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Eine Familie – vier Mediator:innen
[27.07.2023]Mediation ist nicht nur eine Profession, mit der sich Konflikte außergerichtlich beilegen lassen. Mediation ist eine Frage der Haltung. Für Familie Kyi-Drago ist Mediation noch mehr: ein gemeinsamer Nenner, ein Band.
Andrea Kyi-Drago (61) und ihre drei Kinder Emanuel (33), Dinah (24) und Deborah (23) haben an der FernUniversität Hagen die Mediationsausbildung absolviert. Neben ihren unterschiedlichen Grundberufen sind alle vier nun auch Mediator:innen.
Konzept gegen Konflikte
Als Diplom-Übersetzerin – für Englisch, Spanisch, Italienisch – begegnet Andrea Kyi-Drago beruflich täglich Menschen aus anderen Sprach- und Kulturräumen. Auch Sohn Emanuel Drago – Sport-, Event- und Medienmanager – ist beruflich in einem Umfeld mit hoher Konfliktrelevanz unterwegs: Da geht es um kontroverse und zuweilen heikle Gespräche zwischen Kunde und Lieferant oder um Auseinandersetzungen innerhalb des Unternehmens.
„Konflikte sind ein allgegenwärtiges Thema. Darüber wollte ich mehr wissen – aber nicht nur einen Wochenendkurs belegen. Ich wollte Mediation studieren“, erinnert sich Andrea Kyi-Drago. Sie recherchierte und stieß auf das Weiterbildungsangebot der FernUni. „Im Ausbildungscurriculum entdeckte ich vielversprechende Komponenten und wissenschaftliche Ansätze für meinen Beruf – und das Format Fernstudium war für uns ideal.“ Mutter und Sohn schrieben sich 2012 zusammen für das Studium Mediation kompakt ein. Sehr schnell stand für beide fest, den Weiterbildungsmaster Mediation anzuhängen.
Bedürfnisse statt Ansprüche
Für ein Präsenzstudium zu pausieren, wäre als Berufstätige in Vollzeit mit Verantwortung für drei Kinder nicht in Frage gekommen. Auch für Emanuel war das Fernstudium vorteilhaft. „Alles, was ich gelernt habe, konnte ich sofort in meiner damals noch jungen Berufspraxis anwenden“, sagt er. „Ich halte mich für einen seit jeher mit Empathie ausgestatteten Menschen. Anspruchsdenken lag mir schon immer fern“, sagt er über sich. „Die Ausbildung zum Mediator machte das, was ich intuitiv in kritischen Situationen tue, für mich selbst benennbar und damit bewusst anwendbar.”
„Vor allem durch die Rollenspiele in den Praxisphasen haben wir wertvolle Erkenntnisse gewonnen“, blickt Andrea Kyi-Drago zurück. Wenn es den Streitenden gelingt, sich von den eigenen Ansprüchen zu lösen und stattdessen die Wünsche, Bedürfnisse oder Ängste in den Mittelpunkt zu stellen, beginnen die Chancen für konfliktfrei(er)e Beziehungen.
Von der Mediation zur Promotion
Das Mediationsstudium war „für mich eine reiche Quelle für neuen Input“, sagt Andrea Kyi-Drago rückblickend, die 2014 ihren Masterabschluss in Hagen ablegte. Im Anschluss setzte sie ein lang gehegtes Vorhaben um: zu promovieren – und das gleich zweifach. „Ich hätte schon vor Jahrzehnten promovieren können. Das Leben ließ mich auf den richtigen Moment warten“, sagt sie lachend. „Die neu gewonnenen Erkenntnisse zu Mediation führten mich zu ‚meiner‘ Forschungsfrage im Bereich der Mehrsprachigkeit und der Kulturwissenschaft”, sagt sie. „Auch für meine Arbeit als Übersetzerin ist die gewonnene mediative Haltung immer wieder wertvoll.“ Ihr stärkeres Interesse liegt jedoch darin, Mediation weiterzutragen und zu lehren.
Angemessene Distanz
So ist Mediation seit langem gelebter Alltag im Hause Kyi-Drago. Alle vier leben in der Nähe von Landau/Pfalz unter einem Dach mit viel Raum für jede und jeden. „Unser Verhältnis untereinander ist auch 'ein wenig' durch die mediative Haltung geprägt: zwischen Anerkennung und angemessener Distanz“, meinen Dinah und Deborah Kyi-Drago, die gerade ganz frisch den Masterstudiengang Mediation abschließen. Beide haben in ihrem Grundberuf Erziehungswissenschaften studiert: Dinah legte ihren Schwerpunkt auf die Pädagogik der Frühen Kindheit, Deborah ist auf Betriebspädagogik spezialisiert.
Dinah arbeitet als pädagogische Fachkraft in der Kinder- und Jugendhilfe. Mediation ist in ihrem Bereich keine anerkannte und finanzierte Maßnahme im Rahmen der Hilfen zur Erziehung. „Ich wende jedoch das Erlernte tagtäglich in den Gesprächen mit den Klient:innen an, um im Sinne ihrer Beziehungen der Systeme Familie, Schule oder Arbeitsplatz zu vermitteln.“ Sie erkennt Situationen von Menschen, in denen diese Hilfen zur Erziehung benötigen, als „fruchtbares weiteres Handlungsfeld“ für Mediator:innen.
„Vielleicht werden irgendwann lehrbuchmäßige Mediationen als weitere Maßnahme in den Katalog mit aufgenommen, so dass mehr Menschen davon profitieren könnten.” Sie hat sich für ihr Berufsfeld vorgenommen, für das Potenzial von Mediation „bei den verantwortlichen Stellen“ zu werben. Persönlich sieht sie sich noch nicht am Ende ihres eigenen Lernens und ist aktuell auf der Suche nach einer Betreuung für ein Promotionsprojekt, in dem Mediation eine Rolle spielen wird.
Als Talent Acquisition Manager gehören Gespräche mit hoch qualifizierten Personen unterschiedlichster Berufssparten für Deborah zur Tagesordnung. Sie hat ihr Studium an der FernUni in Hagen ebenfalls fast abgeschlossen und wartet aktuell nur noch auf das Ergebnis ihrer Masterarbeit. „Durch das Mediationsstudium habe ich wertvolle kommunikative Fähigkeiten erworben. Ich habe gelernt, zuzuhören und mich in meine Gesprächspartner:innen hineinzuversetzen – jedes Mal auf individuelle Weise neu. Das kommt mir für meine Tätigkeit sehr zugute.“
Zwischen Haltung und Beruf
Eine Familie, vier Köpfe, eine Meinung: „Menschen, die ihren Konflikt in einer Mediation lösen statt vor Gericht, erlernen und erwerben gleichzeitig neue Sicht- und Denkweisen. Eine mediative Haltung ist aus unserer Sicht ein großer und wichtiger Schritt, der dort, wo Menschen in Beziehungen stehen, gebraucht wird. Die deutliche Trennung zwischen mediativer Haltung und lehrbuchmäßiger Mediation ist und bleibt dabei sehr wichtig, damit Mediation im Sinne eines klaren Berufsbilds noch mehr Beachtung finden kann.“ Für sie wäre die bewusste Unterscheidung bei gleichzeitiger Verknüpfung von Profession und Haltung ein bereichernder Kreislauf.
Alle vier setzen sich täglich dafür ein.