Ernst Meumann im Kontakt zu Johannes Volkelt
Fragen zur Psychologie der Ästhetik
Schaufenster zum Forschungsarchiv Nr. 41
Das Psychologiegeschichtliche Forschungsarchiv der FernUniversität bewahrt einen Brief, der schon Gegenstand einer näheren Betrachtung von Paul Probst gewesen ist (Probst, 1987). Der dreiseitige, handschriftliche Brief von Ernst Meumann aus dem Jahr 1908 behandelt die Psychologie der Ästhetik. Meumann (1862-1915) war damals Philosophieprofessor in Münster, der Adressat Johannes Volkelt (1848-1930) ebenfalls Philosophieprofessor in Leipzig. In dem Brief geht es um Meumanns 1908 veröffentlichte Monographie „Einführung in die Ästhetik der Gegenwart“, von der er an Volkelt ein Exemplar zur Beurteilung übersandt hatte. Auf die zwischenzeitlich erfolgte Beurteilung antwortete Meumann mit dem vorliegenden Brief, in dem die unterschiedlichen Auffassungen zur Ästhetik artikuliert werden.
Zum Hintergrund des Briefes:
Zur Zeit der Korrespondenz war die Psychologie der Ästhetik ein aktuelles Thema. Besonders verbreitet und akzeptiert war die Theorie der Einfühlung, die auf die Romantik zurückging und nun vor allem durch Theodor Lipps (1851-1914) vertreten wurde (Lipps, 1003/1906, Allesch, 1987, S. 39ff.). Die Idee dieser Theorie ist, dass Menschen eigene Gefühle und Wahrnehmungstendenzen in den wahrgenommenen Gegenstand „einfühlen“. So werden etwa Steinsäulen vor einem Eingangstor als „tragend“ erlebt. Johannes Volkelt (nicht zu verwechseln mit dessen Sohn, dem Psychologen Hans Volkelt, 1886-1964), schloss sich der Terminologie von Lipps an.
Der Band Einführung in die Ästhetik der Gegenwart (Volkelt, 1908) war es, der die Diskussion zwischen Volkelt und Meumann anregte. Meumann gestand zu, dass er das Verhältnis von ästhetischer und gewöhnlicher Einfühlung nicht richtig wiedergegeben habe, er werde sich beeilen, das sogleich in dem zweiten Bändchen zu berichtigen. Mit diesem zweiten Band ist Meumanns System der Ästhetik gemeint, der allerdings erst 1914 erschien. Meumann war der Überzeugung, dass die Ästhetik als psychologische Wissenschaft der Aufgabe der gesamten Ästhetik nicht gerecht werden könne. Man werde dem Wert der Kunst nicht gerecht, wenn man diese ausschließlich als Reize des ästhetischen Gefallens sehe. So werde Kunst nur sehr unvollkommen verstanden. Mit dieser Kritik am Psychologismus in der Ästhetik stand Meumann nicht allein: In diese Richtung ging auch die zukunftsweisende Kritik von Max Dessoir (1867-1947).
Meumann, kurze Zeit später Professor in Hamburg, war Pädagogischer Psychologe und führte u.a. empirische Untersuchungen über die Ästhetik von Schülern durch, so z.B. über deren Lieblingsfarben und Farbkombinationen (Probst, 2014). Zur Geschichte der psychologischen Ästhetik und zur Auseinandersetzung informiert das entsprechende Kapitel 23 bei Allesch (1987, S. 396-425): „Die psychologische Ästhetik und ihre Gegner“.
Allesch, C. G. (1987). Geschichte der psychologischen Ästhetik. Göttingen: Hogrefe.
Allesch, C. G. (2006). Einführung in die psychologische Ästhetik. Wien: WUV.
Lipps, T. (1903/1906). Ästhetik – Psychologie des Schönen und der Kunst. 2 Bde. Hamburg/Leipzig: Voss.
Meumann, E. (1908). Einführung in die Ästhetik der Gegenwart. Leipzig: Quelle & Meyer.
Meumann, E. (1914). Das System der Ästhetik. Leipzig. Quelle & Meyer.
Probst, P. (1987). Psychologische Ästhetik: Anmerkungen zu einem Brief Ernst Meumanns an Johannes Volkelt aus dem Jahre 1908. Geschichte der Psychologie. Nachrichtenblatt deutschsprachiger Psychologen, Nr. 13, 3/1987, 24-34. https://www.psycharchives.org//handle/20.500.12034/307
Probst, P. (2014). Ernst Meumann als Wegbereiter der Pädagogischen Psychologie und Empirischen Pädagogik in Deutschland. In M. Spieß (Hg.), 100 Jahre akademische Psychologie in Hamburg. Eine Festschrift (S. 15-85). Hamburg: Hamburg University Press.
H.E.L.