Die klassische Wirtschaftswissenschaft basiert auf dem analytischen Grundprinzip der Rationalität von menschlichem Verhalten. Konkret wird unter angenommen, dass jeder Mensch bei allen Entscheidungen
- alle verfügbaren Informationen miteinbezieht,
- alle potenziellen Konsequenzen seines Handelns kennt,
- seine Präferenzen nicht von Stimmungen, Emotionen oder dem gegenwärtigen Status Quo beeinflusst sind.
- sich nur an seinem eigenen Nutzen orientiert.
Dieses Grundprinzip der Rationalität erlaubt es, auf Grundlage von empirischen Beobachtungen menschliche Entscheidungen quantitativ zu modellieren, um daraus beispielsweise zielgenaue wirtschaftspolitische Prognosen und Empfehlungen abzuleiten oder Erkenntnisse von einem auf andere Kontexte oder Märkte zu übertragen.
Empirische Erkenntnisse, insbesondere aus der psychologischen Forschung, legen jedoch nahe, dass dieses Prinzip in vielen Fällen nicht die Realität widerspiegelt. Menschen neigen zum Prokrastinieren oder zahlen für eine Fitnessstudio-Mitgliedschaft, ohne diese zu nutzen. Menschen spielen Lotto und sichern sich gleichzeitig gegen viele, teilweise vernachlässigbare Risiken ab. Sie sind eher auf die Erreichung festgelegter Ziele fokussiert als ihre Leistung darüber hinaus zu optimieren und ignorieren oft bewusst Fakten. Menschen verhalten sich moralisch oder sozial und leisten Beiträge zu öffentlichen Gütern. Menschen verzichten auf Flugreisen, um Emissionen zu reduzieren, obwohl ihr Beitrag zum Klimawandel verschwindend gering ist. Menschen rauchen und schädigen ihre Gesundheit. Wie können all diese Phänomene erklärt werden?
Eine analytische Erklärung dieser sehr menschlichen Verhaltensweisen zu liefern, ist Ziel dieser Moduleinheit. Wir widmen uns in der ersten Einheit nacheinander zunächst den Zeit- und Risikopräferenzen, mit deren Hilfe jeweils intertemporale Entscheidungen und Entscheidungen unter Unsicherheit getroffen werden. In diesem Kapitel gibt es eine Einführung in die klassische ökonomische Analyse, eine Aufbereitung empirischer Erkenntnisse, die dem klassischen Ansatz widersprechen und abschließend verhaltensökonomische Erweiterungen, die – aufbauend auf psychologischen Erkenntnissen – zu realistischeren Vorhersagen menschlichen Verhaltens gelangt.
In den letzten beiden Kapiteln widmen wir uns referenzabhängigen Präferenzen, eine verhaltensökonomische Erweiterung, die auf der Erkenntnis beruht, dass Menschen sich häufig an bestimmten Zielen oder Erwartungen orientieren, relativ zu denen sie die Konsequenzen ihrer Entscheidungen bewerten. Wir werden lernen, wie diese Präferenzen modelliert werden und warum diese Präferenzen nicht nur die Verteilung von Zielzeiten beim Marathon erklären, sondern auch Einsichten zur Funktionsweise von Arbeits-, Finanz- oder Immobilienmärkten liefert. Insgesamt öffnet dieses Modul eine Tür in die interdisziplinäre Forschung zwischen Psychologie und Ökonomik und skizziert das Spannungsfeld und die Möglichkeiten von Empirie und Theorie.
In der zweiten Einheit werden wir zunächst lernen, dass der Markt bei vollständiger Konkurrenz ineffizient ist, wenn die Konsumenten nicht alle Informationen berücksichtigen. Wir werden die Steuerwirkungen und die Steuerinzidenz erläutern, wenn die Konsumenten die Steuer nicht richtig wahrnehmen. Als Nächstes wenden wir uns Altruismus und moralischem Verhalten zu und lernen, wie sich Altruismus und moralisches Verhalten auf die Bereitstellung öffentlicher Güter und Externalitäten auswirkt. Altruismus und moralisches Verhalten haben Konsequenzen für die Ausgestaltung der Politik. Wir werden lernen, wie sich die sozial optimale Politik durch Altruismus und moralisches Verhalten ändert. Abschließend werden Internalitäten und deren Regulierung, und das verhaltensökonomische Politikinstrument des Nudges vorgestellt.
Während alle Kapitel der ersten Einheit von einer Reihe Übungsaufgaben auf der Moodle-Umgebung begleitet werden, mit denen Sie Ihr Verständnis über den Inhalt der einzelnen Abschnitte selbstständig kontrollieren können, finden sich in der dritten Einheit Übungsaufgaben zur zweiten Einheit. Zusätzlich finden Sie in einer Moodle-Umgebung Diskussionsmöglichkeiten und einige multimediale Inhalte, die Ihnen beim Erlernen des behandelten Stoffs weiterhelfen können.