"Das weiße christliche Europa verteidigen" - ...

Thema:
"Das weiße christliche Europa verteidigen" - die vormodernen 'Argumente' in der gegenwärtigen populistischen Propaganda
Veranstaltungstyp:
Online - Achtung Terminänderung!
Zielgruppe:
BA KuWi: Modul K; Modul G4; Modul G5; MA EuMo: Modul 2E; MA GeEu: Modul I; Modul II; Modul VI; weitere Interessierte auf Anfrage
Ort:
Online-Blockseminar
Adresse:
Online über Zoom
Termin:
20.10.2021 bis
17.11.2021
Zeitraum:
Aufgrund der hohen Nachfrage, werden wir weitere Anmeldungen annehmen, die Anmeldemaske wird bis auf weiteres wieder freigeschaltet.
Online-Sitzungen: 20.10., 3.11. und 17.11.2021, jeweils Mittwoch 17-21 Uhr

Leitung:
Prof. Dr. Felicitas Schmieder
Anmeldefrist:
20.07.2021 - 10.10.2021
Anmeldung:
Online-Anmeldung. Bitte melden Sie sich nicht mehrfach an, nach Ablauf der Anmeldefrist werden Sie per Mail über Ihre Teilnahme benachrichtigt!
Auskunft erteilt:
Prof. Dr. Felicitas Schmieder , E-Mail: felicitas.schmieder , Telefon: +49 2331 987-2120
Christiane Eilers B.A., Sekretariat Schmieder , E-Mail: Sekretariat.Schmieder , Telefon: +49 2331 987- 4752

"Das weiße christliche Europa verteidigen" - die vormodernen 'Argumente' in der gegenwärtigen populistischen Propaganda

Am christlichen Abendland können sich noch heute die Geister scheiden, seien diese nun gläubig oder nicht. Der Glaube sei die Seele Europas wandten Bischöfe 2019 ein, als Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, den Begriff des „christlichen Abendlandes“ in Frage stellte. Ist die Aufgabe des Begriffs durch die Kirche eine Kapitulation (Felix Dirsch, katholischer Theologe) oder ist der „frömmelnde, unpräzise, emotionsgeladene“ (Manfred Becker-Huberti, katholischer Theologe) Begriff ohnehin „geistiger Müll“ (Michael Wolffsohn, deutsch-israelischer Publizist)? Doch was wird hier eigentlich diskutiert und warum? Warum kann eine Bewegung wie Pegida oder die AfD den Begriff ebenso nutzen wie der umstrittene ungarische Regierungschef Viktor Orban oder die CSU? Alternativ zum Abendland kann auch von Europa geredet werden und dass das Abendland/ Europa schon immer weiß war, schwingt zumindest gerne mit, wird aber zunehmend ausdrücklich unterstrichen oder bestritten.

Solche und vergleichbare Fragen über die vermeintlich eindeutigen und nur in einer Weise beschreib- und verstehbaren Wurzeln „unserer“ Kultur werden zunehmend polemisch diskutiert (oder einfach nur behauptet) und immer wieder gehen Begründungen in die Vormoderne (besonders gerne ins Mittelalter) zurück, in der die Welt offenbar noch in Ordnung war. Dies erlaubt eine chronologisch tiefgehende Verwurzelung, da hier festgefügtes und scheinbar unabänderliches „Wissen“ zu existieren scheint, das keiner Experten (in diesem Fall Historiker) zu bedürfen scheint. Dieses Wissen wird folgerichtig zur Legitimierung, zur Abgrenzung, zur Gemeinschaftsstiftung benutzt. Wir Historiker allerdings wissen, dass die Geschichte immer aus der jeweiligen Gegenwart geschrieben wird – dass sich die Geschichte der Vormoderne also durchaus noch verändert – und auf diese Weise diese Geschichte auch leicht in der Gegenwart genutzt werden kann.

Das Ganze gehört in den Kontext eines viel weiteren Feldes von oft wesentlich weniger politisch prominenten Ideen, Bemühungen, Anlässen, die Vormoderne für die Moderne zu erinnern. Die Erinnerung an das Vergangene – die Geschichte – und ihre Aufzeichnung diente „schon immer“ zur Konstruktion von Identitäten, für unseren Fall genauer: von Völkern und Nationen. Dabei wird das, was tatsächlich geschehen ist, nicht „gefälscht“ oder „erfunden“, sondern Überliefertes wird gedeutet und Zusammenhänge werden in gegenwärtig denkbaren (und benötigten) Kontexten konstruiert. So gut wie möglich methodisch reflektiert gilt dies für jeden Geschichtsschreiber, auch den wissenschaftlich arbeitenden Historiker – und auch der Geschichtsschreiber im Dienst einer nationalen Sache wird selten bewusste Unwahrheit schreiben, sondern die „Wahrheit“, so wie sie gewesen sein muss und durch die Gegenwart gerechtfertigt wird, weil sie die Gegenwart zu legitimieren hat.

Im Seminar wollen wir uns anhand ganz unterschiedlicher Beispiele mit solchen Legitimationsstrategien beschäftigen: Wie funktionieren sie, wo finden sie statt – wie kann man sie überhaupt identifizieren und analytisch beschreiben? Und nicht zuletzt: wieso geht etwas, das ganz offensichtlich passiert, ohne dass wir gefragt würden, uns überhaupt etwas an? Wenn es uns angeht, was können wir tun? Es geht wohlgemerkt nicht darum, die Wahrheit herauszufinden und die Irrigen zu korrigieren, sondern zu vermitteln, dass es diese Wahrheit schlechterdings nicht gibt, sondern dass auch historische Diskurse unserer Zeit von unseren eigenen Wertvorstellungen geleitet werden – eine Übung aber wäre es, Gegendiskurse zu entwerfen.

Die Seminarteilnehmer sind – zusätzlich zu den Themen, die angeboten werden – eingeladen, eigene Beispiele vorzuschlagen und zu entwickeln; sehr gerne können solche Beispiele auch aus dem nicht-deutschsprachigen Ausland kommen. Hoffentlich anregende Pflichtlektüre wird auf der frühzeitig freigeschalteten Moodle-Plattform angeboten werden.

Zur Einarbeitung empfohlene Literatur (nicht Pflichtlektüre)

- Anderson, Benedict, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines erfolgreichen Konzepts, Frankfurt am Main – New York 1988 (orig. Imagined Communities, 1983)

- Assmann, Jan, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992

- Bock, Petra/ Wolfrum, Edgar (Hg.), Umkämpfte Vergangenheit. Geschichtsbilder, Erinnerung und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich, Göttingen 1999

- Bak, János M./ Geary, Patrick/ Klaniczay, Gábor (Ed.), Manufacturing a Past for the Present. Forgery and Authenticity in Medievalist Texts and Objects in Nineteenth-Century Europe, Leiden / Boston 2013 (National Cultivation of Culture. 7)

- Bak, János M./ Jarnut, Jörg/ Monnet, Pierre/ Schneidmüller, Bernd (Hg.), Gebrauch und Mißbrauch des Mittelalters, 19. – 21. Jahrhundert/ Uses and Abuses of the Middle Ages: 19th – 21st Century/ Usages et Mésusages du Moyen Age du XIXe au XXI siècle, München 2009

- Geary, Patrick/ Klaniczay, Gábor (Ed.), Manufacturing Middle Ages. Entangled History of Medievalism in Nineteenth-Century Europe, Leiden / Boston 2013 (National Cultivation of Culture. 6)