Aktuelles

English

Wie hilft Technologie wirklich?

[19.03.2025]

Mit Lerndaten zu umsetzbaren Erkenntnissen für Studierende und Lehrende – darum geht es in der Forschungsprofessur Learning Analytics. Seit Herbst 2024 ist das Team um die CATALPA-Forschungsprofessorin Ioana Jivet mit Postdoc Kamila Misiejuk und Doktorand Volkan Yücepur komplett. Wie wollen sie mit ihrer Forschung den Lernprozess unterstützen? Das schildern die beiden im Interview.


Kamila Misiejuk und Volkan Yücepur Foto: Hardy Welsch
Kamila Misiejuk und Volkan Yücepur

Was sind Indikatoren

Ein Indikator ist eine messbare Kennzahl, die Informationen über das Lernverhalten und -ergebnisse von Studierenden liefert. Diese Indikatoren helfen dabei, wichtige Aspekte des Lernprozesses zu verstehen und zu analysieren.

Ein Indikator kann z. B. anzeigen, wie oft und lange ein Student Online-Kurse besucht hat, wie viele Übungen er bearbeitet oder wie gut er in bestimmten Aufgaben abgeschnitten hat. Solche Daten werden gesammelt und ausgewertet, um Muster zu erkennen und Rückschlüsse auf den Lernerfolg oder Schwierigkeiten zu ziehen und den Lernprozess zu verbessern.

Kamila, Volkan, als Team seid ihr mittlerweile eingespielt. Was beschäftigt euch aktuell?

Volkan Yücepur: Ich möchte Studierenden helfen, mit Hilfe von Learning Analytics fundierte Lernentscheidungen zu treffen. Damit das gelingt, müssen wir zunächst die spezifischen Informationsbedürfnisse von Studierenden identifizieren. Dann überlegen wir, wie wir diese Erkenntnisse in Learning-Analytics-Indikatoren überführen können. Mein Ziel ist es, Lehrenden klare Empfehlungen für den Einsatz in ihren Kursen geben zu können. Bisher gibt es hier noch zu wenig Forschung.

Die Informationsbedarfe der Studierenden und die passenden Datenquellen sind eine von drei Säulen der Forschungsprofessur bei der Entwicklung passgenauer Feedbacksysteme. In der zweiten Säule geht es um die Bereitstellung und das Verstehen der Daten, in der dritten um die Reflexion und die Umsetzung durch die Studierenden. Übrigens: dieser Aufbau hat mich sehr überzeugt und mit dazu bewogen, mich bei Ioana zu bewerben.

Kamila, bei welcher dieser Säulen setzt du an?

Kamila Misiejuk: Ich beschäftige mich grob mit drei Themenbereichen.

Ein Thema ist KI und wie Studierende damit umgehen und arbeiten. Sprich: Es gibt nun dieses neue Tool und wie nutzen Studierende diese Tools für ihre Aufgaben? Hier bin ich also eher bei Säule drei, der Reflexion und Umsetzung der Studierenden.

Mein zweiter Schwerpunkt liegt auf dem sogenannten Peer Assessment. Dabei evaluieren Studierende gegenseitig ihre Lernergebnisse. Aktuell beschäftige ich mich insbesondere damit, was passiert, wenn KI in den Prozess des Peer Assessment dazukommt. Wie wirkt KI in diesem komplexen System? Betrachten Studierende überhaupt noch Texte von Mitstudierenden oder lassen sie es, weil KI da ohnehin besser ist? Was macht es mit ihrer Motivation, sich Feedback anzuschauen, wenn sie ihre Texte teilweise mit KI generiert haben? Wir bewegen uns mit dieser Arbeit zwischen der zweiten und dritten Säule – also dem Verstehen und daraus folgend auch der Umsetzung von Feedback.

ENA und TNA

Epistemic Network Analysis (ENA)

ENA ist eine Methode zur Identifizierung und Quantifizierung von Verbindungen in Daten. Sie ermöglicht es Wissenschaftler*innen verschiedene Netzwerke miteinander zu vergleichen – visuell und durch zusammenfassende Statistiken.

Transition Network Analysis (TNA)

Diese Methode integriert eine Technik die Prozesse mit Hilfe von digitalen Spuren sichtbar macht mit einer grafischen Darstellung von Wahrscheinlichkeitsverteilungen. So sollen Übergangs- und Veränderungsmuster in Lernprozess-Daten identifiziert und visualisiert werden.

Das dritte Thema, an dem ich arbeite, sind die Methoden für Datenanalyse, also vor allem Netzwerkmethoden, wie Epistemic Network Analysis (ENA) und Transition Network Analysis (TNA). Mich interessiert vor allem, wie die Zusammenarbeit unter Studierenden modelliert werden kann. Im Grunde geht es auch hier wieder darum, komplexe Prozesse zu verstehen und darstellen zu können. Auf diesem Forschungsfeld befassen wir uns mit Datenquellen und Möglichkeiten, diese sinnvoll für Studierende oder Lehrende nutzbar zu machen – also mit der ersten Säule.

Was fasziniert euch an diesen Themen?

Volkan Yücepur: Mich begeistert die Psychologie auf der einen Seite. Ich habe mich zum Beispiel in das Bachelorstudium der Psychologie hier in Hagen eingeschrieben und konnte so auch die Bildungsprozesse der FernUni besser verstehen. Gleichzeitig fasziniert mich die Informatik mit all ihren Möglichkeiten auf der anderen Seite. In der Informatik können wir nämlich nicht nur bestehende Prozesse digitalisieren, sondern tatsächlich ganz neue Dinge schaffen. Und insbesondere mit Learning Analytics können wir Forschungsergebnisse auch noch schnell in die Anwendung bringen – anders als in Disziplinen wie Medizin oder Biotechnologie, wo der Transfer in die Praxis viel länger dauern kann.

Frau am Bildschirm. Symbolbild Learning Analytics Foto: Laurence Dutton/E+/Getty Images

Und bei dir Kamila? Warum ausgerechnet Learning Analytics?

Kamila Misiejuk: Als ich 2017 mit meinem PhD gestartet bin, war die Welt noch ein bisschen anders. Das war vor Covid und vor den großen KI-Durchbrüchen. Ursprünglich dachte ich, dass wir mit Daten alles erreichen könnten. Es erfordert aber viel zusätzliche Arbeit, um tatsächlich nützliche Einblicke zu gewinnen, die die pädagogische Praxis verbessern können.

Mit dem immer stärkeren Aufkommen von Educational Technology und KI sind stellen sich heute neue Fragen: In welchen Bereichen sind diese Technologien wirklich hilfreich? Gibt es Situationen, in denen sie sogar schaden könnten? Generative KI hat das gesamte Feld revolutioniert. Die Dynamik des Gebiets erfordert ständige Anpassung und Neuerfindung.

Was habt ihr beiden eigentlich vor CATALPA gemacht?

Kamila Misiejuk: Ich war an der Universität Bergen am Centre for the Science of Learning and Technology (SLATE) in Norwegen beschäftigt und habe 2023 dort meinen PhD mit dem Schwerpunkt Peer Assessment und Learning Analytics abgeschlossen.

In meiner Zeit als Senior Researcher war ich an vielen verschiedenen Projekten beteiligt, die alle darauf abzielen, das Lernerlebnis durch innovative Technologien zu verbessern. Eines meiner Projekte befasste sich mit Remote Labs. Dabei waren die Studierenden nicht physisch im Labor anwesend, sondern arbeiteten von anderen Orten aus. Für diese kollaborative Aktivität entwickelte ich Dashboards, um den Dozierenden und Studierenden zu helfen.

Volkan Yücepur: Ich habe Wirtschaftsinformatik in Dortmund studiert und mich früh für die Schnittstelle zwischen Softwareentwicklung und psychologischen Aspekten interessiert. Im Masterstudium an der Universität Duisburg-Essen konnte ich Informatik und Psychologie kombinieren, was mir auch Einblicke in Learning Analytics gab.

Nach dem Abschluss ging dann ins IT-Beratungsgeschäft, um unterschiedliche Möglichkeiten auszuprobieren. Allerdings habe ich dann eben die Stelle bei CATALPA gesehen, die für mich persönlich nicht interessanter hätte sein können. Mir war der Name Ioana Jivet noch ein Begriff aus den Artikeln, die ich für meine Masterarbeit als Quellen genutzt habe. Da ursprünglich der Bildungsbereich genau der war, in dem ich arbeiten wollte, war das also die Gelegenheit.

Abschließend würde ich mit euch noch einen kleinen Blick in die Zukunft werfen. Was wollt ihr gerne mit eurer Forschung erreichen?

Volkan Yücepur: Also mein großes Ziel ist es, auf Indikatoren und Darstellungsformen zu kommen, die Lehrende gerne einsetzen und ihnen vertrauen, weil sie wissenschaftlich abgesichert sind. Bisher hat man stark auf Dashboards gesetzt, ähnlich dem Aufbau, den man vielleicht von Visualisierungen von KPIs in Unternehmen kennt. Aber diese Dashboards können sehr komplex sein und nicht alle Studierenden sind gut darin, Daten zu ihrem Lernverhalten zu verstehen und zu interpretieren, um daraus für sich selbst Empfehlungen abzuleiten. Die Frage ist jetzt also, wie können wir Studierenden an der richtigen Stelle und zur richtigen Zeit die passende Information geben, um sie nicht zu überfordern. Hierfür wissenschaftlich fundierte Antworten zu finden – das treibt mich an.

Kamila Misiejuk: In Skandinavien hatte ich ein starkes Netzwerk in der Learning-Analytics-Community. Das habe ich jetzt hier in Deutschland nicht mehr. Das ist ein Ziel für mich, mich hier stärker wieder zu vernetzen. Als Outcome unserer Wissenschaft komme ich eher aus der Perspektive der Lehrenden. Ich denke, sie haben einen starken Einfluss und können anhand von datengetriebenen Erkenntnissen Entscheidungen treffen, die einen Unterschied machen. Wenn sie etwa sehen, dass es in gewissen Bereichen immer wieder ähnliche Probleme gibt, können sie im Kurs Anpassungen vornehmen. So bewirken teilweise einfache Mittel einen großen Unterschied. Um dorthin zu kommen, brauchen wir künftig gute und langfristige Kooperationen mit verschiedenen Lehrenden. Denn nur so können wir in der Praxis forschen, die Erkenntnisse in Umsetzung bringen und Auswirkungen von Interventionen wiederum wissenschaftlich einordnen.

Sandra Kirschbaum | 19.03.2025