Gustav Kafka
Zur Biographie eines Psychologen im 20. Jahrhundert
Schaufenster zum Forschungsarchiv Nr. 34
Zu den wenigen Psychologieprofessoren, die sich dem Nationalsozialismus entgegenstellten, gehört Gustav Kafka (1883-1953). Geboren wurde er am 23. Juli 1883 als Gustav Chladek in Wien als Sohn von Barbara Chladek, Tochter von Johann Chladek. Gustav wurde am Tag nach seiner Geburt katholisch getauft, und bald von dem Unternehmer Gustav Kafka sen. und dessen Frau Therese Kafka, geb. Engel als Pflegekind angenommen, später adoptiert. Die Vermutung, Gustav Kafka stamme von „allerhöchsten Kreisen“ Österreichs ab (Traxel, 2004, S. 24) ist bislang nicht bestätigt worden. Als Gustav 11 Jahre alt war, starb sein Vater im Alter von nur 48 Jahren „nach schwerem Leiden“. Seine Adoptiveltern beschrieb Gustav Kafka später als liebevoll und liberal (Wehner, 1964, S. 5).
Nach seiner Kindheit in Brünn (Mähren; heute Brno, Tschechien) und dem Besuch des Schottengymnasiums in Wien studierte Kafka zunächst in seiner Geburtsstadt Jura, Philosophie und Musikwissenschaften und dann ab 1904 in Göttingen bei Edmund Husserl Philosophie sowie bei Georg Elias Müller Experimentalpsychologie. Bereits zum folgenden Semester wechselte er nach Leipzig zum Institut von Wilhelm Wundt, wo er 1906 mit einer Arbeit „Über das Ansteigen der Tonerregung“ zum Dr. phil. promovierte. Wenige Tage nach seiner Promotion heiratete Kafka seine Kusine Stephanie, geb. Kafka. Das Paar zog nach München, wo Gustav Kafka noch im gleichen Jahr Assistent bei Theodor Lipps wurde. Nach seiner Habilitation mit einer Schrift über das Ichproblem (1910) wurde Kafka zum Privatdozenten ernannt; 1914-1918 war er im österreichischen Kriegsdienst und arbeitete in dieser Zeit mit seinem Freund Géza Révész zusammen. 1915 wurde Kafka a.o. Prof. in München, 1923 o. Prof. an der TH Dresden. Kafkas Frau starb am 7. Juli 1924 „nach kurzem, schweren Leiden“ in München. Aus der Ehe waren zwei Söhne hervorgegangen. Der Sohn Gustav Eduard Kafka (1907-1974) wurde ein namhafter österreichischer Rechts- und Sozialwissenschaftler, der von der Gestapo 1940 in den Niederlanden gefasst und vom Volksgerichtshof zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde (Wehner, 1964, S. 87). Auch der ein Jahr jüngere Sohn Stefan wurde längere Zeit inhaftiert.
In zweiter Ehe heiratete Gustav Kafka 1925 Pauline Mathilde („Tilly“) Kafka, geborene Trache, geboren am 2. Juni 1899 in Dresden.
Während der Jahre 1929-1933 war Kafka als Schriftführer Mitglied des 11. und 12. Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Kafka sollte den 13. Kongress der DGPs in Dresden ausrichten. Hierzu sollten die jüdischen Mitglieder nicht mehr eingeladen werden. Hiermit war Kafka nicht einverstanden. Wie von seinem Assistenten und späterem Kollegen Wilhelm Josef Revers erzählt wurde, hat Kafka mit den Worten „Da habt Ihr Euren Scheiß!“ die Mitgliederkartei über den Tisch geschleudert (Traxel, 2004, S 24). Kafka trat dann aus dem Vorstand und der Gesellschaft aus.
Gustav Kafka stellte Ende 1933 – erst fünfzigjährig – aus gesundheitlichen und politischen Gründen den Antrag auf vorzeitige Emeritierung. 1934 nach schwerer Erkrankung und zwei Operationen wurde er emeritiert. In der Folgezeit arbeitete Kafka in einer Zeit großer Not als Privatgelehrter. „Er und seine Familie waren in der NS-Zeit laufenden Drangsalierungen ausgesetzt. Während der schweren Luftangriffe auf Dresden vom 13. bis 15. 2. 1945 verlor er sein wissenschaftliches Werk des vergangenen Jahrzehnts sowie sein Hab und Gut und wurde durch Phosphor schwer verletzt“ (Stock, 2017, S. 222). Verloren gingen hierbei auch Kompositionen von Kafka (Wehner, 1964, S. 86).
Ab Januar 1947 konnte der nunmehr 63jährige Kafka als o. Prof. für Psychologie in Würzburg lehren (vgl. Wehner, 1964), 1948 war er an der Wiederbegründung der Deutschen Gesellschaft für Psychologie beteiligt und amtierte in dessen Vorstand bis zu seinem Tod im Jahr 1953.
Kafka arbeitete u.a. über Tierpsychologie, vergleichende Psychologie und Rassenpsychologie; er war Mitherausgeber des Jahrbuchs für Psychologie und Psychotherapie und Herausgeber eines verbreiteten Handbuchs der vergleichenden Psychologie. Kafkas wissenschaftliches Werk ist vielseitig und interessant, u.a. durch Bezüge zur Ökologie und Verhaltensforschung (vgl. Wehner, 1964).
Eine Schule hat Kafka nicht begründet. Bedingt durch die Tätigkeit als Psychologe an einer Technischen Hochschule, vor allem aber durch die Verfolgung in der Nazizeit hatte er wenige Schüler, die ihn aber offenbar verehrten.
Ernst G. Wehner, erinnerte sich (2016, S. 314f.):
„Gustav Kafka wurde für mich zu einer Leitfigur. Sein universelles Wissen, Antike und Neuzeit umfassend, faszinierten mich. Von der Tierpsychologie bis zu der von ihm geforderten „Höhenpsychologie“ reichte die Spannweite. Zu seinem 70. Geburtstag schenkten wir, etwa 30 Studierende, ihm einen Riesenstrauß roter Rosen, von jedem eine. Wir verehrten Gustav Kafka hoch, seine wissenschaftliche Leistung und seine menschliche Größe.“
Das Hagener Archiv beherbergt wenige, aber informative Dokumente zu Gustav Kafka. Das hier gezeigte Portraitfoto ist vermutlich in den späteren Jahren seiner Würzburger Zeit entstanden.
Literatur
Stock, A. (2017). Kafka, Gustav. In U. Wolfradt, E. Billmann-Mahecha & A. Stock (Hrsg.), Deutschsprachige Psychologinnen und Psychologen 1933-1945. Ein Personenlexikon, ergänzt um einen Text von Erich Stern. 2., aktualisierte Aufl. (S. 221-222). Wiesbaden: Springer.
Traxel, W. (2004). Zur Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Psychologie im sogenannten Dritte Reich. Psychologische Rundschau, 55/ Supplementum 1, 21-32.
Wehner, E. G. (1964). Gustav Kafka. Ein Beitrag zur Geschichte der Psychologie. Würzburg: Phil. Diss.
Wehner, E. G. (2016). [Selbstdarstellung]. In: Lück, H. E. (Hrsg.). Psychologie in Selbstdarstellungen, Band 4. 2. Aufl. (S. 310-326). Lengerich: Pabst Science Publishers.
H.E.L.