Ein Treffen der Psychologieprofessoren 1947 in Göttingen

Schaufenster zum Forschungsarchiv Nr. 56

Auf Einladung von Prof. Johannes von Allesch fand vom 11.-12. Januar 1947 in Göttingen eine Tagung der deutschen Psychologen statt. Die Lebensbedingungen (Zerstörte Städte, begrenzter Eisenbahnverkehr, Reichsmark, nasskaltes Winterwetter) waren schwierig. Trotz dieser widrigen Umstände kamen die eingeladenen Hochschulprofessoren Wolfgang Metzger (Münster), Ernst Bornemann (Münster), Kurt Wilde (Göttingen), Helmut von Bracken (Braunschweig), Philipp Lersch (München), Heinrich Düker (Marburg), Albert Wellek (Mainz) und Kurt Gottschaldt (Berlin). Weitere teilnehmende Personen waren Dr. Elisabeth Luckmann (Braunschweig), Dozent Dr. Udo Undeutsch (Mainz), C. Jürgen Hogrefe, Assistent von Johannes von Allesch, (Göttingen) sowie Frl. Westermann, die spätere Schriftführerin der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Die Professoren waren bis auf Kurt Gottschaldt in Westdeutschland tätig; Gottschaldt lehrte an der Friedrich-Wilhelms-Universität im Ost-Teil Berlins, die 1949 in Humboldt-Universität umbenannt wurde. Die kleine, aber ziemlich vollständige Gruppe der deutschen Universitätsprofessoren für Psychologie behandelte drei Themen:

1. Wiederbegründung der Deutschen Gesellschaft für Psychologie,

2. Diplomstudiengang Psychologie und

3. Stellung der Psychologie an den deutschen Hochschulen.

Die Hochschullehrer beauftragten Johannes von Allesch, die Wiederbegründung der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (zunächst nur für die Britische Besatzungszone) zu organisieren.

Der Diplomstudiengang Psychologie solle mit ein paar Modifikationen weitergeführt werden. Eigentlich hatte der 1941 unter NS-Bedingungen eingerichtete Studiengang noch keine größere Bedeutung erlangt; die Rückkehr zur Promotion als normalem Abschluss wurde aber von der Gruppe nicht ernsthaft in Erwägung gezogen.

Die Stellung der Psychologie an den Hochschulen wurde kritisch gesehen, waren doch Psychologielehrstühle umgewidmet worden. In Tübingen habe sich Eduard Spranger in einem Gutachten für die Abschaffung des Diplomexamens für Psychologen ausgesprochen. Das Examen solle dort daraufhin tatsächlich abgeschafft worden sein. Hier wolle man aktiv werden. Man sah allerdings auch an einigen Hochschulen positive Entwicklungen der Psychologie.

Johannes von Allesch hatte die Initiative zu dieser frühen Tagung ergriffen, denn „in Hamburg hat sich ein Verband praktischer Psychologen unter der Führung eines Herrn Jacobsen, dessen Verdienste um die psychologische Forschung unbekannt sind, aufgetan“. Gemeint war der 1946 in Hamburg (für die Britische Zone) gegründete „Berufsverband Deutscher Psychologen (BDP)“, der schnell wuchs, im August/September 1947 die erste Tagung in Bonn durchführen wollte (s. „Schaufenster“ 8) und sich inzwischen berufen fühlte, auch Fragen der Ausbildung zu entscheiden. Dies wollten die Hochschullehrer nicht hinnehmen. Der erwähnte Herr Jacobsen war Walter Jacobsen (1995-1986), der bei William Stern promoviert hatte und in der Nazizeit im liberalen Widerstand tätig war. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie war – wie alle Vereine und Verbände – nach der Kapitulation aufgelöst worden und sollte nun wiederbegründet werden.

Foto: Fernuniversität PGFA (Bestand Bahle)

Die Organisationsarbeit der Wiederbegründung delegierte von Allesch an C. J. Hogrefe mit den Worten: „Das machen Sie, und so schnell es geht!“ Dies geschah noch 1947. Eine Gründung für die Amerikanische Zone folgte durch Prof. Gustav Kafka (Würzburg) im Jahr darauf. Am 2. Oktober 1949 fusionierten beide Gesellschaften. Johannes von Allesch wurde erster und Gustav Kafka zweiter Vorsitzender. Der erste Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie fand dann im September 1948 in Göttingen statt, organisiert ebenfalls von Johannes von Allesch und C. Jürgen Hogrefe (s. „Schaufenster“ 16). Seitdem gibt es in Deutschland zwei Verbände, die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) und den Berufsverband deutscher Psychologen (heute: Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V.).

Das Hagener Archiv besitzt ein Protokoll der Göttinger Tagung im Umfang einer Schreibmaschinenseite. Nicht darin enthalten sind Ergebnisse von eher vertraulichen Gesprächen, die die Hochschullehrer zu einzelnen Hochschulen, Lehrstühlen, Bewerbern und Berufungen führten (s. Lück & Herrmann, 2014). Gesprächsbedarf war sicher auch dadurch gegeben, dass manche Psychologen noch in Kriegsgefangenschaft oder in Internierungslagern waren, so z.B. Bernard Herwig (Braunschweig), der erst im April 1947 entnazifiziert wurde (Lammers, 2013, S. 42). Dies erklärt, warum Dr. Elisabeth (Müller-)Luckmann aus Braunschweig an der Tagung teilnahm. Ohne Leitung durch Herwig hatte sie die Psychologieausbildung in Braunschweig übernommen und unter schwierigen Bedingungen gestaltet (vgl. ihren Bericht, „Schaufenster“ 49: Psychologie im „Wiederaufbau“).

Lammers, Uwe (2013): Bernhard Herwig und die Psychologie (Psychotechnik) in Braunschweig, in: Deutsch, Werner/Teichmann, Alexander/Lüttge, Dieter (Hrsg.), Mit dem Strom, gegen den Strom. Zur Geschichte der Psychologie in Braunschweig (S. 17-46). Frankfurt a. M. P. Lang.

Lück, H. E. & Herrmann, T. (2014). Albert Wellek und Julius Bahle. Zwei Psychologen der Nachkriegszeit im Streit um eine Professur in Marburg. In W. Mack, H. E. Lück, K.-H. Renner und U. Wolfradt (Hrsg.), Behaviorismus und Erkenntnistheorie im psychologisch-historischen Kontext. (S. 163-185). Frankfurt: Peter Lang.

H.E.L.

Patrick Rostane | 08.04.2024