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Zur fehlenden Auseinandersetzung in der Nachkriegszeit

Schaufenster zum Forschungsarchiv Nr. 11

Herausgetrennte SeitenFoto: FernUniversität
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Was geschah in den Jahren nach der Kapitulation 1945 mit der Literatur, die in der NS-Zeit entstanden war? Die Besatzungsmächte forderten zum Teil die Entfernung aus Bibliotheken, aber auch den Verfasserinnen und Verfassern mussten manche ihrer eigenen Arbeiten unangenehm sein. So wurden Bücher aus Bibliotheken entfernt und Teile aus Zeitschriften, Sammelwerken und Kongressberichten ausgeschnitten, überklebt oder geschwärzt.
Ulfried Geuter, damals Assistent am Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, hat untersucht, wie mit dem besonders peinlichen Bericht über den 13. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie aus dem Jahr 1933 umgegangen worden war. Dazu hat er die Bibliotheksbestände Psychologischer Institute durchgesehen und festgehalten, was aus diesem Bericht herausgeschnitten und was überklebt worden war.
Das Bild zeigt sein Ergebnis für Heraustrennungen aus dem Kongressband in der Bibliothek des Psychologischen Instituts der Freien Universität Berlin. Nur vier Vorträge (Krueger, Klemm, Lersch, Rieffert) blieben erhalten, aber das Inhaltsverzeichnis, die tendenziösen Ansprachen zur Eröffnung und vier Vorträge (Clauß, Jaensch, von Isenburg, Poppelreuter) wurden herausgetrennt.
Das Ergebnis insgesamt: Viele Kongressbände waren vollständig in den Institutsbibliotheken. Aber entfernte oder überklebte Beiträge gab es vor allem in jenen Instituten, in denen nach dem Krieg Professoren lehrten, die Charakterologie und Ganzheitspsychologie vertraten: FU Berlin, Bonn, Heidelberg und Mainz (Geuter, 1979, 1980, S. 6). Entfernt wurden meist die gleichen Beiträge. Es ist bemerkenswert, dass Geuter diese Untersuchung lange nach Ende der Nazizeit, nämlich 1979, durchgeführt hat.
Studierenden waren diese Zensurmaßnahmen schon in der frühen Nachkriegszeit aufgefallen. Einer der damaligen Studenten, der spätere Professor Carl-Friedrich Graumann, erinnerte sich: „Selbstverständlich war für uns das Ausgeschwärzte, Herausgeschnittene, Über­klebte das Interessantere als das der Nachwelt Erhaltene“ (Graumann, 1985, S. 2).
Geuters These (1980): Die bundesdeutsche Psychologie hat sich dem Thema Psychologie im Faschismus nicht grundsätzlich gestellt. Dazu haben auch die Standesinteressen der Hochschullehrer beigetragen.

Das Psychologiegeschichtliche Forschungsarchiv bewahrt eine Schenkung von Prof. Ulfried Geuter zu dessen Arbeiten über die Psychologie im Nationalsozialismus.

Geuter, U. (1979). Der Leipziger Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Ausrichtung, Anbieten und Arrangement einer Wissenschaft im nationalsozialistischen Staat. Psychologie- und Gesellschaftskritik, 3 (4), 6-25.

Geuter, U. (1980). Institutionelle und professionelle Schranken der Nachkriegsauseinandersetzung über die Psychologie im Nationalsozialismus. Psychologie & Gesellschaftskritik 4 (1/2), 5—39.

Graumann, C. F. (1985). Psychologie im Nationalsozialismus – Eine Einführung, in: C. F. Graumann (Hrsg.) Psychologie im Nationalsozialismus (S. 2-13). Heidelberg: Springer.

H.E.L./M.R.

Alexander Moroz | 10.05.2024