sexuelle und romantische Orientierung

Die sexuelle und romantische Orientierung eines Menschen beschreibt, zu wem sich dieser Mensch hingezogen fühlt – mit welchem Geschlecht (oder welchen Geschlechtern) er zum Beispiel eine Liebeziehung führen oder Sex haben möchte.

Die sexuelle und romantische Orientierung kann bei einer Person jeweils gleich sein, muss es aber nicht. Jemand kann also in das eine (oder mehrere) Geschlecht(er) verliebt sein und auch intim mit ihm beziehungsweise ihnen werden wollen, es kann aber auch sein, dass derselbe Mensch romantisch auf jemanden steht, aber sexuell nicht. Das sogenannte ‚split attraction model‘ ermöglicht diese (sprachliche) Unterscheidung für das Empfinden mancher Menschen.

Wen ein Mensch anziehend findet, hat dabei erstmal nichts damit zu tun, welches Geschlecht diese Person selbst hat. Bei der sexuellen Orientierung geht es um sexuelle Vielfalt. Geschlechtliche Vielfalt, wozu zum Beispiel Inter- oder Transgeschlechtlichkeit gehört, ist etwas anderes.

  • Manchmal wird die Frage danach gestellt, warum vermeintlich so viel über die sexuelle (und romantische) Orientierung(en) von Menschen gesprochen wird. In dem Fall wird davon ausgegangen, dass es sich dabei um eine Privatangelegenheit handelt. Hier ist es wichtig, einige Punkte zu differenzieren:

    Bei der sexuellen Orientierung handelt es sich für die meisten Menschen um einen zentralen Aspekt ihrer Persönlichkeit. Aus diesem Grund wird auch von der ‚sexuellen Identität‘ gesprochen. Dabei muss es gar nicht um die dahinterstehende gelebte Sexualität gehen. Die sexuelle Orientierung beschreibt, je nach Definition, erst einmal nur, wer ein Mensch in Relation zu anderen ist und wie er sich selbst sieht.

    Zum anderen sind mit der persönlichen sexuellen Identität immer auch gesellschaftliche Implikationen verbunden. Wen ein Mensch liebt, wen er anziehend findet und mit wem er eine Beziehung führt, ist je nach sexueller Orientierung unterschiedlich leicht oder schwer, weil die gesellschaftlichen Umstände beeinflussen, was als Norm gilt und was nicht. Damit verbunden sind Privilegien und Diskriminierungen. Einige Menschen haben sich noch nie bewusst gefragt, auf wen sie eigentlich stehen. Andere haben diese Erfahrung schon sehr früh gemacht, weil sie bemerkt haben, dass ihr Empfinden dem entgegen zu stehen scheint, was gesellschaftlich von ihnen erwartet wird. Bei wem wird eine spätere Hochzeit prophezeit? Wer wird in Büchern abgebildet? Über wen wird aufgeklärt? Wen erwarten die eigenen Eltern vorgestellt zu bekommen? Wessen Begleitung bei Familien- oder Betriebsfeiern wird ohne Aufsehen akzeptiert? Insofern handelt es sich bei der sexuellen (und romantischen) Orientierung nicht um eine private Angelegenheit, über die es sich nicht zu sprechen lohnt.

  • Die Vielfalt sexueller Empfindungen ist groß. Mit ihr geht eine Fülle von (Selbst-) Bezeichnungen einher. Einige ändern sich für manche Menschen im Laufe ihres Lebens, zum Beispiel weil sich ihr Empfinden geändert hat oder weil sie einen anderen Begriff als passender für sich empfinden. Das heißt nicht, dass die sexuelle Identität von außen steuerbar wäre. Vergangene Beziehungen sagen demnach nichts über die aktuelle sexuelle und romantische Orientierung eines Menschen aus. Auch bei gegenwärtigen Beziehungen kann es von außen zu Fehlschlüssen kommen, zum Beispiel wenn ein Mensch auf mehrere Geschlechter steht, aber nur mit einem eine (monogame) Beziehung führt.

    Der Begriff ‚queer‘ wird von vielen aus der LGB*-Community als Oberbegriff verwendet. Er soll deutlich machen, dass sie in ihrem Verhalten, ihrem Aussehen, ihrer Geschlechtsidentität und/ oder ihrer sexuellen/ romantischen Orientierung nicht den gesellschaftlichen Vorstellungen entsprechen (wollen) – dass sie anders leben und lieben als es die zweigeschlechtlichen, cisgeschlechtlichen und/ oder heterosexuellen Normen vorschreiben.

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    Welche (Selbst-) Bezeichnungen gibt es darüber hinaus? Hier eine kleine Auswahl:

    • heterosexuell: Zweigeschlechtlich gedacht, beschreibt Heterosexualität die Anziehung zum jeweils anderen Geschlecht (wenn eine Frau zum Beispiel Anziehung zu einem Mann empfindet).
    • homosexuell: Homosexualität beschreibt die Anziehung zu Menschen des eigenen Geschlechts. Alternative Bezeichnungen sind beispielsweise ‚schwul‘ oder ‚lesbisch‘.
    • bisexuell: Bisexualität beschreibt, je nach individuellem Verständnis des Begriffs, die Anziehung zu mehr als einem Geschlecht. Das müssen nicht unbedingt Frauen und Männer sein. Manchmal wird sie auch definiert als die Anziehung zum eigenen und zu einem weiteren anderen Geschlecht.
    • pansexuell: Pansexualität ist Bisexualität ähnlich. Je nach Verständnis des Begriffs beschreibt Pansexualität häufig die Anziehung zu anderen Menschen unabhängig ihres Geschlechts.
    • asexuell: Asexualität meint, dass ein Mensch gar keine sexuelle Anziehung empfindet. In manchen Fällen kann es auch ‚wenig sexuelle Anziehung‘ bedeuten.

    Die sexuelle (und romantische) Orientierung ist, wie vieles, ein Spektrum. Nicht alle Menschen fühlen sich zu anderen hingezogen, manche empfinden diese Anziehung nur sehr selten oder nur unter bestimmten Umständen oder eben auch gar nicht. Asexualität ist nichts behandlungsbedürftiges. Asexuelle Menschen empfinden ihre Identität in vielen Fällen nur dann als belastend, wenn sie mit gesellschaftlichen Erwartungen konfrontiert werden, die sie nicht erfüllen können. Die von ihnen, die eine (geringe) sexuelle Anziehung gegenüber anderen verspüren, können jede sexuelle Orientierung haben, wie alle anderen auch. Manche asexuellen Menschen beschreiben ihr Empfinden zusätzlich auch als aromantisch, andere fühlen eine romantische Anziehung gegenüber anderen.

  • Heterosexualität gilt als Norm. Das bedeutet, es wird in aller Regel davon ausgegangen, dass ein Mensch heterosexuell ist. Alle anderen sexuellen Orientierungen gelten als erklärungsbedürftige Abweichungen, wodurch eine Hierarchie entsteht. Das Konzept der ‚Heteronormativität‘ beschreibt darüber hinaus die gesellschaftlich verankerten Annahmen,

    • dass es ausschließlich zwei Geschlechter gibt (Frau und Mann),
    • dass alle Menschen sexuelle Anziehung verspüren,
    • dass alle das (binär gedacht) jeweilige Gegengeschlecht begehren,
    • dass alle ausschließlich dieses eine Geschlecht begehren und
    • dass alle monogame Beziehungen auf dieser Grundlage führen wollen.

    In Bezug auf die sexuelle Orientierung bedeutet das: Hetero zu sein ist mit einer ganzen Reihe an Privilegien verbunden. Niemand erwartet eine Erklärung der eigenen sexuellen Identität oder der Partner*innenwahl. Heterosexuelle Paare können sich in der Öffentlichkeit frei bewegen, ohne um ihre Sicherheit fürchten zu müssen. Sie können zusammen Wohnungen besichtigen und müssen nicht vorher strategisch abwägen, ob sie ihren Beziehungsstatus öffentlich machen. Sie können ohne Probleme kirchlich heiraten, wenn sie das möchten, und jeden Job bekommen.

  • Im Umkehrschluss bedeuten Privilegien für heterosexuelle Menschen Diskriminierung von queeren Menschen. Heteronormativität ist die Grundlage für Queerfeindlichkeit. Je nach politischem Kontext fängt das zum Beispiel beim Nicht-Mitdenken der jeweiligen Identität an, geht über Vorurteile und Ausgrenzung bis hin zu Gewalt, die Menschen entgegengebracht wird, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen.

    Queeren Menschen kann die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen sexuellen Identität sehr schwer fallen, wenn sie von Queerfeindlichkeit umgeben sind und ihnen vermittelt wird, dass es nur eine ‚richtige‘ Option gibt. Oft braucht es Zeit und den Austausch mit anderen aus der Community, manchmal die richtigen Begriffe sowie ein akzeptierendes persönliche Umfeld, bis es zu einem Outing kommt.

    Outing meint, anderen Menschen von der eigenen sexuellen Identität zu erzählen. Das ist ein Prozess, der queere Menschen oft ein Leben lang begleitet und sie in neuen Situationen immer wieder vor die Abwägung stellt, ob es unter den gegebenen Umständen sicher ist, sie selbst zu sein. Dass ein solches Vorgehen nach wie vor gängig ist, ist ein weiterer Ausdruck der Deprivilegierung, die queere Menschen erfahren. Auch der Begriff des ‚Outings‘ selbst wird kritisiert, weil er den Fokus auf andere und ihre Reaktion legt und ihnen damit Macht verleiht. Stattdessen kann auch von ‚inviting in‘ gesprochen werden, weil damit anderen erlaubt wird, von einem Teil der eigenen Identität zu erfahren.

    Die gesetzliche Diskriminierung von queeren Menschen liegt noch nicht lange zurück. So war bis Ende der 1960er Sex zwischen Männern gesetzlich verboten, komplett abgeschafft wurde der Paragraph erst 1994. In den letzten Jahrzenten hat sich die Gesamtsituation zum Teil verbessert. Seit 2017 gibt es die Ehe für alle, seit 2020 sind hierzulande Konversionstherapien verboten. Trotzdem bedeutet Queer Sein bis heute - und gegenwärtig wieder verstärkt - Diskriminierung und das nicht (nur) auf gesetzlicher Ebene. Gesellschaftlich sind besonders subtile Abwertungen, aber auch sexuelle und körperliche Übergriffe weiterhin verbreitet.

  • Laut AGG ist die Diskriminierung wegen der sexuellen Identität bei Alltagsgeschäften und im Arbeitsleben gesetzlich verboten. Nichtsdestotrotz erfahren queere Menschen auch im beruflichen Kontext weiterhin Benachteiligungen. In einer Studie aus 2017 gaben drei Viertel (76,3 Prozent) der LSB-Beschäftigten an, Diskriminierung in mindestens einer Form erlebt zu haben. Etwa zwei Drittel (64,1 Prozent) erleben voyeuristisch-gesteigerte Auseinandersetzungen. 39 Prozent erleben sexuelle Belästigung. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass rund 20 Prozent der berichteten Diskriminierungen strafrechtlich relevant ist.

    Das hat zur Folge, dass Menschen das Gefühl haben, sich und Teile ihres Lebens verstecken zu müssen: In der gleichen Befragung berichtet ein knappes Drittel (30,5 Prozent) davon, mit keinen oder nur wenigen Kolleg*innen offen über ihre sexuelle Identität zu sprechen. Bei den bisexuellen Beschäftigten sind es mehr als die Hälfte (55,5 Prozent). Es ist also wie immer davon auszugehen, dass fehlende Sichtbarkeit nicht bedeuten muss, dass Menschen der entsprechenden Community nicht anwesend sind.

  • Do

    • Sprachlich sexuelle Vielfalt deutlich machen. Wer ist gemeint, an wen wird gedacht?
    • Bei diskriminierenden Sprüchen anderer intervenieren.
    • Im Fall von eigenen Aussagen, die Kritik erfahren, sich entschuldigen und gegebenenfalls später noch einmal recherchieren, wie es in Zukunft besser gehen kann.
    • Sich mit Lebensrealitäten auseinandersetzen, die nicht die eigenen sind.
    • Bei einem Outing nachfragen, was sich das Gegenüber zukünftig von einem wünscht, zum Beispiel ob das Gespräch erst einmal vertraulich bleiben soll.

    Don‘t

    • Geoutete Mitmenschen einen Sonderstatus einräumen und ihre Identität immer wieder zum Thema machen.
    • Neugierige Fragen stellen.
    • Über das Privatleben anderer spekulieren.
    • Jemanden outen ohne vorheriges Einverständnis der Person.
    • Alle Menschen einer Community in eine Schublade stecken und verallgemeinernde Aussagen treffen. Geteilte Lebenserfahrungen sind das eine, Klischees das andere.
Gleichstellungsstelle | 08.04.2024