Präsenzveranstaltung

Die nackte Wahrheit. Zur Analyse einer Metapher und eines Topos

Dass die Wahrheit nackt sei, ist eine mehr als geläufige Redewendung, es ist eine plakative Metapher, die sehr tief in unserer abendländischen Kultur verankert ist. Soll man sagen, dass die Behauptung, die Wahrheit sei nackt, wahr ist? Ist dann die Bekleidung eine Lüge? Das Seminar wird in sechs Online-Sitzungen (nebst Vorbesprechung) über diese Frage nachdenken. Dabei kommt ihm zu Hilfe, dass der Philosoph Hans Blumenberg in den Paradigmen zu einer Metaphorologie (im Archiv für Begriffsgeschichte von 1960) ein Kapitel der „nackten Wahrheit“ gewidmet hat und aus seinem Nachlass ein ganzes Buch mit diesem Titel herausgegeben wurde (Hans Blumenberg: Die nackte Wahrheit. Berlin 2019). Über der theoretischen Reflexion (auch wenn sie überaus beispielgesättigt ist) soll aber die landläufige Indienstnahme dieser Metapher in den Artefakten nicht vergessen werden. Nach der ‚nackten Wahrheit‘ kann man beispielsweise mittels Google gut suchen und wird eine reiche Ernte einfahren. Auch Buchtitel sind darunter, etwa über Fräulein Else von Arthus Schnitzler (Alexandra Tacke: Schnitzlers „Fräulein Else“ und die Nackte Wahrheit. Novelle, Verfilmungen und Bearbeitungen. Köln 2017). Und wen wundert es, dass die nackte Wahrheit auch im Film vorkommt? In dem Film der Filmpionierin Lois Weber mit dem Titel Hypocrites or the Naked Truth (1915) kann man sich die nackte Wahrheit ein wenig anschauen. Spätestens dieser Film führt auf eine Frage, welche das Seminar immer wieder beschäftigen wird: Inwiefern ist die nackte Wahrheit weiblich?