Der IV. Internationale Kongress für Psychotechnik in Paris 1927

Schaufenster zum Forschungsarchiv Nr. 51

Vom 10. bis zum 14. Oktober 1927 fand im Institut für geistige Zusammenarbeit in Paris der vierte internationale Kongress für Psychotechnik statt. Vorausgegangen waren Konferenzen in Genf (1920) mit weniger als 20 Teilnehmern, dann in Barcelona und Mailand mit TeilnehmerInnen aus Frankreich, Belgien, Spanien, Luxemburg, der Schweiz, Deutschland und England. Der vierte Kongress wurde nun der bisher größte mit 240 TeilnehmerInnen aus 22 Ländern (Carpintero, Ardila & Jacó-Vilela, 2020; Holman, 1928). Angemeldet waren 113 Referate, von denen allerdings nur gut die Hälfte gehalten wurden. Der Kongressbericht erschien 1929 mit einem Umfang von 686 Seiten (Gundlach, 1998).

Das Hagener Archiv bewahrt Fotos von diesem Kongress aus dem Vorbesitz von Dr. Karl Hackl, Wien, auf, der auch an dem Kongress teilnahm. Zur Gruppe der TeilnehmerInnen aus dem deutschen Sprachbereich gehörten bekannte Psychotechniker wie William Stern, Walther Moede, Otto Lipmann, Hans Rupp, Fritz Giese und Hans Henning (Baumgarten 1927). Stern, der 1903 den Begriff der Psychotechnik geprägt hatte, war den Kongressen für Psychotechnik verbunden. Er entwickelte in seinem Vortrag (Stern, 1929) die Grundlagen seines Kritischen Personalismus, mit dem er im Gegensatz zur diagnostischen Apparate-Psychotechnik stand, die zur Zeit des Kongresses ihre Blüte erlebte. Wie Franziska Baumgarten berichtet, hatte seine Einschätzung prinzipielle Bedeutung:

„Er führte aus, dass die Person Ganzheit und Tiefe hat, daß die Fähigkeiten und Eigenschaften nicht eine Summe, sondern eine bestimmt strukturierte Totalität bilden […]. Die Prüfung der einzelnen Eigenschaften, wie sie zurzeit mit sog. Tests bei der Berufsberatung und in der Personalauslese vorgenommen wird, trifft diese Ganzheit nicht, sie atomisiert die Person und gibt daher kein richtiges Bild von der Befähigung der geprüften Person.“

Das hier gezeigte Foto (Ausschnitt) zeigt TeilnehmerInnen, die offenbar gebeten wurden, sich für das Foto umzudrehen – vielleicht, um bei dieser Perspektive auch das Präsidium mit im Bild zu haben. Wie bei derartigen Fotos üblich, sind die Namen der Teilnehmer nicht übermittelt worden; so ist eine sichere Identifizierung nach über 90 Jahren schwer geworden.

Foto: Fernuniversität in Hagen
Foto (Ausschnitt) vom IV. Internationalen Kongress für Psychotechnik 1927 in Paris. Mit einiger Sicherheit lassen sich im Vordergrund von links nach rechts identifizieren: NN, NN, William Stern (mit dunklem Bart, Kopf geneigt), Otto Lipmann (mit Vollbart), Karl Hackl (mit Mittelscheitel), NN, NN, Hans Rupp (auf der rechten Seite mit Blick über die linke Schulter), NN, NN.

In mehreren Berichten über den Kongress wurden die französischen Beiträge zur Psychotechnik gelobt. Dagegen schrieb William Stern in einem Brief vom 1. November 1927 an seinen Freund Jonas Cohn:

„Die psychotechn. Konf. in Paris war ganz interes­sant, wenn auch hauptsächlich für uns Deutsche in dem Sinne, daß wir erkann­ten, wie weit wir - theoret. u. prakt. - vor anderen europ. Ländern voraus sind. (Amerika war kaum vertre­ten). Besonders auffallend ist die Stagnation in Frankreich, die sich auch auf reine Psy­chol. u. psychol. Pädagogik erstreckt. Die jün­gere Generation besteht dort aus 2-3 russ. Juden, keinem Franzosen. - Mensch­lich war es sehr erfreulich.“ (Zitiert nach Lück & Löwisch, 1994, S. 159).

Literatur

Baumgarten, F. (1927). Die IV. internationale Konferenz für Psychotechnik in Paris. Psychotechnische Zeitschrift, 2(6), 182-183.

Carpintero, H., Ardila, R. & Jacó-Vilela, A. M. (2020). International Association of Applied Psychology: A Centennial History 1920–2020. Hoboken, NJ, USA: John Wiley & Sons,

Gundlach, H. (1998). Applied psychology. The Fourth Congress Paris 1927. London: Routledge.

Patrick Rostane | 08.04.2024