstudenten dazu bringen, selbstständig zu arbeiten. Und es muss in motivieren, es muss ihn informieren, es muss auch den Studenten dazu bringen, dass er sich selbst prüft. Dass er sich selbst evaluiert: Bin ich, hab ich gute Arbeit geleistet oder nicht?

Das Beispiel der Open University macht das so richtig klar, wie man einen Kurs aufbaut. Und dass das nicht, also … Es geht immer … In der Literatur heißt es immer „High Quality Courses“. Das ist, wird erreicht, durch die Zusammenarbeit vieler Experten.

Aber kommt ja nun also die deutsche, wie soll ich sagen, die deutsche Universitätstradition, bei der der Professor König ist und wenn der einen Kurs macht, dann ist es sein Kurs. Der steht dafür und er fällt auch damit. Insofern ist das jetzt nicht formalisiert.

Bei uns in der FernUniversität ist es eigentlich zu einem Team gekommen, weil ein Professor ja mehrere Mitarbeiter hatte, die dann solche Funktionen hatten. Und außerdem sollten die Professoren engen Kontakt halten zu einer Institution, die wir einrichteten. Das war nämlich der, ja, ein Institut zur Erstellung von Lehrmaterialien.

Diese Didaktisierung ist zuerst auf Widerstand gestoßen, wie ich sagte, aber die Aufgabe, dass jeder Professor ein Fernstudiendidaktiker werden musste, die hat, ist, von Jahr zu Jahr mehr angenommen worden. Und ich konnte dann mit großem Vergnügen merken, dass so vom 6., 7. Jahr an die Professoren, die Termini, die sie am Anfang völlig abgelehnt haben, selber benutzten. Und damit war dann sozusagen dieser Prozess in Gang gekommen.

FernUni vor Ort: die Studienzentren

Es war ganz klar, dass das gedruckte Material das Hauptmedium ist.

Aber wir waren damals der Meinung: „Nein, da ist ein innerer Wert in der Begegnung von Lehrenden und Lernenden.“ Und aus diesem Grunde mussten, sollten Studienzentren eingerichtet werden. Und da folgten wir auch dem Vorbild der Open University. Diese persönliche Begegnung, fanden wir damals, die dürfte nicht aufgegeben werden. Und dann haben wir tatsächlich – und da hat Johannes Rau vor allen Dingen mitgewirkt – in Nordrhein-Westfalen 48 Studienzentren eingerichtet (Anmerkung: In NRW wurden 28 Studienzentren eingerichtet). Das war eine, muss man sagen, eine politische Meisterleistung von Johannes Rau. Denn die Gemeinden, die Städte und Orte, die Studienzentren für die FernUniversität einrichteten, die waren stolz darauf, so eine Einrichtung zu haben. Und als das politische Klima sich änderte und wieder eine CDU Regierung kam, die vorher versprochen hatte, die FernUniversität wieder abzuschaffen, da waren die Städte, die Studienzentren hatten – auch wenn sie CDU-geführt wurden – völlig dagegen. Sie wollten die FernUniversität behalten. Also da sieht man, wie didaktisches und politisches ineinander verwoben waren.

Gegenwind

Eine große kritische Frage war, ob der Beschluss des Vorbereitungsausschusses, dass die Hauptaufgabe der FernUniversität die Weiterbildung sein soll, ob das im Verständnis aller Professoren so richtig ist. Ich habe in den ersten Jahren ganz entschieden Gegenwind bekommen, weil die Professoren das nicht… die konnten das nicht befürworten.

Und dann ging es also immer um die Zielbeschreibung der neu gegründeten FernUniversität. Die Professoren legten viel mehr Wert auf das grundständige Studium. Und das haben wir dann auch so gemacht einige Jahre lang, dass wir das betont haben und die Weiterbildung mehr so am Rande genannt. Und im Laufe der Jahre wurde dann Weiterbildung immer stärker, immer verstärkt als Aufgabe der FernUniversität betrachtet. Und das wurde dann auch angenommen.

Studieren ohne Abitur – erstmal nicht

Die Open University in England wird als „University of the second Chance“ bezeichnet. Und so etwas ist auch bei Johannes Rau zu spüren gewesen.

Da sind ja irgendwo Statistiken: Wir sind sicherlich die Hochschule, die am meisten Bewerber ohne Hochschulzugangsberechtigung aufnimmt und dabei auch Erfolg hat. Ja, das… Aber das betrifft auch alle Universitäten. Wir wollten da nicht einen Sonderstatus haben, obwohl das eigentlich möglich wäre.

Das haben wir aus politischen Gründen nicht machen können, denn wenn wir das gemacht hätten, dann hätten die anderen Universitäten gesagt: „Ach guck mal, da ist ja eine Volkshochschule, die da gegründet worden ist.“ Die haben uns also daran… Wir haben dieselbe Maßstäbe gehabt, haben das Abitur vorausgesetzt, und das ist also nicht ein sozialer Akt, sondern ein politischer Akt gewesen.

Erfolge in Zahlen

Das Phänomen, das uns alle mit Genugtuung erfüllte, war dies, dass von Jahr zu Jahr die Zahl der Bewerber um ein Studium stieg. Das erfüllte uns mit Genugtuung. Wir mussten ja in jedem Jahr mit den Fachleuten, mit den Finanzierungsfachleuten der, des Ministeriums eine Konferenz abhalten. 3 Tage dauerte die und dann sind wir jede Einheit durchgegangen und haben abgeschätzt, wie viel Geld wir brauchten und wie viel uns zugestanden wurde. Und wenn wir dann sagen konnten, ja wir haben ja nicht mehr 12.000, sondern 20.000 oder 30.000 oder 35.000 Studierende, dann konnten wir den Etat für das nächste Jahr aufstocken. Und das war also ein…, eigentlich ein Gefühl des Erfolgs, den wir dann hatten. Und der hat ja angedauert bis in die Gegenwart, wo wir heute so um die 80.000 Studierende haben und die größte Universität in der Bundesrepublik sind.

Vom „Acker-Bau“ zum Uni-Campus

Wir haben angefangen da drüben auf dem Acker. Da ist dann eines Abends der vorgesehene Kanzler mit mir hingefahren und hat gesagt: „Wir haben hier diese Villa gekauft. Die Villa Bechem.“ Die wurde dann für die ersten 10 Jahre oder noch länger der Sitz des Rektors und des Kanzlers und der Pressestelle. Das war sozusagen der Anfang. Das erste Gebäude.

Und nun stehen ja die Gebäude alle da. Ich muss sagen, dass für mich das, wenn man so nach 40 Jahren auf den Campus blickt – ich gehe oft manchmal so um die Gebäude herum – dann muss man sagen: „Da ist gewissermaßen sichtbar klar geworden, was hier geschaffen worden ist.“

Jetzt ist eine Universität da, die überall in der Fernuniversitätswelt, also international, bekannt ist und auch geachtet wird, wegen der besonderen Verflechtung von Forschung und Lehre. Das ist eine ganz kostbare Sache. Und die ist gepflegt worden von der Universität.

Wir haben hier ein Fernstudium entwickelt, das ganz eigener Art ist. In 4 Fachbereichen, und haben, konnten mit Freude sehen, dass dieses Fernstudium aus Hagen erstens nachgesucht wird und zweitens genutzt wird und erfolgreich gewesen ist

Und wenn ich zu Johannes Rau sagte, dass die Open University für mich ein Vorbild sei, sagte er: „Nein, nein, die FernUniversität ist Vorbild für andere.“

 

Über das Projekt Zeugen der Zeit

Interviews und Redaktion:
Dr. Almut Leh (Institiut für Geschichte und Biographie)

Produktion:
Jennifer Dahlke, Alexander Reinshagen, Sascha Senicer (Zentrum für Medien und IT)

Texte:
Carolin Annemüller, Susanne Bossemeyer, Gerd Dapprich, Anja Wetter, Multimediale Umsetzung: Oliver Baentsch (Dezernat 7 Hochschulstrategie und Kommunikation)

Fotos:
Jakob Studnar, Stefanie Loos, Archiv der FernUniversität

Plakate:
Gabriele Gruchot (Dez. 5 Technische Medienadministration)