Lüdenscheider Gespräche
Aktuelle Veranstaltung:
Ein Hof und elf Geschwister
Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben in Deutschland
Lesung und Gespräch mit Prof. Dr. Ewald Frie, Universität Tübingen
Moderation: PD Dr. Eva Ochs, FernUniversität in Hagen
Mittwoch, 27. November 2024, 18:00 Uhr
Ort: Kulturhaus Lüdenscheid und in Zoom
Webflyer mit Zoom Link (PDF 692 KB)
Seit 1993 gibt es die „Lüdenscheider Gespräche“, eine Veranstaltungsreihe des Instituts für Geschichte und Biographie, bei der die subjektive, lebensgeschichtliche Perspektive auf Geschichte im Mittelpunkt steht. Die Referenten haben oft selbst „Geschichte gemacht“ und treten als Zeitzeugen auf. Oder Sie haben sich als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Biographinnen und Biographen, Publizistinnen und Publizisten oder Filmemacherinnen und Filmemacher mit ausgewählten Persönlichkeiten der Geschichte näher befasst bzw. sich mit dem Schicksal bestimmter Personengruppen auseinandergesetzt. Das Angebot reicht vom Kolloquium für wissenschaftlich Interessierte über Veranstaltungen mit Zeitzeugen bis hin zu Filmvorführungen und Vorträgen bekannter Persönlichkeiten. Nach den Vorträgen oder Gesprächen hat das Publikum die Gelegenheit, sich zu beteiligen.
Viele „Lüdenscheider Gespräche“ wurden und werden aufgezeichnet und sind jederzeit in der Mediathek abrufbar.
Zur Zeit veranstalten wir hybrid, also live im Kulturhaus und gleichzeitig digital in Zoom. Die aktuellen Zugangsdaten finden sie oben auf dieser Seite. Es ist keine vorherige Anmeldung erforderlich.
Wenn Sie in den Post- bzw. E-Mailverteiler für das Programm der „Lüdenscheider Gespräche“ aufgenommen werden möchten, schreiben Sie uns an
E-Mail: igb
Programm für 2024
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- Vortrag: PD Dr. Eva Ochs, FernUniversität in Hagen, Institut für Geschichte und Biographie
- Moderation: Dr. Almut Leh, FernUniversität in Hagen
- Termin: 24.01.2024, 18:00 Uhr
- Ort: Kulturhaus Lüdenscheid
zum Pressebericht in den Lüdenscheider Nachrichten
Die Industrialisierungsgeschichte des Ruhrgebiets war im 19. Jahrhundert geprägt von Unternehmerdynastien. Auch mittelständische Industriepioniere wie Friedrich Harkort oder Wilhelm Funcke in Hagen wollten ihr Werk an ihre Nachkommen weitergeben.
Die Struktur von Familienunternehmen schuf nach außen Vertrauen, bot aber nach innen auch vielfältigen Konfliktstoff. Über die Grenzen des Ruhrgebiets hinaus bekannt sind die Familien Osthaus und Harkort, die mit dem Hohenhof und dem Haus Harkorten in Hagen auch wichtige architekturgeschichtliche Marksteine hinterlassen haben. Die Spuren der Unternehmerfamilien sind bis zum heutigen Tag im Stadtbild sichtbar. Sie waren nicht nur als Arbeitgeber:innen, sondern auch als Kunstmäzen:innen und Förder:innen sozialer Einrichtungen präsent.
Eva Ochs interviewte heute noch lebenden Nachfahr:innen Hagener Unternehmerfamilien des 19. Jahrhunderts. In Videoporträts geben sie Auskunft über die spezifische Verbindung von Familien- und Firmengeschichte, aber auch über Lebenswelten und Erinnerungskulturen.
Im Zentrum des Vortrags mit Filmbeispielen wird die seit 1819 bestehende Wachholderbrennerei Eversbusch stehen. Die Brüder Christoph und Peter Eversbusch betreiben in sechster Generation die Wachholderbrennerei Eversbusch (seit 1817) im Hagener Stadtteil Haspe als Familienunternehmen.
Eva Ochs ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte und Biographie; der Schwerpunkt ihrer Forschungen liegt in biographischen Zugängen zur Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Zuletzt hat sie publiziert zum Thema der „work-life-balance“ von Männern des Bürgertums im 19. Jahrhundert und sich damit auch mit Unternehmerbiographien beschäftigt.
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Lesung und Gespräch mit Prof. Dr. em. Dirk Kaesler, Potsdam
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Moderation: Dr. Dorothee Neumaier, FernUniversität in Hagen
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Termin: 20. März 2024, 18:00 Uhr
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Ort: Kulturhaus Lüdenscheid
Bericht in den Lüdenscheider Nachrichten von Thomas Krumm
In den Heimen des SS-Vereins „Lebensborn“ konnten insbesondere ledige Frauen Kinder – anfangs oftmals von SS-Offizieren – zur Welt bringen, die als „rassisch wertvoll“ galten und die Zukunft des deutschen Volkes garantieren sollten. Der Soziologe Dirk Kaesler hat spät im Leben herausgefunden, dass er in einem solchen Heim zur Welt kam – und sich auf Spurensuche begeben. Er findet heraus, dass er nicht nur in einem „Lebensborn“-Heim zur Welt kam, sondern dass sein Vater nicht der im Krieg gefallene Ehemann der Mutter ist, dessen Namen er trägt. Tatsächlich hatte seine Mutter als Angestellte des „Lebensborn“ ein Liebesverhältnis mit einem SS-Offizier, der sein leiblicher Vater ist.
In einem sehr persönlichen Buch zeichnet er den langen Weg seiner Selbsterkundung nach und nimmt dabei die historischen Umstände in den Blick. Die Systembrüche zwischen der agrarisch geprägten Lebenswelt der Großeltern im Kaiserreich, der Weimarer Republik, dem Nationalsozialismus und der kargen Nachkriegszeit liefern den Rahmen für ein jahrzehntelanges Familiendrama, das sorgfältig verschwiegen wurde. Mit „Lügen und Scham“ liefert Kaesler das grundierende Thema der deutschen Nachkriegsgesellschaften.
Dirk Kaesler, Jahrgang 1944, ist emeritierter Universitätsprofessor für Soziologie. Seine soziologische Sichtweise ist geprägt durch seine jahrzehntelange Beschäftigung mit Max Weber, Norbert Elias, Erving Goffman und Pierre Bourdieu. Seine Biografie Max Webers (Max Weber. Preuße, Denker, Muttersohn. Eine Biographie. C. H. Beck) erfuhr große Beachtung. 2021 erschien von ihm – zusammen mit der Kulturjournalistin Stefanie von Wietersheim – „Schön deutsch. Eine Entdeckungsreise“.
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Buchpräsentation und Gespräch mit Evelyn Roll (Journalistin und Autorin)
Vorleserin: Marlen Ulonska (Schauspielerin)
Moderation: Christian Bley (Verein Ge-Denk-Zellen Altes Rathaus Lüdenscheid e.V.)
Mittwoch, 8. Mai 2024, 18:00 Uhr
Kulturhaus Lüdenscheid
Evelyn Roll, Journalistin und Publizistin u.a. bei der Süddeutschen Zeitung, hat eine schwere Gehirn-Operation zum Anlass genommen, ihrer Familiengeschichte nachzugehen. Dabei kommt sie ihren eigenen, verdrängten Erinnerungen und den Geheimnissen ihrer Familie ganz neu auf die Spur. Sie geht den NS-Verstrickungen beider Großväter auf den Grund, sie entdeckt, dass es einen verleugneten Halbbruder gibt und nie betrauerte große Lieben der Eltern, in der ehemaligen DDR findet sie plötzlich neue Verwandte.
Pericallosa ist eine Generationengeschichte und zugleich das Buch einer Generation, die im Wirtschafts-Wunderland erwachsen wurde, und in der Verdrängung, nicht Erinnerung an der Tagesordnung war.
„Rolls Genauigkeit führt in die Tiefen – der Psyche wie der Geschichte –, ihre Ironie entlastet, ohne zu verharmlosen. Und ihre phänomenale Begabung, den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis in literarische Sprache zu übersetzen, bannt ihre Leser und macht sie unruhig, zugleich klüger. Eine sehr bemerkenswerte, kühne Expedition in den Kopf und die deutsche Geschichte.“ (Elke Schmitter, in: Die Zeit 02/2024)
Evelyn Roll, geboren 1952 in Lüdenscheid, studierte Germanistik, Politische Wissenschaften und Journalistik in Freiburg und Mainz. Nach Jahren als freie Journalistin leitete sie ab 1992 das Büro der Süddeutschen Zeitung in Frankfurt am Main. 1995 wechselte sie nach Berlin, wo sie die Hauptstadtredaktion der SZ aufbaute. Neben ihrer journalistischen Tätigkeit veröffentlichte sie Bücher vorrangig zu politischen Themen, darunter mehrere biographische Werke über Angela Merkel.
Die Veranstaltung findet statt in Kooperation mit dem Verein Ge-Denk-Zellen Altes Rathaus Lüdenscheid e.V.
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Film, Lesung und Gespräch mit Cordelia Dvorák und Wanja Müller
Moderation: Prof. Dr. Felix Ackermann, FernUniversität in Hagen
19. Juni 2024, 18.00 Uhr
Kulturhaus in Lüdenscheid
Im Sommer 2020 wurden die Frauen zum Gesicht der belarussischen Revolution. Nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen hatten sie Belarus mit ihren eindrucksvollen Protest-märschen in die Schlagzeilen der Weltpresse katapultiert. Besonders sichtbar wurde dabei u.a. Maria Kalesnikowa, die charismatische Flötistin, die viele Jahre als Musikerin und Festivalkuratorin in Stuttgart gelebt hat
te, bevor sie aus persönlicher Überzeugung und als Wahlkampfleiterin einer der Oppositionskandidaten für die Präsidentschaftswahlen zurück in ihr Land gegangen ist. Inmitten der Proteste wurde sie von Sicherheitskräften gekidnappt und später zu 11 Jahren Straflager verurteilt. Seit mehr als einem Jahr gibt es kein Lebenszeichen von ihr. Auch die Studentin und Aktivistin Marfa Rabkowa, die für die Menschenrechtsorganisation Vjasna ein Freiwilligenzentrum zur Wahlbeobachtung aufgebaut hatte, ist inzwischen zu 15 Jahren Haft verurteilt worden, ebenso wie unzählige weitere Belarus*innen, die sich für ein demokratisches Belarus engagiert haben. Mit immer brutalerer Repression versucht das belarusische Regime jeglichen Widerstand im Land zu ersticken.Die Berliner Autorin und Regisseurin Cordelia Dvorák konnte gemeinsam mit dem Übersetzer und Rechercheur Wanja Müller eine Auswahl von Briefen, Letzten Worten vor Gericht und Tagebuchaufzeichnungen der mutigsten Frauen aus der Haft in Belarus aus dem Land schmuggeln. Sie sind Anfang des Jahres beim Berliner Verlag Edition foto.Tapeta in der Anthologie: „WENN DU DURCH DIE HÖLLE GEHST, DANN GEH WEITER“ erschienen. Inmitten eines Gefängnis-Alltags voller Schikanen, Gewalt und Terror sind diese Zeugnisse Ausdruck der unglaublichen Würde, Kraft und Ausdauer des weiblichen Widerstands in Belarus.
In Lüdenscheid wird Prof. Dr. Felix Ackermann mit Cordelia Dvorák und Wanja Müller über die Entstehung des Buches und die brisante Situation der politischen Häftlinge in Belarus sprechen. Cordelia Dvorák wird außerdem mit einem Film-Essay Einblick geben in den Gefängnisalltag der Frauen und aus den Briefen der Frauen lesen.
Das Buch: Cordelia Dvorák (Hg.): WENN DU DURCH DIE HÖLLE GEHST, DANN GEH WEITER. Zeugnisse inhaftierter Frauen in Belarus, Berlin, Edition foto.Tapeta 2024. ISBN: 978-3-949262-32-6
CORDELIA DVORÁK istAutorin, Regisseurin und Produzentin. In ihrer filmischen Arbeit beschäftigt sie sich neben Fragen zur Ästhetik und Wahrnehmung u.a. besonders mit dem weiblichen Widerstand und Gedächtnis bei der Aufarbeitung von Diktaturen und Gewaltherrschaften, so über lange Jahre in Lateinamerika. Cordelia Dvorák hatte zahlreiche Lehraufträge und Gastprofessuren in Berlin, Mexico City und New York. Seit 2021 arbeitet sie u.a. an einem Kinofilm über das weibliche Gesicht der belarusischen Revolution.
WANJA MÜLLER, geboren in Kasachstan kam mit seiner Familie 1990 nach Deutschland. Nach seinem Abitur in Braunschweig und einem sozialem Friedensdienst in Minsk in den Jahren 1997–1999 studierte er Sozialwissenschaften an der Humboldt Universität Berlin und Drehbuchschreiben an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin. Er lebt als Autor, Übersetzer und Rechercheur in Berlin. Von 2020–2021 war er redaktionell und als Übersetzer bei der deutschen Solidaritäts-Initiative: ‚STIMMEN AUS BELARUS‘ beteiligt; 2021 erschienen die Gefängnis-Essays des belarusischen Aktivisten Mikola Dziadok „Die Farben einer parallelen Welt“ in seiner Übersetzung beim Verlag Edition foto.Tapeta.
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Vortrag: Dr. Andreas Eckl, Ruhr-Universität Bochum
04. September 2024, 18:00 Uhr
Ort: Kulturhaus Lüdenscheid
Generalleutnant Lothar von Trotha (1848–1920) war als Kommandeur der Kaiserlichen Schutztruppe für Deutsch-Südwestafrika von Mai 1904 bis November 1905 ein maßgeblicher Akteur der entgrenzten Gewalt gegen Herero und (Oorlam‐)Nama. Er ist eine der schillerndsten Gestalten der deutschen imperialen Expansion insgesamt. 120 Jahre nach Beginn der Kriege liegen seine privaten Aufzeichnungen nun erstmals der Öffentlichkeit vor und geben zusammen mit seinem privaten Fotoalbum Einblicke in Trothas Gedanken- und Gefühlswelt.
Dr. Andreas Eckl, geb. 1968, Afrikanist und Historiker, ist affiliierter Mitarbeiter am Institut für Diaspora- und Genozidforschung (IDG) der Ruhr-Universität Bochum. Zusammen mit Dr. Dr. Matthias Häusser hat in einem von der DFG geförderten Projekt den schriftlichen und fotografischen Nachlass Lothar von Trothas aufgearbeitet.
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Vortrag: Dr. Fabian Fechner und Barbara Schneider M.A., beide FernUniversität in Hagen, Lehrgebiet Geschichte Europas in Welt
Termin: 02. Oktober 2024, 18:00 Uhr
Ort: Kulturhaus Lüdenscheid
Wie waren deutsche Regionen um 1900 mit der „weiten Welt“ verknüpft? Welche Rolle spielten die Kolonien, Vereine und die Mission dabei? Welche Vorstellungen waren mit der „Fremde“ verbunden? Solche Fragen wurden in Deutschland bislang vor allem für Großstädte beantwortet, beispielsweise in Hamburg, Düsseldorf und Frankfurt. Hier soll mit dem Sauerland erstmals ein dezentraler Raum in den Blick genommen werden. Die frühe Eisenindustrie und die konfessionelle Spaltung versprechen überraschende Ergebnisse.
Eine Schlüsselstellung nimmt die volkstümliche Autorin Maria Kahle (1891-1975) ein. Sie ist heute als Heimatdichterin des Sauerlandes und Trägerin des Westfälischen Literaturpreises im Gedächtnis. Dies blendet ihre Propaganda für eine Rückerlangung der deutschen Kolonien und für das „Deutschtum“ im Ausland aus.
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Lesung und Gespräch mit Prof. Dr. Ewald Frie, Universität Tübingen
Moderation: PD Dr. Eva Ochs, FernUniversität in HagenOrt: Kulturhaus Lüdenscheid
Zuchtbullen für die monatliche Auktion, Kühe und Schweine auf der Weide, Pferde vor dem Pflug, ein Garten für die Vorratshaltung – der Hof einträglich bewirtschaftet von Eltern, Kindern und Hilfskräften. Das bäuerliche Leben der Fünfzigerjahre scheint dem Mittelalter näher als unserer Zeit. Doch dann ändert sich alles: Einst wohlhabende und angesehene Bauern gelten trotz aller Modernisierung plötzlich als ärmlich und rückständig, ihre Kinder riechen nach Stall und schämen sich. Wege aus der bäuerlichen Welt weist die katholische Kirche mit neuer Jugendarbeit. Der Sozialstaat hilft bei Ausbildung und Hofübergabe. Schon in den Siebzigerjahren ist die Welt auf dem Land eine völlig andere. Staunend blickt man zurück, so still war der Wandel: "Mein Gott, das hab ich noch erlebt, das kommt mir vor wie aus einem anderen Jahrhundert."
Ewald Frie erzählt am Beispiel seiner Familie von der großen Zäsur. Mit wenigen Strichen, anhand von vielsagenden Szenen und Beispielen, zeigt er, wie die Welt der Eltern unterging, die Geschwister anderen Lebensentwürfen folgten und der allgemeine gesellschaftliche Wandel das Land erfasste.
Ewald Frie wurde 1962 als neuntes von elf Kindern einer katholischen Bauernfamilie im Münsterland geboren. Er ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Tübingen und ordentliches Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.